Kapitel 60 || Geschlagen

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Die Welt schien still zu stehen. Für mich sowie für alle um mich herum. Das Entsetzten und Unverständnis, das sich unter den Widerstandskämpfern ausbreitete war beinahe greifbar und obwohl ich Harald nur wenig gekannt hatte, erfasste mich das eisige Gefühl ebenso.
 
"Seht euch nur an wie euer Anführer versagt. Seht euch an, wie euer lächerlicher Wiederstand sich in einer Wolke aus Staub verflüchtigt. Glaubt ihr ernsthaft, es hätte einen Zeitpunkt gegeben zu dem es möglich gewesen wäre mir, und nur mir, die Herrschaft über Nya zu entreißen?", erhob Schmiddi die Stimme und wandte sich an all seine Gegner.
 
Lautlos wich ich an die Wand und weiter zurück in den Gang, um mich aus dem unmittelbaren Blickfeld des Bürgermeisters zu ziehen. Dort standen Michael und Maurice, beide mit schreck geweiteten Augen, sie hatten nicht gesehen was passiert war, doch allein Stimmung sprach Bände. Meine braunhaarige Gegnerin starrte mit roten Wangen zu ihrem Anführer hinüber, der siegessicher die Stimme erhob: "Ihr alle solltet stolze Zeugen dessen sein, wie Diejenigen, die mein Autorität unterschlagen wollten, zerfallen und Nya die Vernunft zurück gewinnt!"
Niemand vermochte zu sagen was als nächsten geschehen würde, doch jedem von uns wurde die Entscheidung etwas u tun abgenommen, als ein Joe nach vorne trat. Er stellte sich schützend vor Haralds leblosen Körper, direkt vor das Schwert des Feindes.
"Ihr wagt es von Vernunft zu reden? Ihr, der Nya in seiner dunkelsten Stunde im Stich lässt, um die Leute zu töten, die unsere Stadt hätten schützen können? Die hätten helfen können dem Unheil zu entkommen, das ihr mit euren verzogenen Lügen erst über uns brachtet?", seine Stimme wurde immer lauter und mächtiger. "Ihr, der seit Jahren die, unter der schimmernden Oberfläche brodelnde, Verleumdung und Hetzerei, gegen all Diejenigen, die euch nicht passen, schürt?" Die Worte schienen den Raum völlig einzunehmen, sie vibrierten im Holz und hallten von den Wänden wieder. "Ihr wagt es von Vernunft zu sprechen?!", schrie der alte Mann. "Ihr seid Nya nicht würdig und ihr seid es niemals gewesen!"
Allein von der schieren Macht der Worte eingeschüchtert, wichen die Robenträger zurück, doch Schmiddi wischte mit der Hand durch die Luft. "Genug mit dem Unfug!", rief er uns hob schwungvoll das Schwert. Erschrocken beobachtet ich, wie die Sonne in der Spitze der Schneide kurz aufleuchtete, dann ließ der Bürgermeister sie auf den Mann vor sich herabsausen.
Ein kreischendes Geräusch ertönte als das Schwert in einem grellen Licht aufging und Schmiddi es mit einem entsetzten Schrei von sich warf. Der Schwertgriff hatte Brandblasen in seinen Handflächen hinterlassen. Majestätisch und ganz ohne seinen Stock, schritt Joe auf den Bürgermeister zu.
"Ihr wagt es den Boten anzugreifen, die Stimme der Götter selbst! Ich dulde keine eurer Taten auf dieser Welt!" Der gesamte Raum schien sich zu verdunkeln, als Joe die Arme hob. "Ihr seid dieses Landes nicht würdig, weder Nya noch Varia! Ich gebe euch drei Tage Zeit Evons Grenzen hinter euch zu lassen, ob tot oder lebendig liegt in eurer Hand."
Der Farmer hatte all sein Alter abgelegt und schritt würdevoll wie bedrohlich auf den Bürgermeister zu, der unter seinem stechenden Blick und den kalten Worten immer weiter in sich zusammen sank. Sobald Joe die letzte Silbe gesprochen hatte, stürzte Schmiddi aus dem Raum ohne ein weiteres Wort, ohne jede Würde. Nun sahen alle was er war. Ein verängstigter, kleiner Mann, der seine Existenz auf die Herrschaft über Andere gestützt hatte und für diese Macht vor nichts zurückschrecken mochte. Doch in dem Augenblick in dem er dem Urteil der Götter gegenüberstand, war all das in sich zusammen gebrochen.
Mit Schmiddis Flucht wichen seine Anhänger, verwirrt und alleingelassen zur Tür. Die meisten beschämt und völlig willenlos ohne ihren Anführer. Mit diesem Sieg, sank auch Joe in sich zusammen. Die bedrohliche Aura schien plötzlich verschwunden und der, nun wieder alte, Mann stützte sich zitternd an der Wand ab. Ich wollte zu ihm und zu Patrick, der sofort an Joes Seite war, um zu verstehen was gerade passiert war. Doch ich wurde von einem plötzlichen Schrei zurückgehalten. Erschrocken fuhr ich herum und wurde im nächsten Moment zu Boden gerissen. Ein Schmerzenslaut ertönte, ein Schwert fiel klirrend auf die Fliesen und verfehlte mich nur knapp.
Ich reagierte so schnell wie möglich, befreite mich mit einem ungewissen Tritt von der Person die zur Hälfte auf mir lag und griff nach dem Schwert um mich verteidigen zu können. Erst dann erfassen meine Augen die Situation. Vor mir am Boden lag die braunhaarige Kämpferin, die so viel dran gesetzt hatte mich zu besiegen und einer ihrer Arme lag unangenehm verdreht unter ihrem eigenen Körper. Maurice hockte über ihr, hielt geschickt ihren anderen Arm fest und drückte ihr ein kleines Messer an die Kehle.
"Sie hätte dich gnadenlos erstochen.", rechtfertigte Maurice teils wütend, teils schuldbewusst, dass er sie verletzt hatte, in dem er sie zu Boden gerissen und ihr damit vermutlich den Arm gebrochen hatte. Grimmig und doch mit vor Schmerz zusammengekniffenen Lippen sah sie zwischen Maurice und mir hin und her, sie schien sich nicht von Joe beeindrucken lassen zu wollen. "Das ist was du verdient hättest.", zischte sie und richtet sich dann an den Jungen der sie fest hielt: "Ebenso wie du und dein dreckiger Freund." Dabei hob sie den Kopf um ihn zu gut es ging anzufunkeln und schlitzte die Haut ihres Halses an Maurice Messerklinge auf.
Von hinten trat ein hochgewachsener Mann, einer von Harald engsten Beratern, wie ich vermutete, an uns heran. "Lasst uns das regeln. Mir schein als könntet ihr alle-", er warf einen strengen Blick zu Michael der blass auf dem Boden saß, "etwas Ruhe und die Pflege unserer Heilkundigen gebrauchen." Auf seinen Wink hin kam eine Frau die ich nur vom sehen kannte, um ihm zu helfen. Ich rappelte mich endlich auf und streckte Maurice ein Hand entgegen, an der er sich dankbar hoch zog. "Danke Maurice. Ich gebe es nicht gerne zu, aber ohne dich hätte ich sie nicht abwehre können."
Ich meinte das völlig aufrichtig, doch meine Gedanken verharrten in diesem Moment bei dem Totem, das ich gut verborgen unter dem Hemd, um mein Handgelenk gewickelt hatte.
Hätte Harald es mir nicht gegeben, würde er möglicherweise noch leben. Ich war kein Mensch, der sich aufgrund eines solchen Details selbst in Vorwürfen ertränkte, doch diese letzte Wohltat Haralds, die mir gegolten hatte, löste tiefe Bewunderung und Reue für seinen Tod in mir aus. Der Priester hatte zum dem gestanden was er glaubte und hatte die, die ihm wichtige waren mit seinem Leben unterstützt. Ich hatte mich, ganz gleich was meine Geschichte war, bedingungslos auf ihn verlassen können. Im Stillen, tat ich etwas, das ich sonst nie tat und richtete ein kurzes gebt an Mioos, es möge ihm nun bessergehen als in dieser Welt.

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