12 Maila - Alles oder Nichts

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Nach dem Stillstand der Welt begann diese sich wieder zu drehen, schwindelerregend schnell, als wollte sie den Zeitverlust wieder einholen. Maila wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, seitdem sie den Abflug von Dunkelschöns Rücken gemacht hatte, noch war sie sich sicher, wie es dazu überhaupt gekommen war. 

Ihr Kopf fühlte sich an, als hätte ein Elefant seinen Sambaunterricht auf ihrer Schädeldecke vollführt, und als wäre er kein besonders talentierter Tänzer noch dazu. Sie verzog gequält das Gesicht, bevor sie vorsichtig versuchte, sich aufzusetzen. Ihr linker Rippenbogen schien gegen jegliche Bewegung zu sein, stellte sie fest, und zog aufgrund des stechenden Schmerzes eine Grimasse. 

Vorsichtig löste sie den Kinnriemen ihres Helmes und setzte ihn ab. Der Regen rieselte auf ihre sowieso schon nassen Haare, ihr Helm hatte den Absturz nicht überlebt, aber sie war froh, dass es nicht ihr Kopf war, der so verschrammt und eingedellt worden war. Achtlos ließ sie das kaputte Ding neben sich zu Boden fallen, und überlegte, ob sie genauer wissen wollte, was ihre Rippen hatten, oder ob das gerade sowieso nichts an der Situation änderte. Böenartig trieb der Wind Regenschauer unter ihr Blätterdach und Maila fröstelte es. Der Donner grollte noch immer ohrenbetäubend und viel zu schnell nach jedem der faserig über den Himmel zuckenden Blitze, die die Landschaft in Flutlicht tauchten. 

Sie wusste nicht, wann sie sich das letzte Mal so verloren gefühlt hatte. Mit einem Schlag fühlte sie sich nicht nur dem Wetter ausgesetzt. Sintflutartig strömten Erinnerungen auf sie ein, die sie längst vergraben geglaubt hatte. Verloren schien ein Zustand zu sein, in dem ihre üblichen Schutzmechanismen nicht mehr griffen. Verletzbarkeit war etwas, das sie sich ungern eingestand. Geradezu dazu gezwungen, wurde ihr alles zu viel. 

Maila rollte sich neben dem zerknautschten Helm zusammen, ließ sich von Grashalmen kitzeln, von rieselnden Blättern zudecken und versuchte sich zu erklären, dass das Regentropfen waren, die ihr über die Wangen rannen und nicht Tränen.

Maila weinte. Sie weinte um die Liebe, die sie nicht nur verloren hatte, sondern mit kaputt gemacht hatte. Um die Träume, an die sie nicht mehr glauben konnte und um ein Kind, dass es nie gegeben hatte.

"Maila", hörte sie ihren Namen gerufen werden, von der Stimme, von der sie ihn am liebsten hörte.

"Ach, du", murmelte sie in den Ärmel ihres Pullovers, bevor sie die Nase hochzog.
Schnelle Schritte kamen über den Waldboden näher, Blätter raschelten, als sie achtlos zertreten wurden.

Reitstiefel traten in ihr Sichtfeld, bevor Knie unsanft auf den Boden trafen, als Andrés sich neben sie fallen ließ.

"Bescheuerte Frage, aber alles gut bei dir?". Fingerspitzen strichen ihr sanft nasse Haarsträhnen aus der Stirn, und sie lehnte sich automatisch gegen die Hand.

"Hab's überlebt", gab sie dann flapsig von sich.

"Sehr witzig", er schien die Worte mehr auszuspucken, als zu sprechen. "Weißt du eigentlich, was für Sorgen Liam, Kathi und ich uns gemacht haben? Was für Szenarien ich die ganze Zeit im Kopf hatte? Was für Gedanken, man sich macht, wenn du verschwunden bist, wenn die Frau, die ich - " Wärme verließ sie, als er ruckartig aufstand, nur um dann wutentbrannt dem kaputten Helm einen Tritt mitzugeben. Anspannung schien sich zu entladen, nicht unähnlich dem Gewitter, das so langsam anzuklingen schien.

Mit einem undefinierbaren Laut fuhr er sich mit einer Hand durch die Haare, die so aussahen, als hätten seine Finger dort schon mehrmals Sturm gewütet. Maila brachte sich wieder vorsichtig in eine aufrechte Position, Andrés ragte dennoch um einiges höher in den Himmel.

"Die Frau, die was?", warf sie ihm dann den abgebrochenen Satz hin.

"Die mich gerade wahnsinnig macht!", schmiss er ihr die Worte zurück, "die Frau, die ich gerade am liebsten schütteln würde, um rauszufinden, ob sie noch ganz nüchtern ist. Die Frau, die mit ihrem nicht Gewitter sicheren, hoch explosiven, Gaul im Unwetter des Jahres unterwegs ist, als wäre es ein Schaukelpferd. Die Frau, die nach dem Zustand ihres Helmes nach, spektakulär von eben diesem Gaul geflogen ist, und ach ja, sie hat's überlebt. Was für eine Freude. Hätte ja nicht ganz anders ausgehen können, hm?"

Hufspuren im HerzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt