Kapitel 56

97 6 0
                                    

Taehyungs p.o.v.

Wir befanden uns auf der Zielgeraden. Eine Zielgerade, dessen Ende schon so nah war, dass es mir gleichzeitig in den Fingern kribbelte vor Freude und Aufregung und mir ganz kalt vor Angst war. Wir würden in den nächsten fünf Minuten endlich in Seoul landen. Gegen 11:30 Uhr Ortszeit Seoul würden wir endlich dieses fliegende Monstrum verlassen und heimatlichen Boden betreten. 

"Du hast Recht behalten", meinte Jungkook zu Hobi Hyung, der ihn breit lachend ansah.

"Natürlich habe ich das und ich bin froh, dass ihr auch wieder etwas glücklicher ausseht", meinte er und sah mich kurz lachend an. Ich schmunzelte zurück und unterdrückte die nun neu aufkommenden Gedanken, die dieses Lachen mir verbieten würden. Ich hatte den ersten Berg überwunden, aber das war nicht das Ende dieser Reise. Es kam bereits der nächste Berg mir entgegen, der sich noch weiter in die Luft zu strecken schien als der vorherige: wie sollte ich Miga am besten entgegentreten?

"Ja, jetzt müssen wir nur noch durch die Menschenmasse halbwegs heil kommen und dann geht es ab ins Krankenhaus", meinte Jungkook und zeigte glücklich seine Zähne.

Die anderen bestärkten seine Aussage und schienen gerade uns beide unterstützen zu wollen. Sie hatten auch gemerkt, dass sich zwischen Jungkook und Miga eine gute Freundschaft entwickelt hatte. Sie hatten sich schon nach Migas ersten Besuch bei uns super verstanden und viel miteinander kommuniziert und auch gerade jetzt schien sie sich auf seine Unterstützung und Hilfe zu verlassen. Es stach etwas in meinem Herzen, diese Erkenntnis zu machen, aber es entsprach einfach nur der Wahrheit und unterstütze noch weiter meinen Gedanken, dass ich es als Bruder echt verbockt hatte.

Das Flugzeug setzte zum Landeanflug an und ich blickte nur starr aus dem Fenster. In mir kochte immer noch etwas die Angst vor der nächsten Begegnung mit meiner geliebten kleinen Schwester. Wie würde sie reagieren? Und was würden meine Eltern sagen?

Meine Eltern hatten sich in den vergangenen Tagen viel bei mir gemeldet und wollten wissen, was vor sich ging. Als ob ich da besser informiert gewesen wäre. Aber sie hatten auch versucht  mir Trost und Halt zu spenden und haben mir immer wieder beteuert, dass sie nicht auch nur eine Sekunde an meiner Unschuld gezweifelt hätten und sie sich nur Sorgen um uns beide gemacht hatten. Ich hatte darauf nicht oft reagiert oder bloß kurze Antworten geschrieben. Ich hätte ihnen sowieso nicht viel mehr sagen können, als sie aus der Presse wussten. Ich war ja ebenso planlos gewesen wie sie.

Als das Flugzeug schließlich wieder auf dem Boden aufsetzte, atmete ich kurz tief aus und drückte auch die Gedanken an meine Eltern zur Seite. Das war ein Problem für die Zeit, nachdem wir durch den Flughafen durchwaren. Denn einer Sache war ich mir bewusst, es würde nicht so entspannt werden wie in Los Angeles. Dort war unsere Abreise überraschend gewesen, aber hier hatte man sich auf unsere Ankuft vorbereiten können und nachdem nun offensichtlich auch öffentliches Material als Beweis für meine Unschuld aufgetaucht war, würde es vermutlich noch schlimmer werden als sonst meist schon. Alle würden vermutlich wissen wollen, wie es mir gerade ging, obwohl ich selbst den Cocktail an Gefühlen kaum begreifen und beschreiben konnte.

"Ok, seid ihr alle bereit?", fragte Manager Hobeom und lief voraus, während ihm Namjoon und Yoongi dicht folgten. Die anderen drängten sich ebenfalls raus und die Stimmung schien allgemein sehr positiv zu sein. 

Das war sie zumindest, bevor wir in den öffentlichen Bereich kamen. Es herrschte ein unglaublicher Lärm und überall waren Fotografen und Kameras, die unser Eintreffen dokumentierten. Mein Herz schlug augenblicklich schneller, als ich dem Trubel entgegenblickte. Es war Security um uns herum und versuchte uns und unsere Manager vor den Fans und Kameras zu schützen. Ich zog meine Mütze tiefer in die Stirn und blickte möglichst entspannt nach vorne. Ich vertraute unseren Mitarbeitern und blickte nur nach vorne zu meinen Hyungs, die bereits fast beim Ausgang angekommen waren. 

Erleichtert lies ich mich schließlich auf meinen Sitz nieder und sah Jungkook, der neben mir saß, an. Seine Augen funkelten, auch wenn in ihrer Tiefe ein Schmerz versteckt zu sein schien, der mir Sorgen bereitete. Doch bevor ich ihn darauf ansprechen konnte, meldete sich Manager Sanghyun zu Wort, der auch bei uns im Auto saß.

"Taehyung und Jungkook, ihr werdet erst einmal nur mit Jimin ins Krankenhaus fahren. Wir haben uns dagegen entschieden, dass alle gleich dorthin kommen. Das wäre vermutlich auch zu viel Trubel für deine Schwester. Wir haben schon mit der Security vor Ort geklärt wie es ablaufen wird. Wir werden einen Hintereingang nehmen und ihr werdet von ihnen beim Auto abgeholt und später wieder dorthin gebracht", erklärte er und sah uns beide dabei an.

"Wo ist denn Jimin?", fragte ich und sah ihn dabei an. Ich war erleichtert, die beiden an meiner Seite zu haben. Dennoch war ich auch verwundert über die logistischen Überlegungen, schließlich saß er nicht mit uns im Auto.

"Er ist noch im anderen Wagen mit Jin und Hoseok, aber sie werden ihn vorbeibringen und dann die anderen beiden zu euch nach Hause fahren", führte er seine vorherigen Erklärungen weiter aus, bevor er uns fragend ansah und sich dann lächelnd umdrehte.

Ich blickte nach draußen aus dem Fenster und sah Häuserblöcke an mir vorbeiziehen, während ich mich versuchte darauf vorzubereiten mit dieser neuen Situation umzugehen. Obwohl ich mir noch nicht so sicher war, ob es überhaupt möglich war, sich auf eine noch nie zuvor dagewesene Situation vorzubereiten. Natürlich war das Bedenken aller Eventualitäten mit deren best möglichen Konsequenzen von Vorteil, aber gerade die Emotionen sollten jetzt an vorderster Stelle stehen. Und dafür gab es keine bessere Vorbereitung als der Moment selbst. 

Als der Wagen hielt, sah ich Jungkook an, dessen Nervosität sich gut im Gesicht abzeichnete. Er musste sich ähnlich fühlen wie ich. Schließlich konnten wir endlich aussteigen und wurden ins Gebäude geleitet. Jimin hatte sich uns angeschlossen und sollte vor dem Zimmer erst einmal mit Jungkook warten, um mir etwas Zeit mit meiner Familie zu ermöglichen.

Ich schluckte heftig, bevor ich schließlich meine Fingerknochen an die Tür sacht schlagen lies und dann die Türklinke herunterdrückte. Die Tür öffnete sich und ich sah als erstes meinen Vater, der am Fenster stand und sich nun zu mir umdrehte. Seine Augen und seine Mimik strahlten zwar Freude aus, aber schienen dennoch durch Müdigkeit gebeutelt zu sein. 

"Taehyung", meinte er freudig und nahm mich sofort in den Arm. 

"Hallo, Papa", murmelte ich und drückte ihn fest an mich. Ich hatte ihn viel zu lange nicht mehr gesehen, weil die Zeit vor dem Comeback immer die hektischte überhaupt ist. 

Als wir uns voneinander lösten, drehte ich mich zu dem Bett im Raum, auf dem meine Schwester im Schneidersitz saß und mich nun freudig ansah. Ihre Augen schimmerten verdächtig und sie schien noch an Kontrollgeräte angeschlossen zu sein. In ihrem Gesicht, an ihrem Hals und an jedem anderen sichtbaren Hautstück von ihr, zeichneten sich kleinere und größere blaue Flecke ab, die im völligen Kontrast zu ihrer Ausstrahlung in diesem Moment standen. Das alles hielt mich allerdings nicht auf und ich schritt sofort auf sie zu.

Als ich neben ihr stand, sah ich sie mir genau an, weil ich Angst hatte, sie im nächsten Moment wieder zu verlieren. Meiner kleinen Schwester waren die Strapazen der letzten Tage anzusehen und dennoch schien sie ihre Persönlichkeit nun vollends wieder zu entfalten. Ich beugte mich zu ihr und umarmte sie, was sie sofort erwiderte.

"Ich bin so froh, dass es dir gut geht", flüsterte ich ihr ins Ohr und zog sie dabei so nah es ging an mich heran. Ich spürte, wie ihr Körper langsam zu beben begann und sie schniefte. Sie schien die ein oder andere Träne zu verdrücken, bevor sie mir murmelnd, aber mit so viel Liebe und Schmerz in ihrer Stimme sagte:

"Ich bin auch froh, dass es dir gut geht, Tae. Es tut mir alles so leid"


SAVE ME- BTS FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt