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'Ich weiß nicht ob ich das noch länger kann.' Alecs Worte dringen wie durch Watte an mein Ohr. Mir läuft es eiskalt den Rücken hinunter als dieser bedeutungsvolle Satz immer wieder durch meinen Verstand huscht. Und ich habe das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Tausend Fragen bilden sich und eine ist so präsent, dass ich es nicht wage sie laut auszusprechen. Denn dann wird es Realität. Und wie bereits erwähnt, bringt die Realität auch Schmerz. Dennoch bekomme ich sie nicht aus meinem Kopf.
'Wird Alec noch da sein wenn ich nach Hause komme?'
Ich will die Antwort gar nicht wissen. Ich habe Angst davor.

"Es tut mir leid." flüstere ich.
"Es tut dir immer leid. Und gerade kann ich es nicht mehr hören. Für dich ist alles was uns betrifft selbstverständlich. Ich bin selbstverständlich. Du lässt mich hier an Weihnachten alleine sitzen und gehst davon aus, dass es okay ist. Dass du danach nach Hause kommst und wir da weiter machen wo wir aufgehört haben. Aber so läuft das nicht Magnus." sagt Alec zornig. So habe ich ihn selten erlebt.
"Komm nach Hause oder lass es bleiben. Aber erwarte nicht von mir, dass ich so tue als wäre nichts gewesen." Mit diesen Worten beendet Alec das Gespräch ohne ein Wort des Abschieds oder auch nur darauf zu warten was ich zu sagen habe.

Es schmerzt unheimlich und ich kann nicht verhindern, dass dicke heiße Tränen aus meinen Augen kullern und die schützende Decke um meinen Körper mit kreisrunden nassen Punkten bedeckt. Ich schnappe mir kurzerhand die Decke und wickele sie ganz fest um meinen bebenden Leib. Mir ist eiskalt. Ich weine und schluchze. Unweigerlich wandern meine Gedanken zu einem Leben ohne Alec. Das möchte ich nicht. Das würde ich nicht ertragen. Irgendwann schlafe ich unter Tränen ein und mein letzter Gedanke gilt meinem Ehemann und das ich am nächsten Tag nach Hause fahren werde.

•••••••••••••••

Ragnor war alles andere als begeistert als ich ihm heute Morgen beim Frühstück sagte, dass ich zurück nach New York fahren werde. Er versuchte mich zum Bleiben zu überreden, aber mein Entschluss stand fest. Alecs Worte, Zorn und Frustration haben mir gewaltig zugesetzt. Die Nacht war unruhig und ich träumte davon, dass Alec und ich einen gigantischen Streit ausfochten. Dunkle Wolken zogen sich über unseren Köpfen zusammen und helle Blitze krachten auf uns herab. Sie erhellten das vor Wut und Trauer verzerrte Gesicht von Alec. Die Schatten bildeten eine Maske und ließen ihn so anders erscheinen. Bedrohlich und doch so wunderschön. Undurchsichtiger Nebel waberte um unsere Beine und der beißende Gestank von Enttäuschung und Schuld lag in der Luft. Mit einer Kraft und Entschlossenheit wie man sie selten erlebt, überragte er mich und seine Augen glühten feurig rot vor Zorn. Alec ließ seinen gesamten Frust und all die unterdrückten Gefühle ungefiltert heraus und ich bekam die schonungslose Ehrlichkeit zu spüren.

Schreiend wachte ich mitten in der Nacht auf und saß kerzengerade im Bett. Es war stockdunkel und ich atmete hektisch mit den Bildern von Alec und unserem Streit im Kopf. Ich war schweißnass gebadet und meine Haut klebte unangenehm an der Decke welche noch immer fest um meinen Körper gewickelt war. Nach einer erfrischenden Dusche wälzte ich mich die restliche Nacht unruhig hin und her. An Schlaf war kaum noch zu denken und so verabschiedete ich mich frühzeitig von Ragnor und nahm ihm das Versprechen ab, nicht in Trübsal zu verfallen und die Schönheiten des Ortes zu genießen.

Irgendetwas ist anders. Das bemerke ich sofort als ich die Tür meines Hauses öffne und in den Flur trete. Eigenartige Geräusche und tiefe Stimmen empfangen mich. Ein langgezogenes Ächzen gefolgt von einem kehligen Stöhnen jagt eine Gänsehaut über meinen gesamten Körper. Alec. Leise streife ich den Parka von meinen Schultern und löse Alecs wunderbar weichen und überaus wärmenden Schal um meinen Hals und hänge beides an den Haken neben den Wollmantel von Alec. Meine Finger streifen den schwarzen Stoff gekräuselter Wolle und dieser lässt die Nervenenden in meinen Fingerspitzen kribbeln.

Meine Boots stelle ich neben die von Alec und erblicke ein fremdes Paar Schuhe. Herrenstiefel. Dunkles Braun mit einem hochgezogenen Schaft, abgerundeter Stiefelspitze und einem breiten flachen Absatz. Wunderschön gearbeitetes Leder mit farblich abgestimmten Ziernähten und einer silbernen Schnalle am oberen Stiefelschaft. Zögerlich geht mein Blick zur Garderobe und mir stockt kurz der Atem. Die Stiefel sind nicht Alecs Stil und auch der kaffeebraune Kapuzenparka gehört nicht ihm. Wieder ertönt Alecs kehlige Stimme und instinktiv tragen mich meine Beine durch den Wohnraum und die Treppe hinauf. Das Knarzen der alten Stufen bleibt aus und ich bin sehr froh darüber, dass Alec sie repariert hat. Denn so hört mein Vegasmann nicht, dass ich auf dem Weg zu ihm bin und auf frischer Tat dabei ertappe, wie er einen fremden Kerl in unserem Bett vögelt.

Heiße Wut sammelt sich bei dem Gedanken von Alec mit einem fremden Kerl in unserem Bett und der Schmerz über diese Schmach breitet sich rasant aus.
"Fester." sagt Alec und ich bleibe auf der obersten Treppenstufe stehen. Meine Hand umklammert den hölzernen Handlauf und ich schnappe panisch nach Luft um die aufsteigenden Tränen zu vertreiben. Er soll nicht sehen, dass ich weine. Dass es mich so tief trifft und ich gerade das Gefühl habe, meine ganze Welt würde einstürzen. Nie im Leben habe ich geglaubt, dass Alec zu so etwas fähig wäre. Das er mich durch den erstbesten Kerl ersetzt und mich einfach so fallen lässt. Ausgerechnet heute. Gerade jetzt wo ich doch kurz davor stand ihm das zu geben, was er sich schon so lange wünschte.

Und als wäre das nicht längst der schlimmste Tag in diesem Monat höre ich Alecs Worte und würde so gerne einen riesigen Schwall Zorn auf das Holz unter meinen Füßen kotzen.
"Perfekt. Ich wußte schon warum ich dich gewählt habe. Du machst genau das was ich sage. Ohne Zicken oder Widerworte."
Ich atme tief ein und mein Herz klopft stark und heftig gegen meine Brust. Sie sind nicht im Schlafzimmer. Mein Büro ist der Ort des Geschehens. Der Schlag mitten ins Gesicht könnte nicht größer sein und nun laufen die Tränen ungehindert über mein Gesicht. Ich versuche gar nicht erst sie aufzuhalten. Viel zu befreiend ist das Gefühl und dennoch nimmt der Druck auf meinem Herzen stetig zu.

"Und dafür liebst du mich." sagt der andere Mann. Mein Verstand registriert nur langsam die Bedeutung der Worte und ich schlage mir schnell die Hand vor den Mund bevor das Schluchzen aus meiner Kehle an die Ohren meines Mannes dringt. Ich erkenne die Stimme, es ist Jace und ich komme mir unendlich dämlich vor. Wie konnte ich nur glauben, dass Alec mich hintergeht? Er? Der liebevollste Mann auf diesem Planeten.
"Manchmal frage ich mich warum." sagt Alec und sein glockenhelles Lachen erfüllt das Haus mit Wärme. Nur in mir ist es noch immer kalt.
"Und ich frage mich, warum du das alles hier für ihn tust. Dabei ist er alles andere als nett und um ehrlich zu sein auch ziemlich egoistisch."
"Jace." sagt Alec streng und ich weiß, dass jetzt der Moment wäre um mich bemerkbar zu machen. Aber genau so wie damals als Alec mit seiner Schwester telefonierte und ich wie paralysiert auf dem Sofa saß und ihn dabei beobachtete wie er sich entkleidete, stehe ich auch jetzt wie festgewachsen hier und belausche das Gespräch zwischen Alec und Jace.

"Aber so ist es doch. Von Anfang an hast du mehr in diese Ehe investiert als er. Immer wieder hat er dich von sich gestoßen. Du hast mir erzählt wie schön euer erstes Mal war und ich habe dich lange nicht mehr so glücklich gesehen. Du trägst immer dieses Funkeln in den Augen wenn du über Magnus sprichst. Dass du hoffnungslos verliebt bist ist nicht zu übersehen. Du hättest ihn doch schon am liebsten in Vegas an die Kette gelegt." beendet Jace seine Standpauke und wenn ich nicht wüßte, dass er nichts von meiner Anwesenheit weiß würde ich behaupten, dass die Worte an mich gerichtet waren.
"Bist du fertig?" fragt Alec streng und ich sehe ihn direkt vor mir. Mit vor der Brust verschränkten Armen steht er da und funkelt Jace zornig an. Ja ich bin mir ziemlich sicher, dass es genau so passiert. Alecs Tonlage ist eindeutig.

"Siehst du das etwa anders?" fragt Jace geschockt.
"Ich werde meine Beweggründe nicht mit dir diskutieren." antwortet Alec knapp und ich höre sich entfernende Schritte und das Geräusch von Metall auf Metall.
"Alec."
"Lass gut sein Jace." schreit Alec und ich zucke erschrocken zusammen.
"Hör zu." sagt Alec nun wieder ruhiger und er klingt unglaublich gefasst bei dem was er sagt.
"Ich danke dir für deine Hilfe. Und ich entschuldige mich für meinen emotionalen Ausbruch. Das zwischen Magnus und mir ist kompliziert. Ich für meinen Teil habe mich schon lange entschieden. Und Magnus weiß das. Der Spielball liegt in seinem Feld, er ist am Zug. Aber auch meine Geduld hat Grenzen. Und diese ist eindeutig erreicht. Das ist alles was ich dazu zu sagen habe."

What happened in Vegas - Plötzlich verheiratetWhere stories live. Discover now