Aspirin

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Ich träumte nichts oder immerhin konnte ich mir keinen nennenswerten Traum merken, was gut so war. Denn die Realität hatte mich genug verwirrt und meine Übermüdung hatte ihr Weiteres getan.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, wusste ich nicht gleich wo ich war. Und ehrlich gesagt rechnete ich auch nicht damit, dass ich tatsächlich noch immer in diesem Sessel saß oder auch lag und bei Professor Doktor Olga Valencova daheim war. Meine Smartphone-Uhr sagte mir, dass es kurz vor 10:00 Uhr morgens war. Ich fühlte mich sehr elend und wollte eigentlich nur ein Wasser trinken, aber ich traute mich kaum mich zu bewegen. Ganz behutsam lauschte ich, ob ich irgendwas hören konnte, aber ich hörte gar nichts. Das konnte ein sehr gutes oder ein sehr schlechtes Zeichen sein. Langsam stand ich also auf und fasste mir sofort an den Kopf, weil die Menge an Schlaf und die Schlafposition waren einfach beide nicht das Wahre gewesen. Auf ganz leisen Zehen lief ich um die Ecke und sah sofort, dass ich keine Angst haben musste. Sie lag noch genau in derselben Position da, wie ich sie dort liegen gelassen hatte. Noch immer mit ihrem Outfit, das mittlerweile sehr zerknittert war. Hätte ich nicht gesehen, dass sich ihr Brustkorb langsam hob und senkte, hätte ich gedacht, sie sei tot. Sehr vorsichtig lief ich näher zu ihr ran, lief an das Kopfende des großen Betts und sah diesem Engel, oder eher diesem Teufel, ins Gesicht. Was macht sie nur mit mir? Mit geschlossenen Augen und etwas zusammengerollt und leicht angezogenen Beinen konnte man nicht wirklich sehen, dass sie unter der Woche und am Tag eine so grausame und einschüchternde Professorin und Chefärztin war. Ich war sehr versucht, mit meiner Hand über ihre Wange zu streichen, wirklich sehr gereizt sie zu berühren. Aber es kam viel Licht in den Raum und ich konnte nicht einschätzen, wann sie aufwachen würde. Bei den Mengen die sie gewohnt war zu trinken, war das für ihren Körper normal und ich wollte nur ungern von ihr erwischt werden. Daher schlich ich mich erstmal weg, aus dem Schlafzimmer raus und die große Treppe runter.

Als ich dann ihre 'Wohnung' oder eher ihr Haus bei Licht sah, musste ich erstmal einen Moment stehen bleiben und schauen. Natürlich war es minimalistisch eingerichtet, aber in so einer Eleganz, dass sie automatisch raushängen ließ: diese Einrichtung war sündhaft teuer und sieht aus wie abstrakte Kunst, aber ich kann es mir eben leisten. Das wunderte mich eigentlich nicht. Langsam tastete ich mich vor, auf dem kalten Boden, der bestimmt aus irgendeinem edlen Stein bestand, fand den Weg in die Küche aber ziemlich schnell. Das ganze Anwesen war wie ein riesiger Loft, hohe Decken und fast keine Türen. An den Wänden sah ich keine persönlichen Bilder, vielleicht eher etwas, das nach einem originalen Picasso aussah. Aber auch das erstaunte mich nicht. In ihrer Küche sah es fantastisch aus, alles glänzte, als sei es noch nie benutzt worden. Zentral stand die Kaffeemaschine, für die es nur Espresso-Bohnen gab, denn wieso sollte man etwas Anderes als Espresso trinken? Auf der riesigen Kücheninsel stand nichts, keine frischen Kräuter, keine Schale mit Obst, kein Gemüse, kein Brot, einfach nichts. Im edlen Doppeltüren-Kühlschrank war zwar etwas drinnen, aber nicht unbedingt frische Sachen, sondern eher Naturjoghurt und Orangensaft. Ich fand Haferflocken und dachte mir, dann isst sie wohl Müsli morgens. Essen hatte ich sie auch noch nie gesehen, wahrscheinlich aß sie gar nicht, sie nahm all ihre Kalorien in Form von Alkohol zu sich. Ich weiß nicht, was mich dazu trieb, aber ich suchte in den unzähligen Schränken eine Schüssel, füllte sie mit Naturjoghurt und Haferflocken und noch mit gefrorenen Beeren, die ich in der Gefriertruhe fand, die bis zum Rand voll war mit Fisch und Gemüsepfannen. Es war so traurig, dass es schon fast wieder komisch war. Außerdem schenkte ich ordentlich Orangensaft ein, fand dann in einer Küchenschublade Massen an Aspirin und legte das auch noch dazu. Als nächstes machte ich die Kaffeemaschine an und einen doppelten Espresso. Erst einen für sie und dann einen für mich. Ich nahm stark an, sie trank ihren Kaffee ebenfalls schwarz und stellte dann mein vorbereitetes Frühstück auf den riesigen Tisch, über dem ein moderner Kronleuchter hing und an dem mindestens 12 Leute sitzen konnten.

In der Küche genehmigte ich mir selbst ein bisschen Ruhe und genoss den exzellenten Kaffee, der wirklich hervorragend schmeckte und mich wie alles an ihr einfach überzeugte. Zwar hatte ich mir daran die Zunge verbrannt, aber das war es wert gewesen. Ich checkte gerade auf meinem Handy die Route nach Hause und wo die nächste Bushaltestelle war, was eine gute Laufstrecke war, da es in dieser Schicki-micki-Gegend natürlich keine Bushaltestellen gab. Leise seufzte ich und wollte eigentlich noch gar nicht gehen, aber ich konnte nicht ewig Schneewittchen beim Schlafen zusehen.

Obsession in weißen KittelnWhere stories live. Discover now