Grüne Flexüle

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Wir trafen uns am Eingang der Klinik, es war 06:30 und jeder hatte seinen Pappbecher mit Kaffee in der Hand. Miriam meinte mürrisch: „Ich hoffe das lohnt sich, nicht dass wir nachher nichts Besonderes gesehen haben und trotzdem jeden Tag so lange arbeiten mussten." Steffi war ambitioniert, hellwach und voller Freude: „ Ach Quatsch, das wird bestimmt super! Endlich mal ein bisschen selber in ärztliche Tätigkeiten reinschauen, endlich mal ein bisschen Klinik. Ich freue mich richtig auf das Unerwartete, denn es kann alles kommen und alles Mögliche passieren." Carlo meinte: „Vielleicht können wir sogar notfallmäßig in den Herzkatheter oder so." Ich konnte die Vorfreude nicht teilen. Sicherlich freute ich auch mich ein klein wenig über die Abwechslung und über das Anziehen des weißen Kittels, aber ich wusste nicht, wie ich nicht an Olga denken sollte. Es war immerhin ihre Klinik, und ihre Stationen. Denn sie war doch vor allem eine Kardiologin und sie würde es sich nicht nehmen lassen mir heute zu zeigen, dass alles auf ihr Kommando hört. Ich wusste einfach, dass sie kommen würde. Das war nicht das eigentliche Problem, ich freute mich darauf sie zu sehen und darauf zu sehen, wie sie ihren weißen Kittel und ihr elegantes Outfit zur Schau trägt - ich wusste nur nicht, ob ich mich fürchten sollte, ob sie wieder etwas mit mir vorhatte. Der gesunde Menschenverstand sagte mir, dass man in einer Klinik mit Patienten und Leuten in bedrohlichen Lebenssituationen keine Spielchen miteinander spielt, die nichts mit dem Job zu tun haben. Aber wieso sollte Olga sich dafür interessieren? Es war einfach alles nur ihre Bühne und sie beherrschte es alles, jeder kannte sie und jeder ging ihr aus dem Weg. Sie würde ohne Probleme einen Weg finden. Mir fuhr es heiß den Rücken runter. Sie würde einen Weg finden und ich würde keine Chance haben, weil sie einfach so gut und vereinnahmend war.

„Wir sollten reingehen, wir müssen ja erstmal dieses Büro finden und uns dann auch noch umziehen. Hoffentlich ist er nett, dieser Dr. Altmann.", sagte Steffi. Leise sagte ich: „Ich hab den Mann recherchiert, das ist wohl unter O - unter Frau Valencova der höchste Oberarzt, auch der geschäftsführende Oberarzt oder so." Miriam meinte: „Na wem wir das zu verdanken haben.", und dann sagte sie leise zu mir: „Du solltest sie besser nicht vor irgendjemandem Olga nennen." Ich seufzte und wir machten uns auf den Weg. Nach einigen falschen Richtungen und einem mehr oder weniger großen Umweg kamen wir dann auch bei dem Privatbüro an. Die Lage war im Vergleich zu Olgas Büro natürlich schon fast schäbig. Freundlich sagte er herein, nachdem Carlo geklopft hatte. Er stellte sich vor, wir stellten uns vor und dann bat er uns herein. Dr. Altmann bot uns sogar etwas zu trinken an und erklärte uns in aller Ruhe den Tagesablauf. Mit der Frühbesprechung dann den Visiten auf den Stationen und noch geplante Eingriffe. Er sagte auch, dass er momentan mehrere Assistenzärzte betreue und dass wir die Tage rotierend bei denen mitlaufen dürften, um die Stationsarbeit am direkten Patienten zu sehen. Und um zu lernen, wie man Arztbriefe schreibt, wobei er lachte. Falls wir nachmittags länger bleiben wollten, könnten wir in Übungsräumen sämtliche Untersuchungen üben, wie man EKG schreibt mit 12 Elektroden und es sei sogar ein Übungsgerät zur Sonografie und ein Herz-Echo da. Da er uns das sehr ans Herz legte, sagten wir natürlich zu. Dann schickte er uns in die Umkleiden.

Natürlich nahmen wir uns die Zeit, um erstmal gemeinsam Bilder im weißen Kittel zu machen. Das war einfach nötig, um in ein paar Jahren darauf zurückzuschauen. Ziemlich zügig waren wir aber wieder bei seinem Büro, von wo er uns gleich mitnahm in einen großen Konferenzraum. „Für die kardiologischen Stationen, für die kardiologisch betreuten Patienten auf der Intensivstation und für die geplanten Herzkatheter-Eingriffe treffen wir uns einmal jeden Morgen für etwa eine halbe Stunde. Dabei stellen die Assistenzärzte ihre Patienten vor und erklären die geplante Behandlung. Wir Oberärzte korrigieren und schauen uns an, ob alles richtig gemacht wird. Große Frühbesprechung ist immer jeden Mittwoch, wo dann die Chefin auch noch dazu schaut. Außerdem wird gesagt, ob es neue Kollegen gibt oder was sonst so ansteht zwecks Fortbildungen und so weiter. Setzt euch einfach hinten rein und seid bitte leise. Mitschreiben ist erwünscht.", sagte er ganz freundlich und wir nickten eifrig. Alles, nur nicht auffallen oder Fehler machen. Wie wir den Raum betraten waren schon viele junge Ärztinnen und Ärzte anwesend, die verzweifelt Akten sortierten und mit Textmarker wichtige Sachen markierten, die Assistenzärzte. Sie wirkten fast ausnahmslos gestresst und nervös. Daneben saßen die älteren Kollegen, die sich unterhielten und entspannt wirkten - die Oberärzte, wo auch unser Tutor hinging. Wir setzten uns in ein dunkles Eck und hofften, dass uns niemand ansprechen würde und dass wir einfach zuschauen könnten. Der Raum füllte sich und wir waren damit beschäftigt alles in uns aufzusaugen, den Eindruck, die Professionalität, insofern sie vorhanden war, und die Struktur. Irgendwann eröffnete unser Oberarzt die Frühbesprechung und sprach einen der Assistenzärzte mit der Station 26 an, zu beginnen. Über eine große Leinwand wurde Auskunft über Patientendiagnosen und therapeutische Maßnahmen gegeben. Wir schrieben alle fleißig mit und hörten ganz genau zu, auch wenn wir nicht alles verstanden. Immer wieder unterbrach einer der Oberärzte, stellte Zwischenfragen und ergänzte. Manchmal fragten sie auch wie in einer Prüfung nach, warum das oder jenes Medikament gegeben wurde.

Obsession in weißen KittelnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt