15 Andrés - Das Ende leichter als der Anfang

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„Nein, ich habe dich nie betrogen." Seine Haare standen schon in alle Richtungen, so oft war er sich mit einer Hand durch die verzottelten Strähnen gefahren. Er lauschte dem Schwall Worte, die aus dem Handy kamen, und fing an, die nächste Runde über den abgetragenen Teppich zu tigern.

„Jess. JESS! Nein, jetzt hör mir mal zu. Du liebst das Bild von mir, das du in deinem Kopf hast. Dieses nette Bild, das ich auch die letzten Jahre war, weil ich mir nicht eingestehen wollte, dass ich auch so viel mehr bin, als nur der gelangweilte BWLer im Anzug. Ich genieße meine Auszeit an der Nordsee. Auf diesem Bauernhof. Mit diesen Viechern. Mit den Bauern." Er rollte mit den Augen, als er ihr ihre Worte zurückwarf.

„Und ich telefoniere mit dir, jetzt und heute, weil ich die Gefahr sehe, dass ich dich betrügen würde. Was noch nicht passiert ist. Um Klartext zu reden, wie du es so gerne wolltest. Und ja, ein Telefon ist nicht gerade elegant für so ein Gespräch, aber ich habe grad wirklich keine Zeit, um nach London zu fliegen."

Es eskalierte am anderen Ende, und er hielt es für eine gute Lösung, das Handy mit ausgestrecktem Arm von sich zu halten. Gut hörbar hallte ihre Stimme in dem kleinen Büro nach.

„Es tut mir leid, Jess. Wirklich. Es tut mir leid, dass ich dich damit verletze. Dass ich dich dadurch verliere. Und am meisten tut es mir leid, dass ich dich nicht so lieben konnte, wie du es verdient hättest."
Sie hatte aufgelegt. Andrés ließ sich auf Liams Schreibtischstuhl fallen, und drehte eine Runde auf dem knarrenden Stuhl. Vollgestopfte Regale drehten sich um ihn, die Abendsonne malte orangene Kringel auf dem Fensterbrett und Staub flirrte durch die warme Sommerluft.
Ach, verdammt. So hatte das nicht enden sollen, aber was hatte er schon für eine Wahl? Mit einem Seufzen schlug er beide Hände vor sein Gesicht, und ließ dann die Finger über seine stoppeligen Wangen zum Kinn gleiten. Er könnte sich auch mal wieder rasieren. Löste das eigentliche Problem aber auch nicht.

Kurzerhand schob er den Stuhl wieder an seinen Platz, konnte nicht widerstehen und gab einem der wackeligen Papierstapel an der Schreibtischkante einen Schubs mit, und verließ mit großen Schritten den kleinen Raum, während hinter ihm Papier flutartig zu Boden regnete, als der Stapel in sich zusammenfiel. Liam tat ihm jetzt nicht wirklich leid, wenn der das Chaos wieder aufräumen musste. Hatte davor ja nicht besser ausgesehen.
Die goldenen Strahlen der Abendsonne ließen ihn an der Haustür kurz innehalten. Die Backsteingebäude der Stallungen mit ihren steilen Giebeln strahlten im Abendlicht orangerot, Stille lag über dem Hof. Vereinzelte Pferde genossen in den Paddocks und auf Koppeln die letzte Wärme der Sonne, während die ganzen Menschen sich momentan vermutlich im Speisesaal des Haupthauses tummelten.
Spieleabend für die Kinder, hatte Liam angekündigt. Andrés warf einen schnellen Blick auf seine Armbanduhr, und fand, dass es höchste Zeit war, um die Flucht zu ergreifen.

Auf der Koppel kam ihm Chicago entgegen getrabt, mit gespitzten Ohren und wehender Mähne.
„Na du, hast du noch nicht genug gearbeitet?". Andrés strich dem Fuchs über das glatte Fell am Hals. Das Pferd versuchte, auf der Suche nach etwas Essbaren, seine Nase in Andrés Kapuzenpullover zu versenken.

„Du Clown", tadelte er den Wallach, der noch ein bisschen interessierter wurde, als Andrés Handy vibrierte. Er warf einen Blick drauf, sah zwei entgangene Anrufe von jeweils Liam und Jess, und steckte das Gerät schnell wieder weg.

Der beginnende Sonnenuntergang sah vielversprechend aus und Chicago hatte sich heute mit Josh nicht überarbeitet. In einer Kurzschlussentscheidung kletterte er in einer fließenden Bewegung auf Chicagos blanken Rücken. Der Fuchs schnaubte, kaum dass er sich in Bewegung gesetzt hatte.

Das Tor bekam er vom Pferderücken auf, und als die Kirchturmglocken im Dorf verkündeten, dass es Zeit wäre, sich zum Spieleabend einzufinden, passierten Chicago und Andrés gerade die letzten Bäume des kleinen Wäldchens. Die schräg stehende Sonne spiegelte sich auf der schwachen Brandung, der weitläufige Strand menschenleer.

Hufspuren im HerzWhere stories live. Discover now