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Psychic

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Kathi stockte der Atem. Dort stand der Mann, der Unschuldigen das Leben zur Hölle machen, wenn nicht sogar nehmen wollte. Wie konnte er so lässig bleiben, die Hand in der Cordhosentasche, ein schmieriges Lächeln auf den schmalen Lippen.

Sie konnte sich nicht mehr zurückhalten, es war ihr zunehmend egal, wie ihr Leben in naher Zukunft ein Ende finden würde.

"Du", zischte sie. "Wie kannst du nur?"

"Ich kann mich nicht erinnern, dir das Du angeboten zu haben, junge Dame", säuselt Flint und umspielt mit seinen Fingern am Abzug der Pistole herum. Kathi stutzte. Das war nun wahrlich ihr geringstes Problem.

"Schön...Und ich kann mich nicht daran erinnern, dass Sie meine Frage beantwortet hätten." Sie verschränkte die Arme. Flint schnaubte.

"Ist es nicht offensichtlich? Ich beschütze dich gerade vor deiner eigenen Familie...aus bloßer Gutmütigkeit. Und so dankst du mir?"

"Ich kann mich auch nicht erinnern, Ihnen das Du angeboten zu haben."

"Mädl, du bist sechzehn, du bist ein Kind. Steig von deinem hohen Ross herab. Ich habe ganz klar die Oberhand in dieser Diskussion." Flint schmunzelte und blickte an Kathi herab.

"Also, haste auch gespickt?", fragte er. Kathi schwieg. Sie will ihm nicht antworten. Nicht bevor er all das hier aufklärte.

"Jetzt musst du es auch nicht mehr leugnen." Sein Schmunzeln verzog sich zu einem gehässigen Grinsen. "Immerhin halte ich deine Eltern gerade selbst davon ab, dich auf der Stelle zu erschießen."

"Wo sind sie?", fragte Kathi und sackte automatisch in ihrer Statur zusammen.

"Das soll meine Sorge sein, Jungchen. Sie haben jedenfalls den Intellekt eines Toastbrotes, wenn du mich fragst. Sonst wäre das alles hier nicht passiert."

Kathi schluckte.

"So, nun zu deiner Frage...Wie konnte ich nur?" Flint tat so, als würde er überlegen, wobei er sich mit dem Lauf der Waffe am Kinn kratzt.  "Ich denke, das ist einfach zu beantworten...ich bin verdammt schlau." Er lächelte in sich hinein.

"Ja, ich denke, das ist es. Ich spiele die Menschen um mich herum, wie andere Profis ihre Violine. Ich bin der Solist der Manipulation..."

Kathi zuckte zusammen, als die Nacht mit einem Schlag kälter wurde. Sie würde es nicht zugeben, aber Flint strahlte eine unfassbare Macht aus, die sie immer mehr einschüchterte.

"Mein Freund schätzt das sehr an mir, weißt du?"

"Warte, Ihr Freund? Sie wollen alle LGBTQ-Mitglieder einer Firma aus der Welt haben, aber selbst sind Sie - "

"Schwul? Jup, Ironie des Schicksals, nicht?"

Kathi schüttelte wild den Kopf. Sie konnte es kaum glauben.

"Aber warum würden Sie das tun?", fragte sie entsetzt.

"Aus dem selben Grund weswegen die meisten Menschen da draußen irgendwelche abstrusen Dinge tun", sagte Flint. "Ich bekomme eine Unmenge an Geld dafür. Weißt du, es hat mich eine erstaunlich kurze Zeit gekostet, verschiedenste Firmeninhaber davon zu überzeugen, dass die LGBTQ-Community die Weltherrschaft an sich reißen will. Kompletter Stuss natürlich, außer mir möchte das niemand, aber wie auch immer...Wo war ich stehen geblieben?"

Fragend sah er Kathi an, die in eine Schockstarre verfallen war. Als diese ihm nicht antwortete, fuhr er einfach fort, wohlwissend, wo er stehen geblieben war.

"Ach ja, die dummen Firmeninhaber. Als ich sie um meinen Finger gewickelt hatte, gründete ich die Fake Organisation Psychic. Zum einen, weil alle, die Teil der Organisation sein wollten einen Dachschaden haben, zum anderen, weil es ziemlich cool klingt, oder nicht?"

Weiterhin starrte Kathi ihn nur an.

"Ja, ja, die Komplimente kannst du mir auch später geben", winkte Flint ab. "Jedenfalls weihte ich die betroffenen Angestellten ein. Ich bezahlte sie dafür, nicht zur Polizei zu gehen. Und weil Menschen bestechlich sind, war das alles kein Problem."

"Das kann doch nicht sein", entfuhr es Kathi. "Tessa würde niemals - "

"Eine Verschwörung für 500.000 Euro vertuschen, wie eine Hure? Doch." Flint streckte seinen Daumen in die Höhe.

"Ausnahmslos alle haben eingewilligt. Und jetzt geht der Spaß erst richtig los!" Er steckte die Pistole in seinen Hosenbund und rieb sich die Hände.

"Ich erzählte meinen Opfern, dass für die Aktion mehrere Millionen Euro von Nöten wären und sie haben es mir doch tatsächlich sofort überwiesen." Er zögerte. "Natürlich habe ich nicht alles behalten, ein Teil war für Roman, einen weiteren habe ich gespendet...ich bin ja kein Unmensch."

"Sie sind wie Hitler", murmelte Kathi. "Nur andersrum...irgendwie."

"Das hab ich jetzt mal überhört", tadelte Flint. "Jedenfalls fühle ich mich so frei, wie seit meiner ersten Panikattacke in einem Fahrstuhl schon lange nicht mehr. Und deshalb muss die Sache natürlich auch geheim bleiben. Mit meiner peinlichen Platzangst könnte ich doch nicht ins Gefängnis." Er zwinkerte.

"Das mit deinem Bruder tut mir übrigens ein bisschen Leid. Ich hätte nicht gedacht, dass die da wirklich 'n Typen für anheuern."

Kathi biss sich auf die Lippe. Ihr stiegen Tränen in die Augen, bei dem Gedanken an die Angst, die Marco verspürt haben musste. Vermutlich tagelang.

"Warum erzählen Sie mir das alles?", fragte sie schließlich. Flint zögerte kurz. "Nun ja, ich hatte eigentlich geplant, hier niemanden sterben zu lassen, aber jetzt hab ich mich ja doch ganz schön verplappert."

Er zückte die Pistole erneut und richtete sie auf Kathi, die erschrocken einen Schritt nach hinten machte.

"Goodbye! Mein allererster Psychic Mord!"

Ein diabolisches Grinsen huschte schattenartig über sein Gesicht.

Dann wechselte das Licht der Straßenlaterne von gelblich zu blau flackernd. Der Polizeiwagen bog direkt hinter Georg Flint in die Straße ein. Die Türen klappten auf und drei Polizisten stürmten hervor, brüllten Worte, die Kathi durch den Nebel aus Gedanken, Verwirrung und Angst kaum verstand.

Sie sah Flint ins Gesicht. Seine Augen zuckten wild, wie bei einem Tier. Fasst schon entschuldigend hob er seine Schultern. Dann schrie er. Ein geisterhafter Ton, der das Ratschen des Bibliotheksvorhangs verdrängte.

Und er drückte ab.

Kathi kniff ängstlich die Augen zusammen. Als sie sie wieder öffnete war Georg Flint gestorben.

Und mit ihm Operation Psychic.

The Shortest StoriesWhere stories live. Discover now