Kapitel 40 || Nya

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PoV Manuel

Es war angenehm warm. In der Luft hing der Geruch von Kiefernnadeln, Holz und Lagerfeuer. Ein Knistern mischte sich mit leisen Stimmen. Ich lag auf etwas weichem, einem Bett wahrscheinlich. Und obwohl es keinen Grund dazu zu geben schien, zog sich ein drückender Schmerz von meinem Nacken bis in meinen linken Oberarm. Nur in meinem tiefsten Unterbewusstsein ahnte ich, dass etwas nicht ganz beim Rechten sein könnte. Zu schnell war die Dunkelheit, die mich wieder umfing, wie die Arme eines liebenden Elternteils. 

Als ich das nächste Mal aufwachte, war ich etwas klarer im Kopf. Noch lange nicht auf dem ursprünglichen Niveau, aber weit genug, um mich zu fragen, wo ich wäre. Ich schlug die Augen auf.

Zuerst fiel mein Blick auf den rosa-blauen Himmel vor dem großen Fenster. Kurz ließ ich mich von den Wolken in den Bann ziehen, dann sah ich mich in dem kleinen Zimmer um. Es war behaglich eingerichtet, mit dunklem Holz und einem großen Kamin. Ein Esstisch stand in der Mitte des Raumes, an ihm vier gepolsterte Stühle. Die Fenster waren groß und freundlich, an den Wänden hingen einige Bilder, doch es war zu dunkel, um etwas aus dieser Entfernung erkennen zu können. Dann sah ich neben mich. Patrick saß in sich zusammen gesunken auf einem Ohrensessel. Seine Augen waren geschlossen. Er schlief, allerdings würde er am nächsten Morgen bestimmt Schmerzen haben. Also beschloss ich ihn zu wecken.

"Patrick? Patrick, wach auf." Ich rüttelte vorsichtig an ihm, dann schlug er die Augen auf. "Manu! Manu, wie geht es dir?" Er schmiss sich halb auf mich, als er versuchte mich zu umarmen. Dann richtete er sich wieder auf und blickte schuldbewusst zu Boden. "Es tut mir unfassbar leid, ich wollte nicht - Ich konnte -" Ich grinste. "Willst du mir vielleicht zuerst erzählen, was passiert ist?" "Du weißt das nicht mehr?" Seine Augen weiteten sich, wie die eines Kindes, dem man eine wundervolle Überraschung gemacht hatte. "Und wag es bloß nicht, zu lügen." "Würde ich nicht, wirklich.", meinte er und lächelte nervös, "Außerdem würdest du das eh bemerken." "Na dann fang mal an." Ich grinste ihn an, ließ mich dann jedoch in mein Kissen zurück sinken und schloss die Augen, da mein Kopf anfing zu schmerzen. 

"Gut, also...", er räusperte sich, "Nachdem ich gesehen habe, wie du umgekippt bist, war mir klar, dass wir einen Arzt brauchen. Und da die Ärzte in Nya vertrauenswürdiger sind, als die Kräuterhexen aus Varia, bin ich -" "Nein!" Ich fuhr hoch. In meinem Kopf drehte sich alles, doch ich ignorierte es so gut es ging. "Sag mir, dass wir in Varia sind, sag mir, dass Mathilda dich abgefangen hat!" Er schwieg. "Patrick, du wusstest, dass ich um nichts in der Welt hier her wollte. Wie konntest du mir das antun?" "Ich wollte nur, dass du am Leben bleibst.", sagte er mit schwacher, piepsiger Stimme. "Ich würde lieber sterben, als in Nya zu sein." Ruckartig hob er seinen Kopf. In seinen Augen lag ein Ausdruck der Verzweiflung, des Entsetzen. "Nein. Nein, das kannst du mir doch nicht antun. Sag sowas nicht, Manu." "Tu nicht so, als wäre ich der Egoistische von uns. Du wolltest ohne ein Wort abhauen!" "Es tut mir leid." "Tut es gar nicht." Ich drehte mich weg von ihm. "Gute Nacht." Ich zwang mich, einzuschlafen. Die Idee, ihn zu fragen, ob er neben mir schlafen wolle, verbannte ich in die hinterste Ecke meines Gehirns. Mit der Aktion hatte er sich das sicher nicht verdient, auch wenn es zu einem guten Zweck war. 

Bei meinem nächsten Erwachen war es hell draußen, der Sessel neben meinem provisorischen Bett verlassen. Hinter einer angelehnten Tür drang das Klappern von Geschirr hervor. Dann öffnete sie sich und ein Mann trat hervor. Er beäugte mich neugierig, doch seine Gesichtszüge strahlten eine solche Güte aus, dass ich es ihm nicht wirklich übel nehmen konnte. Er schloss die Tür hinter sich und ließ sich in den Sessel fallen. "Guten Morgen Manuel. Schön, dass es dir wieder gut geht. Mein Name ist Joe, ich bin ein Freund von Patrick. Ich gebe auf sein Schwein Edgar acht." "Schwein? Edgar?" "Hat er dir etwa nichts davon erzählt? Nimm es ihm nicht übel, er kann nicht so leicht mit Menschen, wie es oft scheint." "Hatte ich nicht vor.", murmelte ich und richtete mich auf. Mir wurde klar, wie wenig ich doch eigentlich über Patrick wusste. Ich kannte niemanden aus seiner Familie, hatte von seinem Wohnort nie mehr gesehen, als den Wald hinter der Border. "Nun denn, wir machen gerade Frühstück. Du musst bestimmt hungrig sein. Meine Frau Francine, sie hat dich gesundgepflegt, gab extra Acht auf etwas magenfreundliches." "Mein Magen ist abgehärtet. Anders überlebt man in der Wildnis nicht. Außerdem sollte ich gehen." Ich war drauf und dran meine Beine aus dem Bett zu schwingen, doch Joe hielt mich auf. "So nicht, junger Mann. Wir haben doch nicht zwei Wochen unserer Zeit geopfert, nur damit du dich jetzt von dannen machst und doch noch stirbst." Zwei Wochen? Das war verdammt lange Zeit. Doch ich verbarg mein Entsetzen und schob mein Kinn vor. "Ich habe nie darum gebeten." "Pass auf, ich biete dir einen Handel an. Einen Handel, den du nicht abschlagen kannst." Er sah kurz über die Schulter und beugte sich dann verschwörerisch zu mir. "Lässt du dich darauf ein?" "Ich sollte zuerst wissen, mit was wir Handeln." "Oh, natürlich." Er schob den Ärmel seines braunen Strickpullis hoch. "Ich gebe dir das hier.", er knotete sein Armband ab, "Und dafür bleibst du bei uns, bis es dir wieder gut geht. Ein gutes Geschäft, nicht wahr?" Mein Blick wanderte zwischen seinen Augen und dem Schmuckstück in seinen Händen hin und her. "Ich möchte es zuerst ansehen." "Eine Fälschung ist in Nya so selten wie ein schwarzer Nachthimmel. Aber sieh es dir ruhig an." Er gab es mir. Es war leichter, als man erwarten würde, das machte der Zauber darin aus. Ich hätte Stunden damit verbringen können, die ganzen Einzeheiten zu betrachten, doch ich riss mich zusammen. Unglaublich, dass die Leute im behüteten Nya die Dinger hinterher geschmissen bekamen, wogegen man in Varia ein Vermögen dafür bezahlen musste. 

Ein letztes Mal sah ich zwischen dem Mann und dem Armband hin und her, dann schloss ich meine Finger um es. "Abgemacht." Er lächelte, als hätte er schon von vornherein gewusst, dass ich sie an mich nehmen würde. Am liebsten würde ich es ihm an die Stirn werfen und doch aus dem Haus marschieren, doch ich beherrschte mich. Das wäre taktisch mehr als nur unklug, selbst wenn ich dafür eine Woche länger im verhassten Nya bleiben müsste. 

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