1.

784 18 6
                                    

POV Jasmin

„Jasmin? Bist du da?" „In der Küche! Komm rein!", rief ich zurück und trocknete mir indes die Hände ab. „Na Kleine!" „Na Großer!" und schon fand ich mich in einer innigen Umarmung wieder. „Du bist ja gar nicht überrascht mich zu sehen!", stellte er gespielt enttäuscht fest und lehnte sich an die Küchenzeile und verschränkte seine Arme vor der Brust. „Bin ich auch nicht!", gab ich trocken zurück. „Meine Mutter!", stellte er fest. „Richtig! Dafür gibts nen Kaffee!", dabei reichte ich ihm eine Tasse, die er dankend annahm. „Wo sind eigentlich die Zwerge?" „Linda hat sie vorhin mitgenommen, damit ich hier endlich mal was schaffe..." „Kümmert Markus sich gar nicht mehr?" „Ach Hannes, wo denkst du hin?! Das hat er doch noch nie wirklich getan!" „Ben und ich haben dir immer gesagt..." „Ja ich weiß... nur ich hatte die rosarote Brille auf! Mal gut das ich sie irgendwann abgesetzt habe... komm Themenwechsel... bin froh Ruhe zu haben!" „Hält er sich denn an die Auflagen?" „Ja schon... aber wie gesagt, kümmern tut er sich deswegen gar nicht mehr... er ist auch weg... wohnt jetzt irgendwo bei Frankfurt mit seiner Neuen... aber bin auch irgendwie froh, das er weg ist...so hab ich meine Ruhe..." „Aber er zahlt weiterhin?" „Nein! Natürlich nicht... Unterhaltsvorschuss lässt grüßen, aber hatte ich nicht gesagt, Themenwechsel?! Wie lange bleibst du denn? Deine Mutter konnte mir das noch nicht sagen, sie meinte nur über die Feiertage." „Ja... also ich bleibe definitiv über Neujahr... haben also auch mal wieder Zeit zum quatschen... Ina ist dieses Jahr bei ihrer Familie, kommt aber am 28.... wollen Silvester hier feiern... hast du schon Pläne?" „Ja... daheim sein... wie jedes Jahr!" „Nope... Mama nimmt die Kinder! Wir feiern bei meiner Schwester gemeinsam... die Clique wird da sein, dazu gibt es noch einen Überraschungsgast... du kommst... keine Widerrede!" „Bringt eh nichts, oder?!" „Nö! Du... aber mal was anderes... wann kommt Linda? Ich würde gern zu Ben's Grab... kommst du mit?"
Eine halbe Stunde später machten wir uns gemeinsam auf dem Weg zum Friedhof und obwohl es jetzt bereits über ein Jahr schon her war, fiel mir jeder Schritt dorthin schwer. Es ging damals alles ganz schnell. Ben war mein Zwillingsbruder und der beste Freund von Hannes. Wir saßen mit seiner Frau und unseren Kindern gerade beim Essen, als Ben plötzlich vom Stuhl fiel und bewegungslos liegenblieb. Wir riefen sofort den Notarzt, allerdings kam jegliche Hilfe zu spät. Ben war sofort tot... ein geplatztes Annorisma. Die Kinder waren noch zu klein, das Geschehene zu verstehen, aber für Linda und auch für mich brach eine Welt zusammen. Unsere Eltern waren schon kurz nacheinander vor einigen Jahren gestorben, nun auch noch mein letztes Stück Familie zu verlieren, das lies mein gesamtes Kartenhaus nun gänzlich einstürzen. Linda, Ben und auch Hannes hatten mir geholfen, mich unterstützt mich endlich von Markus zu trennen, als er erneut handgreiflich mir gegenüber geworden war. Da dachte ich, jetzt beginnt endlich ein sorgenfreies Leben und kein Jahr später reißt es mir den Boden unter den Füßen weg. Linda verpackte den Tod ihres Mannes augenscheinlich gut. Lebte weiter, hatte auch seit ein paar Wochen einen neuen, sehr netten Mann an ihrer Seite. Tim... selbst Witwer und Vater einer Tochter. Nur bei mir... da lief es nach außen hin vielleicht gut. War die Vorzeige Alleinerziehende, die alles wuppte, Arbeiten ging und sich aufopferungsvoll um ihre Kinder kümmerte. Hannes war der Einzige, der hinter meine Fassade sah und wirklich wusste, wie es mir ging....
„Wie gehts dir Kleine?", fragte Hannes, als wir vom Friedhof kamen und zurück liefen. „Gut... siehst du doch!" „Und wie geht's dir wirklich?", er blieb stehen und sah mich mahnend an, das ich nur mit den Schultern zuckte. „Weißt du doch eigentlich..  oder?" „Jasmin, du musst wieder anfangen zu leben! Geh raus, unter Leute! Ben hätte das auch nicht gewollt und sieh dir Linda an!" „Ich bin aber nicht so..." „Ist es wegen Markus?" „Nein! Hau bloß ab mit dem! Bin froh das Arschloch los zu sein!" „Gibt es denn da jemanden... ich mein... du bist eine hübsche junge Frau und wäre Ina nicht...", grinste Hannes. „Du bist so ein Blödmann, weisste das?! Los jetzt mir ist kalt und ich brauch dringend Kaffeenachschub!", dabei boxte ich Hannes in die Seite und ging weiter. Hannes und ich kannten uns durch meinen Bruder seit Kindheitstagen, gingen bei dem ein und anderen ein und aus. Er war selbst für mich immer wie ein großer Bruder gewesen. Und das er mich wieder aufzog, war nichts Neues für mich. Als er uns damals Ina vorstellte, war Ben und mir sofort klar, das es um unseren langjährigen Hallodri geschehen war. Hannes hatte immer Frauen am Start, war nie ein Kind von Traurigkeit gewesen, und Dann kam Ina. Der Blick, wie er sie ansah, und es immer noch tat... das war Liebe. Aber Ina ging es nicht anders. Wir schlossen sie alle sofort ins Herz, da sie genauso bodenständig geblieben war, ihr Herz auf der Zunge trug und immer sagte, was sie dachte. Ina war auch nach der Trennung für mich da, wir telefonierten viel und sprachen über Sachen, die ich weder Ben noch Hannes anvertrauen konnte und wollte. Markus war damals nicht nur handgreiflich geworden, er nötigte mich auch zum Sex. Von Vergewaltigung konnte ich zwar nicht sprechen, aber es war alles andere als schön. Ich machte einfach mit, um nicht noch mehr Stress und Ärger zu verursachen, aber gefallen daran, mit ihm zu schlafen, hatte ich keinen mehr. Er war grob, benutzte mich nur und war nicht sehr zimperlich in seinem Handeln. Ina hatte einen siebten Sinn und als wir einen Abend mal allein miteinander verbrachten, sprach sie mich unverblümt drauf an und bot mir im gleichen Atemzug ihre Hilfe an, die ich letztlich auch annahm und den Grundstein für meine Trennung legte.

Herzmenschen  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt