Kapitel 6

20 0 0
                                    

Erschöpft reibe ich mir die Augen, richte mich dabei langsam auf. Mein unausstehlicher Hunger hat mich geweckt. Nach einer Zeit bin ich tatsächlich auf dem harten, kalten Boden eingeschlafen, weswegen mein Rücken nun schmerzt. Durst sowie Hunger sind jedoch unerträglicher. Wie lange sitze ich hier schon fest? Eine Uhr gibt es hier auch nicht und mein Handy hat er mir wahrscheinlich abgenommen. Ich blicke mich um. Nichts. Kein Fluchtweg. Es ist also unmöglich. Ich streiche meine zersausten Haare zur Seite und spüre wie meine Augen sich wieder mit Tränen füllen. Ich fühle mich wie ein hilfloses Kind. Angst, Trauer sowie Wut spüre ich abermals in mir. Ich will hier raus. So schnell wie möglich. Hier ist es so düster. So kalt. So einsam. Während ich hier mit meinen Beinen angewinkelt sitze und schluchze, öffnet sich nach einer Zeit die Tür. Natürlich ist er es, der auf mich herabschaut. Jedoch schaue ich nicht zu ihm auf. Ich will ihm nicht ins Gesicht blicken. Aiden kniet sich zu mir und streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht. Ich wende mein Gesicht jedoch mehr von ihm ab. Mit ihm werde ich jetzt ganz bestimmt nicht reden.
,,Engel'', sagt er in einem sanften Ton. Mein Herzschlag beschleunigt sich. Seine Stimme ist so...Nein. Nicht schwärmen. Er ist der Grund, weswegen ich gerade so leide. Leicht legt er seine warmen Hände auf meine Wangen und dreht mein Gesicht zu sich. Jedoch halte ich meinen Blick gesenkt. Dieses Mal werde ich ihm nicht verfallen. Er ist mein Feind. Das darf ich nicht vergessen.

,,Es war falsch von mir, so hart zu dir zu sein. Aber ich bin vorhin sehr wütend geworden. Ich will doch nur nicht, dass du mich verlässt. Deshalb konnte ich mich nicht mehr beherrschen. Es tut mir sehr leid. Bitte, verzeih mir'', erklärt er mir. Auch wenn ich es nicht zugeben möchte, klingt er wirklich so, als würde er es bereuen. Ich schaue ihm in die Augen. Sie sehen ein wenig glasig aus. Ob er traurig ist? Er nimmt seine Hände von meinen Wangen und senkt seinen Blick.
,,Ich bin so ein Mistkerl'', spricht er leise und schließt seine Augen. Vielleicht bereut er es wirklich. Wieder blickt er mir in die Augen.
,,Wie konnte ich dir das nur antun? Du-Du bist viel zu wertvoll. Meinetwegen bist du verletzt. Meinetwegen geht es dir schlecht'', sagt er und schaut mich an, als wäre ich das Schönste auf dieser Welt. Er ist wie ausgewechselt. Wieder. Seine Augen füllen sich mit Tränen. Er schließt sie und schluchzt ein wenig. Okay. Ihm scheint es wirklich leid zu tun. Seufzend überwinde ich meinen Stolz und umarme ihn. Er wirkt so verletzlich. Was ist los mit ihm? Ich will herausfinden, weshalb er ausgerechnet mich entführt hat. Was ist der Grund? Er zieht mich fest an sich. So fest, als würde er mich nie wieder loslassen wollen. Er atmet tief ein. Ich spüre, dass er etwas zittert. Ich bin sehr verwirrt und stelle mir so viele Fragen. Er ist mir ein Rätsel. Als er sich beruhigt, lassen wir langsam voneinander ab, doch meine Hand hält er weiterhin in seiner. Jedoch etwas fester.
,,Ist schon gut. Entschuldigung, dass ich versucht habe abzuhauen. Mein Chef hat mir geschrieben. Ich bin nicht auf der Arbeit erschienen und das könnte mich meinen Job kosten'', erkläre ich ihm ehrlich. Er wischt sich seine Tränen weg.
,,Du brauchst diesen Job nicht. Du hast mich'', sagt er in einem sehr unschuldigen Ton und das ist der Moment in dem ich mich ernsthaft frage, warum eigentlich nicht? Es mag verrückt klingen, doch ich denke ernsthaft darüber nach ihm eine Chance zu geben. Er ist attraktiv, scheint wohlhabend zu sein und scheint auch etwas für mich zu empfinden. Ich seufze. Ava, Ava, Ava. Du dummes Ding. Was denkst du da schon wieder?

,,Aiden. Ich verstehe dich einfach nicht. Was habe ich mit dir zu tun?'', frage ich ihn. Ich will die Antwort darauf haben. Jetzt. Er schweigt nur und hilft mir dabei, aufzustehen.
,,Aiden'', sage ich. Er blickt mich nicht an.
,,Du musst etwas essen'', sagt er nur und zieht mich an meiner Hand hinter sich her. Er führt mich nach oben. Endlich weg von hier. Das helle Licht blendet mich, jedoch genieße ich es sehr. Freiheit.
,,Ich habe für uns gekocht'', sagt er, woraufhin ich tatsächlich einen gedeckten Esstisch sehe. Er schiebt den Stuhl für mich nach hinten und verdeutlicht mir, dass ich mich setzen soll. Ich blicke mich um. Diese Küche ist so schön. Sie ist so modern und technisch sehr gut ausgestattet. Er hat wirklich Geschmack, was das Haus betrifft. Mein Blick wandert auf meinen Teller. Vor mir sehe ich ein Essen, das dem eines fünf Sterne Restaurants ähnelt. Wow. Beeindruckend. Aiden lächelt mich an.
,,Woran denkst du?'', fragt er mich.
,,Das Essen sieht sehr köstlich aus'', antworte ich ihm ehrlich,woraufhin sein Lächeln strahlender wird. Seine Zähne sind makellos. Gerade und strahlend weiß. Einfach perfekt.
,,Guten Appetit, ich hoffe, es schmeckt dir'', sagt er und beginnt zu essen. Zuerst beobachte ich seine Gestik. Er scheint aus einer wohlhabenden Familie zu stammen. Wie er isst, sieht sehr vornehm aus. Nun nehme ich mein Besteck ebenfalls in die Hand und probiere einen Bissen. Wow. Er kann wirklich gut kochen.
,,Wie ist es?'', fragt er mich neugierig. Ich lächle.
,,Es schmeckt wirklich sehr gut'', gebe ich beeindruckt zu. Wieder lächelt er. Etwas breiter sogar.
,,Das freut mich. Eigentlich habe ich extra Köche, die das Essen zubereiten, aber für dich wollte ich selbst ran'', erklärt er mir. Okay. Irgendwie ist das schon süß. Ich bedanke mich bei ihm und stumm essen wir weiter. Dass er mich vor ein paar Stunden noch behandelt hat als wäre ich ein wildes Tier ignoriere ich nun komplett. Mit mir stimmt wirklich etwas nicht. Eigentlich müsste ich ihn hassen. Doch gerade empfinde ich ihm gegenüber alles außer Hass. Nachdem wir fertig gegessen haben, biete ich an, abzuräumen. Zwar hat er die ganze Zeit versucht, mir das auszureden, hat sich jedoch am Ende geschlagen gegeben. Nun stehe ich hier und spüle das Geschirr ab. Meine Gedanken sind dabei die ganze Zeit bei Aiden. Ich will so unglaublich viel über diesen Mann wissen. Jedoch werde ich einfach nicht aus ihm schlau. Oder sollte ich mich lieber so fern wie möglich von ihm halten? Plötzlich spüre ich zwei große Arme, die mich von hinten umarmen. Ich vernehme seinen angenehmen Duft und spüre seinen Atem an meinem Nacken. Seinen Kopf hat er auf meine Schulter gelegt. Nervös schlucke ich, während ich wie angewurzelt da stehe. Ich traue mich nicht, mich auch nur einen Milimeter zu bewegen.
,,Möchtest du dich ausruhen?'', fragt er mich. Ein leichtes Lächeln huscht mir komischerweise über die Lippen. Er ist ja gerade schon irgendwie süß. So fürsorglich und lieb.

,,Nein. Ich mach das schon'', antworte ich ihm. Seufzend dreht er mit seiner Hand den Wasserhahn ab und dreht mich anschließend zu sich. Tief blickt er mir in die Augen. Sein Blick ist so unwiderstehlich, dass ich mich in ihm zu verlieren drohe. Was hat er vor? Dieser Mann ist voller Überraschungen.
,,Ich fühle mich immer noch sehr schlecht wegen vorhin. Deswegen habe ich eine Überraschung für dich'', erklärt er mir. Dabei wechselt sein Blick zwischen meinen Augen und dem Boden. Wenn man von Überraschungen spricht. Irritiert blicke ich ihn an.
,,Darf ich sie dir zeigen?'', fragt er mich. Er möchte meine Erlaubnis. Ich nicke nur, da ich wirklich neugierig bin. Zufrieden lächelt er und nimmt meine Hand in die seine.
,,Komm'', sagt er und zieht mich mit sich. Er führt mich ins Wohnzimmer.
,,Setz dich doch.'', sagt er und deutet auf die weiße gemütliche Couch. Zögerlich setze ich mich hin und bin sehr gespannt auf seine Überraschung. Vor mich legt er eine große Box hin, die edel aussieht. Sie ist hellblau und hat eine weiße Schleife. Fragend blicke ich ihn an. Aiden setzt sich neben mich und lächelt.
,,Wenn du möchtest, kannst du es öffnen'', sagt er. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Neugierig öffne ich die Schleife, hebe den Deckel der Box an. Was ich dann sehe, treibt mir Tränen in die Augen. Der Teddy, den mir mein Vater geschenkt hat, liegt darin. Na ja. Er sitzt eher. Ein Lächeln bildet sich auf meinen Lippen, als ich den Teddy in meine Hände nehme. Ohne zu zögern drücke ich ihn an mich und schluchze. Endlich ist er wieder bei mir. Diesen Teddy habe ich seitdem ich klein bin. Jedes Mal wenn mir meine Eltern fehlen, drücke ich ihn fest an mich. Er hat mir immer dabei geholfen, mich zu beruhigen. Ich vernehme seinen Duft. Er riecht immer noch gleich. Nach Mama und Papa. Ich blicke Aiden an, der mich anlächelt. Sofort umarme ich ihn. Ich bin ihm so dankbar.
,,Danke'', flüstere ich zufrieden. Er streichelt meinen Kopf. Dann löst er sich von mir und wischt mir meine Tränen mit seinen Daumen weg.

,,Nichts zu danken. Das habe ich gerne gemacht. Aber das ist nicht meine einzige Überraschung'', erklärt er mir. Noch mehr Überraschungen? Stimmt. In der Box liegt noch etwas. Ich blicke in die Box und sehe eine kleine Notiz auf einem dunkelroten Stück Stoff liegen.
,,Heute Abend bekommst du alle deine Antworten, mein Engel'', steht auf dieser Notiz. Ich blicke neben mich. Aiden ist weg. Er ist gegangen, bevor ich ihn fragen konnte, was es mit dieser Notiz auf sich hat. Ich lege sie beiseite und hole den Stoff aus der Box raus. Gleich unter dem Stoff befindet sich ein paar wunderschöne High-Heels und das, was ich bis gerade noch für einen einfachen roten Stoff gehalten habe, ist ein wunderschönes Kleid. Passend zu den High-Heels. Was hat das zu bedeuten? Ein Rätsel nach dem anderem. Die Sachen auf den Armen tragend begebe ich mich nach oben ins Schlafzimmer und beschließe sie anzuprobieren. Ich würde gerne wissen, ob mir so ein Kleid steht. Zwar sieht es simple aus, ist jedoch genau dadurch so wunderschön. Seltsamerweise passt es mir wie angegossen und auch die Schuhgröße stimmt. Woher weiß er meine Kleidergröße? Nachdem ich mich schließlich angezogen habe, blicke ich in den Spiegel und bin positiv überrascht. Eigentlich bin ich nie überzeugt von mir selbst gewesen, doch jetzt gerade finde ich mich ganz gut. Das Kleid steht mir. Ich denke nach. Was wird heute Abend geschehen?

Vielleicht sollte ich mich zurecht machen. Schließlich muss ich dem Outfit gerecht werden. Also beginne ich mit einem ausgiebigen Bad. Schließlich habe ich noch etwas Zeit und dieses Bad tut mir gerade sehr gut. Das warme Wasser gibt mir ein wohliges Gefühl. Ich ziehe mir den Bademantel, der an der Tür hängt, über und kämme mir die Haare. Aber wie soll ich mich schminken? Er hat doch sicherlich keine Make-Up Produkte zuhause. Trotzdem beschließe ich mal zu suchen und tatsächlich finde ich etwas. Sogar eine ganze Kommode voll. Das ist unmöglich. Weshalb hat er so viele Make-Up- und Pflegeprodukte für Frauen? Seltsam. Ich setze mich vor den riesigen Spiegel und beginne, mich zu schminken. Schon lange habe ich mich nicht mehr zurecht gemacht. Seit dem Tod meiner Eltern nie wieder. Heute ist es das erste Mal. Ich gebe mir sehr viel Mühe. Schließlich ist Aiden so attraktiv, da will ich wenigstens ein wenig gut aussehen. Auch wenn meiner Meinung nach nicht viel zu retten ist. Nachdem ich einigermaßen zufrieden mit meinem Aussehen bin, blicke ich auf die Uhr. Oh man. Ich habe wirklich lange gebraucht. Ein weiterer Grund, weswegen ich mich nie zurecht mache. Es ist tatsächlich schon Abend. Mit langsam Schritten begebe ich mich nach unten. Ich passe genau auf, dass ich nicht hinfalle. Schließlich habe ich lange nicht mehr solche Schuhe angehabt. Ich suche Aiden in der unteren Etage. Er ist weder im Wohnzimmer noch vor der Haustür. Doch vielleicht ist er im Garten. Also begebe ich mich in den hinteren Teil des Hauses und öffne die Tür, die zum riesigen Garten führt. Viele Lichter erleuchten die schönen Blumen. Dieser Garten ist ein Traum. Wenn es dunkel ist, ist er sogar noch schöner. Und inmitten dieser Schönheit steht Aiden, dessen Schönheit alles andere übertrifft.

HisWhere stories live. Discover now