Sicherheit

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Den Rest der Woche sah ich sie nicht mehr, und das war auch ganz erholsam und gut so. Interaktion mit Olga war immer anstrengend, stets besonders und meistens lohnend, aber auch eventuell zerstörerisch. Dafür stand am Samstagmorgen Steffanie vor meiner Tür, mit verschränkten Armen und keiner guten Laune. Ich wusste bereits, als ich sie dort stehen sah, dass ich es ihr alles erzählen müsste. Denn ich wollte nicht noch mehr Lügen erfinden oder noch mehr Ausreden erzählen, wir waren keine Kinder mehr und konnten alle abschätzen, was wir taten. Ich wusste, dass Steffi mich niemals im Leben an irgendjemanden verraten hätte, also seufzte ich nur und sagte: „Ich hoffe, dass du Zeit mitgebracht hast. Reichlich Zeit." Sie nickte und kam rein: „Mehr als genug Zeit. Und ich hoffe, dass das jetzt endlich alles aufhört, dass wir wieder so sein können wie früher. Du hast dich so von mir distanziert." Wir setzten uns an den Esstisch und ich machte Tee. Wieder seufzte ich: „Es ist Frau Professorin Valencova, Olga. Ich glaube, ich habe mich in sie verliebt." Steffi sah mich weiterhin ganz unbeeindruckt an, schlürfte ganz langsam von ihrem kochend heißen Tee und stellte die Tasse dann wieder ab. „Ja, und weiter? Ihr trefft euch und es läuft nicht so gut, weil sie einfach eine hinterlistige Eiskönigin ist. Was machst du jetzt deswegen, wie eroberst du sie?" In mir machte sie große Verwirrung breit. „Woher weißt du das? Hat Miriam dir das erzählt?" „Nein, hat sie nicht. Ich dachte ich bin deine beste Freundin, auch wenn du mit mir keine Drogen nehmen kannst. Aber als deine beste Freundin sehe ich so etwas, Carlo ist es auch schon aufgefallen. Es ist die Art, wie du dich verhältst, wenn wir über sie reden. Es ist deine Haltung, deine uneingeschränkte Aufmerksamkeit, wenn sie in der Nähe ist. Natürlich sind es auch die Knutschflecken, die ihr zufällig beide zur gleichen Zeit habt. Du hast mit ihr Katze und Maus gespielt, das war nicht zu übersehen. Und dann, das hast du ja selber zugegeben, kommt sie zu dir in die Bar. Ohne es mir zu sagen, im Gegenteil, du hast mich angelogen, machst du einfach blau. Wenn du nicht verliebt bist, hätte nichts Anderes deine neuerlich eigenartigen Verhaltensweisen erklären können. Es ist schon ziemlich lange offensichtlich, die Frage ist nur, warum hast du es mir nicht anvertraut? Meinst du, ich wäre damit nicht sorgsam umgegangen?"

Ich war total baff und wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Es machte mir einerseits große Angst, dass es so offensichtlich war, das könnte für Olga und für mich ein ziemlich großes Problem ergeben. Aber andererseits freute es mich auch, vielleicht sah sie Olga auch an, dass sie an mir hing.
„Wieso ich dir nichts erzählt habe? Wieso ich es dir nicht gesagt habe? Ich weiß es nicht, ich habe wahrscheinlich gedacht Olga auch nur zu erwähnen, bereitet jedem Bauchschmerzen. Sie ist immerhin nicht für ihre Liebenswürdigkeit bekannt. Und bis jetzt komme ich selbst nicht mit dem Gefühl, das ich für sie habe, klar. Egal, was sie zu mir sagt oder wie sie sich verhält, ich kann ihr dennoch nie widerstehen." Steffi nickte: „Das was sie da in der Vorlesung gesagt hat, ich weiß ja nicht genau, wie es dazu kam und was du davor angestellt hast, aber ich hoffe, du hast ihr dafür gezeigt, dass man mit dir nicht alles machen kann. Und sicher ist sie als Professorin keine Sympathieträgerin, aber ich kann alles nachvollziehen, wenn du mir einfach erklärst, wie du es meinst und wie du dich fühlst. Wie hat das denn alles angefangen?" Ich atmete tief ein. „Das ist eine wirklich lange Geschichte. Am Anfang waren es nur intensive Blicke, aber dann kam sie immer öfters zu mir in die Bar und es ergaben sich Gespräche. Als ich im Krankenhaus war, nachdem ich diesen Zwischenfall mit den Drogen hatte, kamen wir uns noch näher. Es machte immer irgendwie Spaß, die ganze Zeit lag dieses Erotische in der Luft, diese knisternde Spannung, diese unausgesprochene Anziehung. Sie macht mich verrückt und sie provoziert es, wie ich auch. Dann bat sie mich zu sich in die Klinik und dann später in den Herzkatheter und es wurde immer anzüglicher, immer enger, immer näher und immer komplizierter. Sie will mich nah an sich haben und stößt mich gleichzeitig weg. Weit weg, als könnte sie eigentlich keine Nähe vertragen. Nach noch ein paar solchen Aktionen bat sie mich zu sich nach Hause, am Dienstag. Natürlich habe ich die Arbeit abgesagt, obwohl ich kurz vorher erfahren hatte, dass sie schon etwas mit anderen Studentinnen hatte. Aber ich konnte nicht nein sagen, wollte wissen, wie es ist und es kosten. Und dann haben wir miteinander geschlafen, sie hat mich regelrecht verschlungen und ich sie. Alles war so harmonisch, zwar hat sie schon angekündigt, mich auflaufen zu lassen vor dem Plenum, aber ich hatte das für einen schlechten Scherz gehalten." Steffi nickte, als wisse sie genau, was ich meine: „Aber Olga Valencova macht keine Scherze, sie meint es alles bitter ernst. Und dann hat sie dich so beleidigt, ich habe es in deinen Augen gesehen, was für ein Schmerz das war. Habt ihr danach nochmal gesprochen?" Ich seufzte wieder, da ich es selbst nicht glauben konnte, dass ich danach wieder mit ihr gesprochen hatte. „Wir haben gesprochen, einmal sagte sie mir, dass es sie anmacht, wenn sie mich so runtermacht und das andere Mal hat sie mir, nachdem ich ihr praktisch gestanden habe, dass sie die Liebe meines Lebens ist, gesagt, dass sie das nicht kann. Nicht bereit für eine Beziehung ist und nur an Körperlichem mit mir interessiert ist."
Steffi schien zu warten, signalisierte mir mit ihren Augen, dass ich weitersprechen sollte. „Und was bitte hast du dann gesagt?" „Was hätte ich sagen sollen?! Natürlich habe ich Ja gesagt, mir sind die Hände gebunden." - „Nun, eigentlich sind dir nicht die Hände gebunden, du hättest auch Nein sagen können. Du bist wirklich an ihr interessiert, an einem guten Verhältnis und an ihr als Person. Es muss dich fertig machen, wenn sie nur an dir als Körper interessiert ist." „Es ist auch kein schönes Gefühl, aber von ihr gebraucht zu werden ist immer schöner, als nicht von ihr gebraucht zu werden. Verstehst du, wie ich das meine?" Steffi trank wieder einen Schluck Tee und schien nachzudenken: „Ich weiß, wie du es meinst. Aber verstehen tue ich es definitiv nicht. Nur weil sie ein bisschen älter ist als du, mehr verdient und eine höhere Position hat, hat sie noch lange nicht das Recht, dich so auszunutzen." „Das vielleicht nicht, aber ich habe dem zugestimmt. Ich will es." „Oh Melanie, ich hoffe sie enttäuscht dich nicht. Diese miese, gemeine Valencova. Dass du dich ausgerechnet in sie verguckt hast, es gibt doch auch so viele andere nette hochrangige Professorinnen oder Professoren. Aber du möchtest unbedingt Frau Unantastbar, Frau Ich-mache-jeden-fertig. Kann das das sein, was du willst? Ich glaube kaum."

Obsession in weißen KittelnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt