13 Andrés - Sonne in der Nacht

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Andrés starrte auf das zerfledderte Buch, das auf seinen Oberschenkeln lag. Schwach beleuchtet im flackernden Spiel des Feuerkorbs, den er unter das Dach der Terrasse gezogen hatte. Gesellschaft leistete den Flammen ein Liegestuhl, eine große Flasche Cola und daneben, nicht ganz zugeschraubt, eine Flasche Glenfiddich. Das Glas, das auf der Lehne des Liegestuhls balancierte, hatte die Cola noch nicht aus der Nähe gesehen. Regen rieselte noch immer von Himmel, wurde hin und wieder vom Wind in sprühenden Böen unter das Vordach getragen, und genauso schnell wieder davongeweht.

Er hatte vorhin eine Ladung frische Kleidung für Maila ins Haupthaus gebracht, da Kathi und Liam sie beide aufgrund der kürzeren Wege und der Tatsache, dass dort immer jemand war, der nach ihr schauen konnte, dort behalten hatten.  Und beim Sachen zusammen suchen, war ihm eben auch das kleine Buch in die Hände gefallen.
Der Einband mit Tesa zusammengehalten, die Seiten befüllt und beklebt, so dass die beiden Buchdeckel weit auseinandergehalten wurden, Flecken von Salzwasser und Sonnencreme auf dem schwarzen Kunststoff.
Die Geschichte ihres ersten Sommers. Krakelige Worte, verwackelte Bilder und mehr Erinnerungen, als ihm lieb war. Er gab sich der Schwäche hin und schlug die erste Seite auf. Ein Polaroidbild fiel ihm in die Hände, aufgenommen auf dem großen Findling unten am Strand. Elli hatte da auf den Auflöser gedrückt. Er sah sein jüngeres ich im Sand sitzen, an den Felsen gelehnt. Braungebrannt, lachende Augen, die Arme um Maila geschlungen, die den Kopf auf seiner Schulter hatte. Auch ihr war das Glück ins Gesicht geschrieben. Blonde Haarsträhnen, die sich in den kurzen Stoppeln an seinem Kinn verhangen hatten.

Er seufzte, hangelte nach dem Glas und nahm einen Schluck. Wärme rann ihm die Kehle herunter, breitete sich in seinem Bauch aus. Er konnte die Sonne fast schon wieder in seinem Gesicht spüren, an einem dieser letzten, sorglosen Sommertage.

Umblätternd, fiel ihm fast das Glas aus der Hand. Capricho. Der hochbeinige Rappe im Sprung über einen überbauten Wassergraben auf dem Springplatz. Er selbst im Sattel, halb verdeckt von dem mächtigen Hals mit der kurzen Mähne.

Überwältigt von Erinnerungen schlug er das Buch wieder zu, legte es vorsichtig neben die Flaschen auf den Fliesen. Ihm war danach, alles zu vergessen, an nichts mehr denken zu müssen, er konnte diese Hilflosigkeit, die ihn die letzten Stunden gelähmt hatte, nicht mehr länger ertragen. Dieses Gefühl, dass einem die Hände gebunden waren, frei von jeglicher Kontrolle über das Geschehen, war ihm zutiefst zuwider.

Den Liegestuhl stehend lassen, fing er an wie ein gefangener Tiger unter dem Vordach hin und her zuwandern. Gefangen in der eigenen Gedankenwelt. Im Verlust von Capricho, den er nie ganz überwunden hatte. Das geliebte Pferd, das jahrelang sein treuster Begleiter war, welches zwei Jahre nach diesem Sommer an einer Kolik gestorben war. Momente, in denen er genauso wenig hatte tun können wie heute für Maila. Frustriert versenkte er noch mehr Holzscheite in dem Feuerkorb, ließ den Wind die Funken aus den knackenden Scheiten um ihn herum wehen. Hatte schon längst die Wärme des Whiskeys in seinem Bauch wieder vergessen, fühlte den wirbelnden Lichtblitz auf seinem Handrücken gar nicht. Vielleicht war ein T-Shirt auch nicht das richtige Outfit, um in diesem Wetter hier draußen zu stehen, während wabernde Nebelschwaden die Hausecken umschmeichelten. Silhouetten, die nichts und alles zugleich darstellen konnten. Das gleichmäßige Prasseln des Regens, und das willkürliche Auseinanderfallen des Holzes wurden von seinem Schrei unterbrochen. Ihm war gerade nach, seine Wut über die eigene Machtlosigkeit in die Nacht zu brüllen.

Dem metallenen Feuerkorb gab er noch einen blechernen Tritt mit, bevor er sich wieder in den Liegestuhl fallen ließ. Der Handrücken wischte unwirsch Regentropfen und ein paar verirrte Tränen aus seinem Gesicht.

Das Glas in einer Hand, beobachtete er wie ein Lichtschein über die Koppel sich langsam näherte. Er ahnte, dass dies kein verlorenes Glühwürmchen war. Nicht wirklich in der Laune für Menschen schenkte er sich noch einmal großzügig nach.

Hufspuren im HerzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt