Kapitel 22 || Von Opfer

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"Manu, geht es dir gut?", wollte Patrick besorgt wissen. Ich öffnete meine Augen wieder. "Mir ging es nie besser.", knurrte ich und rappelte mich auf. Das war wohl zu schnell für meinen Kreislauf gewesen, denn die Welt um mich herum wurde langsam aber sicher von einer tiefschwarzen Leere verschluckt. Haltsuchend stütze ich mich an der Hauswand ab und kniff die Augen zusammen.

"Manu?" Seine Stimme klang gedämpft, als würde ein riesiger Schwamm meine Ohren verdecken. Ich blinzelte ein paar Mal, dann wich das Schwarz wieder den Farben des Lebens. "Alles gut, wirklich.", ich zwang mir ein kleines Lächeln auf die Lippen, "Aber wir sollten weiter gehen, hier sind wir nicht mehr sicher." Dann stapfte ich entschlossen in das Haus, in dem ich unser Zeug abgelegt hatte und stellte erleichtert fest, dass noch alles ganz war. 

"Hier." Ich warf dem Kleineren den Rucksack zu und lief voraus. "Bist du mir böse? Ich könnte es wirklich verstehen, aber -" "Sei doch einfach leise! Ich - Die Aktion hat meine ganzen Pläne umgeworfen und ich würde gerne nachdenken.", fuhr ich ihn an. Betroffene Stille breitete sich aus und auch, wenn er mir ein wenig leid tat, hatte ich nicht vor mich zu entschuldigen. Vorerst zumindest. 

"Scheiße.", fluchte ich. "Was ist?", erkundige sich Patrick vorsichtig. "Wir schaffen es nicht mehr bis zu unserem Unterschlupf." "Oh... das ist... Gibt es hier in der Nähe nicht irgendetwas Anderes?" "Nicht wirklich, außer dem Haus, in dem die von Opfers wohnen." Zum Ende hin wurde ich immer leiser.

"Können wir nicht bei denen übernachten?", erkundigte er sich nach einer Weile.  "Die von Opfers sind... Sie haben es nicht leicht. Sie wurden weit abseits von jeglicher Zivilisation in ein Leben gezwungen, dessen einziges Ziel das Ablenken der Monster ist. Ich weiß nicht, ob sie uns aufnehmen würden.", versuchte ich ihn von dieser Idee abzubringen. Zwar stimmten meine Worte, aber sie waren bei weitem nicht mein einziger Anhaltspunkt. Ich wollte nicht auf die Hilfe Anderer angewiesen sein, erst recht nicht der der von Opfers. Vor allem, weil sie dann etwas gut bei mir hätten. 

"Siehst du eine andere Möglichkeit?", wollte er wissen. "Nein.", gab ich zähneknirschend zu. "Also müssen wir wohl zu ihnen. Aber so schlimm können sie doch nicht sein." Ich zuckte nur mit den Schultern. Schließlich hatte ich keine Wahl, als mich den Untieren der Nacht hilflos auszuliefern. 

Während des Weges dachte ich weiterhin fieberhaft über einen Ausweg nach, allerdings wollte mir einfach nichts einfallen. "Ist es das?" In Patricks Stimme schwang Aufregung mit, während er auf ein Licht in der Ferne zeigte. "Zumindest sollte es da irgendwo sein."

Der Kleinere schien all sein Leiden vergessen zu haben und stürzte vor. Vielleicht war es die Aussicht auf ein nicht vergammeltes Bett oder der Wunsch den Rucksack los zu werden, was ihn so anspornte, doch genau konnte ich es nicht sagen. Ich verdrehte die Augen und beeilte mich ihm hinterher zu kommen. Auch wenn mich sein Verhalten gerade mehr als nur nervte, wollte ich nicht, dass er von irgendwelchen Monstern umgebracht wurde. Und wahrscheinlich würde es sich auch als gut herausstellen, einen Zahn zu zulegen, es dauerte nicht mehr lange, bis die Phantoms erwachen würden. 

Schnaufend kamen wir vor einem großen Haus zum Stehen. Es war aus dunklen Holz gebaut, durch die Milchigen Fensterscheiben schimmerte gelbes Licht. Über dem Eingang war eine große Terrasse, im Garten bauten die von Opfers Essen an. Sie hatten seit Generationen keinen Fuß mehr von ihrem Grundstück gesetzt. 

Ich straffte die Schultern und hob mein Kinn, versuchte so meine Unsicherheit zu bezwingen. Dann klopfte ich gegen die schwere Holztür. Eine Weile lang tat sich nichts und ich wollte mich gerade schon abwenden, um zu gehen und noch irgendeine Unterkunft zu suchen, als die Tür aufgerissen wurde. Vor mir stand ein relativ großes Mädchen. Blonden Locken kringelten sich über ihren Schultern, dunkelgraue Augen blitzen uns misstrauisch entgegen. Ihre Arme hatte sie trotzig vor der Brust verschränkt. "Seid ihr die neuen?", wollte sie harsch wissen. "Nein. Wir brauchen eigentlich nur einen Ort, an dem wir die Nacht verbringen können.", stellte ich klar. "Schade, es gäbe sicherlich schlechtere Varianten. Andererseits kennt man es nicht anders. Wir bekommen die, die Keiner braucht.", sie seufzte, "Aber kommt rein. Wir sind nicht so herzlos wie die Anderen." Dann drehte sie sich um und stiefelte davon. 

"Bist du fertig mit dem Starren?", fuhr ich Patrick an, als er keine Anstalten machen seinen Blick von der jungen Frau zu lösen und mir zu folgen. "Ich bin nur verwirrt.", meinte er und senkte seinen Blick, damit ich die aufsteigende Röte in seinen Wangen nicht bemerkte. "Warum?" Ich zog die Tür hinter ihm zu und machte mich daran mich meiner Schuhe zu entledigen. "Was meinte sie mit 'die Neuen'?" "Ach das... Es wird für jedes Kind der von Opfers ein Lebenspartner hier her geschickt. Manchmal melden sich Freiwillige, allerdings ist das eher selten der Fall. Wenn das Keiner tut, wird einfach irgendwer ausgelost, der nichts nützliches für die Gesellschaft tut und der nicht offiziell mit irgendwem zusammen ist.", erklärte ich. "Oh, das -" Patrick wurde von einer Frau unterbrochen, die einige Ähnlichkeiten mit dem Mädchen von eben aufwies. Einzig und allein ihre Lippen waren schmaler und ihr Gesicht sah etwas mitgenommener aus. "So schlimm ist das Leben hier oben eigentlich gar nicht. Zumindest, wenn man gut auf sozialen Kontakt verzichten kann.", sie zwinkerte uns zu, "Entschuldigt meine Unhöflichkeit, mein Name ist Alva von Opfer. Ich stamme direkt von Olaf und Gisela von Opfer ab, dem ersten Paar, das diese Hütte bewohnt hat. Und ihr seid?" Sie sah uns mit einer Mischung aus Stolz und Neugierde an. "Manuel und Patrick. Reisende auf dem Weg nach Frost.", antwortete ich knapp. Mir war diese Familie noch nie geheuer gewesen. 

Ich bin offiziell wieder zurück, yay

Geschrieben von:
trollollollokkkk

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