16 Maila - Karten auf der Hand

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Maila stand vor dem großen Fenster im Wohnzimmer des Bauernhauses. Ihre Silhouette spiegelte sich in der Glasscheibe, vor ihr die Schwärze der Nacht. Sie konnte nicht widerstehen und schnitt sich selbst eine Grimasse, bevor sie die Arme um sich schlang. Vorsichtig ließ sie sich auf der Couch nieder, die vielen bunten Kissen umfingen sie wie alte Freunde auf dem faserigen Kunstleder. 

Sie war nicht okay. Das war eine Tatsache, die sie sich eingestehen musste. Sie seufzte leise, überlegte, was sie mit dem angebrochenen Abend anfangen wollte. Ihr war nach Alleinsein gewesen, aber jetzt fühlte sie sich gefangen in der Einsamkeit und der Lärm ihrer Gedanken. Die letzten Tage hatte sie viel zu viel Zeit zum Denken gehabt. Liam war stur geblieben, was ihre Rekonvaleszenz anging, und ihr wiederholt untersagt, Unterricht zu geben. Allein schon aus Versicherungsgründen, äffte sie ihn in Gedanken nach, und aus dem Grund, dass man mit gesundem Menschenverstand wohl einsehen konnte, sich zu schonen, wenn man dermaßen vom Gaul gehagelt war.

Ruhelos stand Maila wieder auf, tigerte durch das helle Wohnzimmer. Sie liebte dieses Haus. Es war das erste Haus, in dem sie sich seit dem Auszug aus ihrem Elternhaus wieder so richtig angekommen fühlte. Entnervt über ihre eigene Unruhe wanderte sie in ihr Zimmer, das durch ihren unfreiwilligen Hausarrest ungewohnt aufgeräumt war. Vor ihrem Eckschreibtisch blieb sie stehen. Ihr Laptop spielte farbige Muster auf dem Ruhebildschirm ab, die unzählige Post-it's beleuchteten, welche quer über ihre Schreibtischunterlage geklebt waren. Trainingspläne, Punkte ihrer To Do Liste, und einige Notizen, was ihr momentanes Schreibprojekt anging.
Sie seufzte erneut. Ließ ihren Zeigefinger den eingedrückten Spuren eines Kulis folgen, die das Wort Deadline in blau auf gelbem Grund formten. Die besagte Deadline rückte in langen Schritten näher. Maila nahm eines ihrer kleinen Notizbücher in die Hand, ein hastig hin gekritzelter Plot, ein paar Seiten gefüllt mit einer Charakterisierung der Protagonisten und wenige Szenen, die sie sich vorgestellt hatte. Nichts davon reizte sie, um es tatsächlich zu schreiben.

Grummelnd ließ sie sich nach hinten auf ihr Bett fallen, und warf das kleine Buch achtlos in irgendeine Richtung.
„Ey", ertönte mit dem Aufprall, als das Buch mit etwas kollidierte, das sich verdächtig nach Liam anhörte.

„Was ist das denn für eine Begrüßung?", schimpfte er gleich weiter.

„Eine, die nicht eingeladenen Gästen durchaus zusteht." Maila schnaubte trocken, „aber sorry, war nicht mal beabsichtigt." Sie drehte den Kopf in seine Richtung. Liam lehnte im Türrahmen, die Arme über der Brust verschränkt, eine Augenbraue hochgezogen, als seine Augen sie einmal zu durchleuchten schienen.

„Pity party?", fragte er dann.

„Quarter life crisis find ich passender", murmelte Maila als Antwort, bevor sie sich aufsetzte, um ihn zumindest ein bisschen mehr auf Augenhöhe zu begegnen.
„Warum das denn?", ihr Trainer angelte nach ihrem Drehstuhl und ließ sich darauf nieder. Natürlich nicht ohne sich damit ein bisschen zu drehen. Das Kind im Mann würde er nie ablegen.

„Weil ich 24 Jahre alt bin. Weil ich die letzten zwei Jahre hier glücklich war, und dann kommt dieses eine verdammte Gespenst aus der Vergangenheit wieder, und ich weiß nicht mehr, wer ich bin, und was ich mit diesem verdammten Leben eigentlich machen will, und was überhaupt noch eine Bedeutung hat in dieser komplizierten Welt. Ich weiß nicht mehr, wie ich dafür sorgen kann, dass ich das Gefühl habe, etwas zu bewegen, etwas zu verändern, irgendeine Rechtfertigung für diese scheinbar so sinnlose Existenz zu haben."

„Oh gott, gleich so viel Philosophie am Abend. Hast du was zu trinken da?" Liam ließ sich nach hinten fallen, wogegen der Stuhl mit einem Ächzen protestierte.

„Lustig." Maila rappelte sich auf die Füße. „Na dann komm, finden wir dir was Flüssiges, du Promille-Philosoph."

„Das habe ich mir nach heute verdient. Spiel du mal mit einem Haufen Kinder allerlei Spiele, die keinen Spaß machen, wenn sich Andrés währenddessen nicht ärgert."
Maila lachte schallend, „ach, Liam."

Hufspuren im HerzWhere stories live. Discover now