Ab ins 5. Semester

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Mein Kopf dröhnt noch, wenn ich an die legendäre Party denke: wir hatten die Ergebnisse unseres ersten Staatsexamens bekannt gegeben bekommen und wir hatten bestanden. Darauf sind meine Freunde und ich natürlich - natürlich! - erstmal zum besten Club der Stadt gefahren und es gab nur eins: Betrinken und Spaß! So konnten wir für einen Abend die furchtbaren Qualen vergessen, die uns die Prüfungsvorbereitung beschert hatte: Lernen von früh bis spät, mehr Mulitple-Choice-Aufgaben üben, als jemals jemand zuvor (was vielleicht übertrieben ist, aber so fühlte es sich an), zu keinen sozialen Veranstaltungen mehr gehen, kein freier ruhiger Gedanke mehr und natürlich, am schlimmsten, die Prüfungsaufregung. Ich weiß noch ganz genau wie ich bei der mündlichen Prüfung vor dem Raum stand und darauf wartete wieder reingerufen zu werden. Alles hing von der eigenen Reaktion ab. Horror.
Umso besser war die darauffolgende Party. Es floss so viel Alkohol, obwohl wir wohl gelernt hatten, wie Alkohol sich physiologisch und biochemisch auswirkt. Jeder von uns hing in dieser Nacht über der Kloschüssel, aber es fühlte sich auch jeder von uns wie im Himmel, wie befreit von jeder elendigen Aufgabe.
Und jetzt saßen wir also wieder in der Vorlesung. Klasse. Rechts neben mir saß Miriam, die ganz klar noch nicht richtig wach war, aber es war ja auch erst kurz nach Acht. Miriam versuchte also krampfhaft nicht einzuschlafen, was aber auch nicht schlimm gewesen wäre, da wir sowieso ganz hinten saßen und die hundert anderen Kommilitonen weiter vorne den Prof sowieso mehr beanspruchten. Links von mir saß völlig überdreht Carlo, der zu Semesterbeginn wieder viel zu euphorisch alles mitschrieb was gesagt wurde und daher gar nicht meine witzigen Kommentare mitbekam. Außerdem saß neben Carlo Steffanie, die gelangweilt umherblickte und die Mitmenschen studierte, weil sie wie immer schon alles vorgearbeitet hatte und nun nicht wirklich zuhören musste. Wie immer fragte ich mich, warum sie überhaupt die Vorlesung besuchte. Und dann war da noch ich, die nicht wirklich vorgearbeitet hatte und so einfach das Skript vom Prof mit den Sachen, die er zusätzlich sagte, noch vervollständigte. Es war alles wie immer.
„Nichts könnte besser sein am Morgen als eine Vorlesung über Mikrobiologie.", sagte Miriam, die voller Motivation aus ihrem Kaffeebecher schlurfte. Mir gefiel es auch nicht sonderlich gut, daher versuchte ich mich und sie zu motivieren: „Abwarten, nicht mehr lang, dann wird es besser." Steffi schaltete sich ein: „Naja, ich weiß ja nicht. Nachher haben wir Allgemeinmedizin und dann zwei Stunden Innere. Die Themen sind auch nicht besonders spannend, vor allem Einführung und so allgemeines Geplänkel, ich kann euch meine Notizen geben, wenn ihr.." Miriam unterbrach sie, indem sie ihren Finger vor ihren Mund legte: „ Bitte rede nicht so laut. Wenn jetzt so viel noch kommt, dann sollte ich doch wohl besser schlafen." Es verflog also die Zeit eher schleppend, aber das lag wohl eher an der Mikrobiologie, die jetzt nicht das spannendste Thema von allen war. Wichtig, aber doof. Muss man durch. Ich wollte nicht, dass dieser Tag vorbei war, denn heute Abend müsste ich wieder hinter den Tresen stehen. Über viele Ecken und mehr oder weniger gute Beziehungen kam ich zu dem Job in einer etwas feineren Bar, was heißt: sehr viele alte Männer alias Professoren, die sehr von sich überzeugt sind und junge Frauen hinter dem Tresen gerne anmachen. Ekelhaft. Das Trinkgeld ist auch nicht das Wahre, denn wenn man nicht so wirklich mit den alten Männern flirtet, gibt es auch nichts, egal wie freundlich man ist. Und ich wollte mich nicht darauf einlassen oder einen Sugar-Daddy haben. Nein, Danke. Miriam bemerkte mein Abschweifen: „Bist du wieder in Gedanken bei deinem Altherren-Club?" Ich nickte stumm. Da flüsterte Steffi rüber: „Wir würden ja wirklich gerne zu deiner Unterstützung vorbeikommen, aber du weißt, was beim letzten Mal passiert ist."  „Ja, das war einfach eine abgefuckte Situation. Das will ich euch auch nicht antun." Beim letzen Mal wurden meine Freundinnen sehr unschön belästigt und bedrängt, jedoch hat es sich um Stammkunden gehandelt, die immer sündhaft teueren Scotch trinken. Mir waren die Hände gebunden.
Carlo sagte während er gleichzeitig wahnsinnig schnell mitschrieb : „Kündige doch einfach. Das musst du dir auch nicht antun." „Ihr wisst, dass das nicht geht. Mein Vater bringt mich um. Damit ich an diese Stelle kam, musste er ein paar seiner Geschäftsfreundchen bequatschen. Außerdem ist das Gehalt top, die Umstände sind zwar widerlich, aber es sind ja nur 8 Stunden." Miriam sah mich zweifelnd an: „8 Stunden sind mindestens 6 zu viel. Wir sollten einen Plan ausarbeiten." Steffi bejahte. Carlo sah uns schnell an: „Ja, aber können wir das nachher auf dem Weg zum Institut machen oder bei unserem Kaffee? Gerade ist schlecht bei mir." Wir lachten und folgten wieder dem Inhalt, so halb zumindest. Bis zur Prüfung würden wir denselben Stoff sowieso nochmal in vier verschiedenen Büchern nachlesen und so unglaublich viel lernen, dass die Vorlesung hier nicht viel ausmachte. Natürlich nahmen wir das Studium ernst, aber nicht diese Mikrobiologie-Vorlesung.

Obsession in weißen KittelnWhere stories live. Discover now