Kapitel 26

153 17 0
                                    

Kapitel 26

Angestrengt versuchte ich mir das Rezept von Livs und meinem Lieblingskuchen ins Gedächtnis zu rufen. Schokolade, Mehl, Butter, Milch, Zucker und Eier. Letzteres hat bei Leandro leider gefehlt, als er beschlossen hat mit dieser Cassie herumzumachen, ohne mich davon wissen zu lassen. Verzweifelt massierte ich meine Schläfen und stieß einen Seufzer aus.
Ursprünglich wollte ich etwas backen, um den Kopf freizubekommen, wie ich es immer tat, wenn mir alles zu viel wurde, doch dieses Mal gelang es meinem Gehirn in jeder Situation eine Verbindung zu Leandro herzustellen. Bewusst entschied ich mich dagegen Gitarre zu spielen, was neben dem Backen zu meinen Entspannungstätigkeiten zählte, denn dieses Mal hatte ich Bedenken, dass ich während des Spielens einfach ein paar Saiten herausreißen und die Gitarre gegen die Wand werfen würde.

Ich konnte es immer noch nicht fassen, wie naiv ich bloß gewesen war, um zu glauben, dass so jemand wie er – spannend, humorvoll und normalerweise intelligent – genau das gleiche für mich empfinden würde, wie ich es für ihn getan habe und leider immer noch tat, egal wie sehr ich mir versuchte vor Augen zu halten, was für ein gigantisches Arschloch er sein musste, um einen Tag nachdem wir miteinander geschlafen hatten ein Mädchen zu küssen, was er gerade erst kennengelernt hatte. Dass Cassie bildschön war und mit ihrer verführerischen Art wahrscheinlich jedes Männerherz zum Schmelzen bringen konnte, machte mich nur noch wütender, da ich diesen Prozess mit Naomi als bester Freundin schon etliche Male durchlaufen durfte.

Immer war sie diejenige, die angesprochen wurde. Sie war diejenige, für die man Gesetze brechen würde, nur um ihre vollen Lippen ein einziges Mal spüren zu können. Ich war immer nur die nette, einfühlsame Freundin, mit der man zähen Smalltalk führen musste, damit sie auch ja ein gutes Wort bei Naomi einlegte. Und tatsächlich hatte ich mich irgendwann daran gewöhnt. Spätestens mit Theo habe ich mich dann aber wieder begehrenswert gefühlt, auch wenn dieses Gefühl nicht lange anhielt. Na ja und dann kam Leandro und ich habe wirklich gedacht, dass das diese Liebe ist, von denen in all den Büchern und Filmen gesprochen wird. Die Liebe, die zwischen meinen Eltern herrschte. Die Liebe, die zwischen Liv und ihrer Freundin Sarah bestand und generell die Liebe, die man von allen wirklich tagtäglich unter die Nase gerieben bekam. Es fühlte sich so an, als würde ein Wettkampf unter den Liebenden bestehen, wer von ihnen denn nun am meisten mit Liebe beschüttet wurde und letzten Endes dann doch am Geltungsdrang erstickte.
In diesem Moment war ich jedoch diejenige, die daran erstickte, schon wieder nur die zweite Wahl gewesen zu sein. Wobei ich das gar nicht wissen konnte, vielleicht war ich ja schon die fünfte oder sechste Wahl, weil Leandro schon vorher Gefallen daran gefunden hat solchen perfekten Mädchen wie Cassie seine Zunge in den Hals zu stecken. Es würde mich nicht wundern, wenn er auch schon früher zufällig mit Naomi herumgemacht hätte. Von Loyalität verstanden sie beide nämlich nicht viel.

Wütend warf ich den Butterklotz in die Schale, woraufhin die ganze Schüssel samt Inhalt auf den Boden klatschte. Erst jetzt realisierte ich, wie sehr meine Emotionen überhandnahmen. Hoffnungslos glitt ich zu Boden. Meine Wut schwing zur unendlichen Trauer um und spätestens als ich die Sauerei sah, die ich in der frei zugänglichen Küche hier im Verfahrensgebäude kurz nach Mitternacht versuchte, ließen sich meine Tränen nicht mehr stoppen. Für gewöhnlich schaffte ich es immer Ruhe und einen kühlen Kopf zu bewahren, doch das einzige, was gerade kühl war, war die kalte Milch, die an der Theke herunterlief und das Zutatengemisch am Boden zu einem bemitleidenswerten Bild vervollständigte. Ich ließ meinen Tränen freien Lauf und erlaubte es mir, mich selbst zu bemitleiden und mich immer bejammernswerter zu fühlen. Lange habe ich mich nicht mehr so beschissen gefühlt, wie jetzt. Ich hoffte inständig, dass niemand durch den Lärm auf mich aufmerksam wurde. Schon gar nicht wollte ich mich vor den Leuten erklären müssen, die Einfluss auf das Ergebnis des Auswahlverfahrens besitzen. Und doch sehnte ich mich nach einer Person zum Reden. Was hätte ich bloß dafür getan, um jetzt mit Liv hier sitzen zu können. Sie hätte mir wie immer zugehört und mich davon überzeugt, dass alles gar nicht so schlimm war, wie ich es vermutete. Vielleicht hätte sie mich auch mit einem ihrer coolen Sprüchen zum Lachen gebracht. Aber vielleicht hätte sie auch einfach nur dagesessen und mich mit ihrer bloßen Anwesenheit besser fühlen lassen. Einen Moment lang saß ich noch angelehnt an der Theke und betrachtete die Küche, welche blitzblank war und nicht einen einzigen Kratzer aufwies.
Tatsächlich traf ich nun auf eine Person zum Reden, aber dies war wahrscheinlich die letzte, mit der ich in diesem Moment reden wollte. Cassie. Als ich genauer hinhörte, ergänzte eine zweite helle Stimme die Geräuschkulisse. Schnell probierte ich mich zu verstecken und wie es das Schicksal wollte, entdeckte ein kleines Loch am Ende des Raumes, welches mit einer Klappe geschützt war. Es war gerade so groß, dass man hineinkriechen konnte.

Perfect LieWhere stories live. Discover now