Als ich am nächsten Morgen aufwachte, fühlte ich mich sofort unwohl. Zum einen war Morgen Freitag und der Herzkatheter stand an und natürlich wusste ich immer noch nicht, woran ich war. Es war alles so undurchsichtig und unausgesprochen, dass egal wie sehr ich mich konzentrierte und versuchte zu definieren, woran ich mit Valencova war, zu keinem Ergebnis kam. Miriam hatte gestern Abend nichts mehr groß gesagt, auch nicht, dass meine Bluse wieder offen war oder ob ich es den anderen erzählen würde. Sie hat einfach über etwas Anderes mit mir geplaudert, über ihre Fernbeziehung und ihr nächstes geplantes Treffen. Ich war ihr sehr dankbar dafür, dass sie erkannt hatte, dass es mir zu viel war und dann nicht weiter nachgefragt hat.
Ich setzte mich auf in meinem Bett. Es war kurz nach 6:30 und von draußen kam nur das Licht der Straßenlaternen rein, aber mehrheitlich war es dunkel. Ich schlürfte ins Bad und spritzte mir erstmal eine ganz moderate Ladung kaltes Wasser ins Gesicht. Aber es wurde dadurch nichts besser, als könnte kaltes Wasser Probleme lösen. Dann ging ich ganz langsam in die Küche, machte überall Licht an und goß mir einen schwarzen Kaffee ein, an dem ich mir sofort die Zunge verbrannte. Das war zusätzlich ein schlechtes Omen für den folgenden Tag, wobei ich eigentlich gar nichts zu befürchten hatte, heute sah ich sie den ganzen Tag nicht. Außer sie würde heute Abend wieder in die Bar kommen, aber sie kann nicht so oft abends ausgehen. Oder ich hoffte einfach sie nicht zu sehen, denn ich musste jetzt Kräfte sammeln und das konnte ich einfach nicht, wenn sie hinter mir rumschlich und mich nervös machte.
Daher versuchte ich sie aus meinen Gedanken zu verbannen, wenigstens für heute Vormittag, denn auch in meinen Gedanken schleicht sie ohne Hemmungen auf und ab und mach mich wahnsinnig. Ich trank einen weiteren Schluck viel zu heißen Kaffee, aber das war dann auch egal, die Zunge war sowieso schon taub. Ich nahm mir Mikrobiologie zur Hand und wälzte ein bisschen in den Büchern, parallel zur Vorlesung. Als das Kapitel im einen Buch fertig war, nahm ich das nächste und las mir wieder das Kapitel durch. Anschließend machte ich mir ein paar Notizen und fasste zusammen, markierte das Wichtigste, änderte wieder den Aufschrieb, ergänzte noch etwas und schrieb mir Fragen auf, wenn etwas noch unklar war oder weiterführend sein könnte. Es war nicht sehr erquicklich, aber ich hielt mein Hirn beschäftigt und solange es beschäftigt war, konnte ich nicht an ihre starken Hände oder ihre weichen dunkelroten Lippen denken, die ganz betörende Worte in mein Ohr flüstern würden, während ich ihren heißen Atem an meinem Hals spüren könnte, sodass sich meine Nackenhaare aufstellen würden. Sie würde mich anfassen, und mit einer Berührung würde sie mich sofort im Griff haben, natürlich metaphorisch gesehen, aber sie würde auch zugreifen und mich besitzen, wenigstens in einem kleinen Moment. Sie würde nicht aufhören zu spielen, bis ich nachgeben würde, bis ich so verzweifelt und erregt wäre, dass mir alles egal wäre. Und erst dann würde sie nachziehen, aber sie würde den ersten Schritt nicht machen - sie würde mich den ersten Schritt machen lassen.Ich schüttelte meinen Kopf und wendete mich wieder Mikrobiologie zu oder versuchte es zumindest. Überprüfte nochmal meine Zusammenfassung, googelte zu meinen Fragen und sah mir Infektionen und Infektionsmaßnahmen an. Aber irgendwann grummelte mein Magen und zeigte mir damit, es ist Schluss mit der frühen Lernsession. Also sah ich auf die Uhr, es war kurz nach halb Acht. Eigentlich zu früh um aufzuhören, aber ich hatte keinen Nerv mehr. Also stopfte ich schnell eine Banane in meinen Mund, noch ein Glas Wasser schnell die Speiseröhre runter und dann zog ich schnell meine Laufschuhe an und ging einfach raus, ohne einen Plan, aber mit viel Motivation solange zu laufen, bis mir alles weh tat und ich nur noch daran und nicht mehr an andere Dinge denken konnte. Es war immer noch nicht ganz hell und der Sonnenaufgang war leider durch Wolken verdeckt, aber es machte Spaß mit zwitschernden Vögeln und kaltem Herbstwind. Als ich vom Tempo her schon an meiner Belastungsgrenze war und dies über ein paar Minuten durchzog, fiel mir ein, dass ich für morgen fit sein musste. Ich reduzierte das Tempo, joggte lieber gemütlich und dann noch einen Umweg wieder zurück nach Hause. Dann dort erstmal wieder ein Sprung ins kalte Wasser unter der Dusche und ich fühlte mich etwas besser.
Als ich jedoch fertig war und auf die Uhr sah, erschrak ich, ich war zu spät. Denn ich lernte heute wieder mit Steffi in der Bib und der Termin war auf 09:00 Uhr festgelegt, es war bereits kurz nach Neun. Ich schrieb ihr schnell, dass ich in 15 Minuten da sein würde, zog mich in rasender Geschwindigkeit um und nahm provisorisch ein paar Unterlagen mit, nur um dann mit dem Fahrrad zur Uni zu sprinten.
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Obsession in weißen Kitteln
RomanceMelanie Stahl ist eine Medizinstudentin, die bei weitem schon genug Probleme hat: ihr Nebenjob, täglich mehr Lernen als möglich ist, die Sache mit den psychoaktiven Substanzen, ihr Studentenleben am Laufen zu halten und noch weitere Kleinigkeiten, d...