Kapitel 2

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Kapitel 2

„Liebe Teilnehmer- und Teilnehmerinnen des 499. Verfahren, begebt euch bitte nun ins Gebäude und meldet euch mit eurem Ausweis und eurer Zulassung am Empfang an. Weitere Informationen werden folgen."

Am Empfang angekommen, erwartete mich erst einmal eine unendlich lange Schlange. Das Warten bot mir zumindest die Chance meinen Jahrgang, oder zumindest ein Teil von diesem, genauer zu betrachten.
Es war unglaublich, wie viele Menschen jedes Jahr das Verfahren absolvierten. Noch unglaublicher war es, dass das Verfahren wirklich für jeden einen Partner innerhalb des Jahrganges fand.

In der Schlange neben mir standen drei nahezu gleich aussehende Mädchen, welche um die Wette zu kicherten. Ich verfolgte ihren Blick und landete bei einem Jungen, der sich deutlich von der Masse abhob. Er trug ein kaputtes T-Shirt und seine großen Pickel auf der Stirn waren bis hierhin zu erkennen. Den Grund des Kichern konnte ich somit leicht erschließen und merkte, wie sich unweigerlich meine Hände zu Fäusten ballten.

Leider gehörte ich ebenfalls nicht zu den Glücklichen, die mit reiner Haut gesegnet wurden und kannte daher das Problem von unreiner Haut und Pickel viel zu gut, doch durch Make-Up lässt sich zum Glück vieles kaschieren. Inzwischen habe ich mich aber schon irgendwie damit abgefunden und für den Alltag mussten Mascara und Augenbrauenpuder herhalten.

Ein lautes Schluchzen riss mich aus meinen Gedanken. Knapp fünf Meter von mir entfernt fiel ein Mädchen auf die Knie und schaute flehend zur Sicherheitspersonal auf, ihre Augen mit Tränen gefüllt.

„Bitte, da-das muss sich um ein Fehler handeln, mein Pass ist gültig, wirklich, überprüfen Sie ihn nochmal", man konnte dem Mädchen ihre Verzweiflung aus tiefsten Herzen ansehen und ich verspürte sofortiges Mitleid mit ihr.
Als sie dann auch noch abgewimmelt wurde brach sie komplett zusammen. „N-Nein, das geht so nicht! Ich muss meine große Liebe finden un-und glücklich werden. Bitte glauben Sie mir! Was soll ich denn ohne den Test machen", sie weinte bitterlich und hielt sich am Bein des Sicherheitsmannes fest.

Ich merkte selbst, wie meine Augen begannen sich mit Tränen zu füllen, und probierte schnell mich auf andere Gedanken zu bringen. Es ist bestimmt alles nur ein Missverständnis, was sich schnell aufklären wird. Von solch einer Situation habe ich noch nie gehört, es gab eigentlich keine Probleme beim Verfahren. Vielleicht dürfte sie ja am Spätverfahren teilnehmen.

Erfolgreich konnte ich meine Tränen unterdrücken, als ich mich an ein Gespräch mit meiner Familie erinnerte.
„Juliette, bist du dir wirklich sicher, dass du Psychotherapeutin werden möchtest? Du würdest doch sofort anfangen zu heulen, wenn dir jemand von seiner schrecklichen Kindheit erzählen würde." „Außerdem ist der Beruf am Aussterben, fast niemand ist mehr unglücklich. Und das Gehalt ist wirklich schrecklich" „Aber sie wäre eine Therapeutin, die sich wirklich für das Wohl ihrer Patienten interessiert und ihnen vom ganzen Herzen helfen wollen würde, und nicht nur auf deren Geld aus ist." Bei dem Gedanken musste ich lächeln. Liv hat schon immer an mich geglaubt. Klar, meine Eltern auch, aber sie verstand mich immer ein kleines Stück mehr. Ich vermisste sie jetzt schon.

Die Situation sorgte für Unruhe und angsterfüllte Gesichter. Jeder hier hatte Angst, dass beim Verfahren etwas schief läuft, schließlich fieberten wir unser gesamtes Leben darauf hin. Ich kenne sogar ein paar Leute, die sich extra Hobbys gesucht und ausgeübt haben, welche als attraktiv gelten, oder neue Sprachen gelernt, um ihr Feld an potenziellen Partnern zu erweitern. Letztendlich gleicht aber keinem Verfahren dem Anderen, und Tipps und Erfahrungen unserer Eltern oder Geschwister lassen sich nicht auf ein anderes Verfahren übertragen.

In der Schule hatten wir oft besprochen, wie viel Arbeit hinter allein einer Phase des Verfahrens steckt, dass die Regierung durchgängig zu tun hat, auch wenn das Verfahren nur einmal jährlich ausgetragen wird. Das Spätverfahren bedarf weniger Vorbereitungszeit, da dort, anders als am Hauptverfahren, keine Millionen Menschen teilnahmen.

Perfect LieOù les histoires vivent. Découvrez maintenant