Kapitel 20

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Wincent

Eine Woche später war es soweit und ich musste Emma und mein Baby Zuhause lassen, um zu unserer ersten Bandprobe zu fahren. Es waren zwar immer noch knapp drei Monate hin bis zum Tourstart, aber wir wollten uns mal richtig gut vorbereiten für die letzte große Tour für wer weiß wie lange. Und im Dezember hatten wir nur ein paar Tage eingeplant und dann kam schon Weihnachten und Silvester und dann urplötzlich der Januar. Deswegen starteten wir dieses Mal früher. Okay, und vielleicht lag es auch daran, dass wir es kaum erwarten konnten die neuen Songs einzuspielen. Und dass wir mal ein paar Tage Männerzeit brauchten. Aber das konnten wir unseren Frauen ja schlecht sagen. „Fahr bitte vorsichtig", meinte Emma und schlang ihre Arme um meinen Hals. „Mach ich", versprach ich ihr und drückte sie noch einmal fest an mich. Mein Baby wollte sich wohl auch verabschieden, zumindest strampelte es kräftig gegen Emmas Bauchdecke. Sanft legte ich meine Hand auf ihren Bauch und da wurde es automatisch ruhiger. „Pass auf euch auf, okay?", bat ich Emma, die nur nickte. Ich sah genau, dass ihre Augen feucht wurden, aber ich musste gehen. Ich war eh schon wieder viel zu spät dran. 

Ich drückte ihr einen langen Kuss auf die Lippen und griff dann nach meinem Rucksack. „Ich liebe dich", schluchzte sie. „Ich dich auch, Schatz", erwiderte ich. Konnte ich sie grade wirklich so stehen lassen? „Es is nur ne Woche...", meinte ich und öffnete die Haustür. „Ich weiß", schniefte Emma und wischte sich die Tränen von den Wangen. Ich versprach ihr, dass wir jeden Abend telefonieren würden, und dann ging ich. Wie sollte das nur vor der richtigen Tour werden? Wenn ich drei Wochen lang wegsein würde und das so kurz vor dem Geburtstermin? Ich musste meine Mum schon mal vorwarnen, dass sie für die Zeit nach Emma schauen sollte. Wenn ich nicht hier war, brauchte sie schließlich eine Anlaufstelle, falls etwas sein sollte. Ich hatte gedanklich alles schon geplant, damit Emma entlastet war. Aber das Thema hatte noch Zeit.

Je näher ich unserer Probenlocation kam, desto weiter wuchs die Vorfreude in mir. Ich hatte so Bock! Ich parkte mein Auto neben dem meiner Kollegen und suchte schnell die Halle auf, denn es war eiskalt geworden. „Hallöchen", trällerte ich, nachdem die Tür ins Schloss gefallen war. Wie immer waren alle schon vor mir da, aber warum sollte sich nach all den Jahren auch irgendwas daran ändern. Wir begrüßten uns ausgiebig und natürlich wollten sie alle auf Stand gebracht werden, was das Baby betraf. „Ich freu mich so sehr für euch", sagte Manu zuerst, bevor die Glückwünsche einmal die Runde machten. Mein Strahlen wurde größer und breiter. „Wir freuen uns auch", meinte ich abschließend und ließ mich auf einen der Stühle fallen. „Aber das heißt auch, dass wir die Tour ohne Emma machen müssen", sagte ich und alle vier starrten ich mit großen Augen an. Hatten sie wirklich gedacht ich würde meine hochschwangere Frau mit auf Tour nehmen? „Das Abschlusskonzert is ne Woche vor dem Geburtstermin, das geht nicht anders. Stellt euch mal vor, es ist irgendwas unterwegs?", sprach ich weiter. 

„Stimmt natürlich", warf Manni ein. Ja, natürlich stimmte das. Wenn ich mir vorstellte, dass Emma Wehen kriegen würde unterwegs, wurde mir ganz anders. Dass es eigentlich noch ungünstiger war, wenn sie Wehen kriegen würde, während ich am anderen Ende von Deutschland festsaß, kam mir da noch nicht in den Sinn. „Aber Amelie macht das sicher genauso gut wie Emma", grinste ich. Und bei der konnte ich mir auch mehr erlauben, dachte ich. „Aber wir haben sie schon so lange nicht mehr gesehen", jammerte Flo. „Und jetzt hast du sie auch Zuhause gelassen", stieg Manni mit ein. Ich konnte nur mit dem Kopf schütteln. Was hatten die Jungs eigentlich so an meiner Frau gefressen? „Sie muss arbeiten. Das vorbereiten, was sie für die Tour an Amelie übergeben muss", erklärte ich. „Aber ich bring sie zur nächsten Probenwoche mit, okay?" Ich sah in die Gesichter um mich und nach und nach nickte es. „Klasse, dann können wir ja jetzt loslegen, wenn wir das geklärt haben, oder?", schlug ich vor und klatschte in die Hände.

Dass ausgerechnet Ich mal diesen Job übernehmen müsste, hätte ich ja auch nie für möglich gehalten. Aber wir hatten Einiges vor. Wir hatten im Sommer nicht alle neuen Songs gespielt, aber bei der Tour zum Album mussten die natürlich dabei sein. Zumindest die Meisten. „‚Was weißt denn du schon über mich' muss auf jeden Fall drauf", merkte ich an, als wir grob die Setlist besprachen. Den konnte man nicht oft genug spielen. „Die Leute müssen langsam mal lernen, dass es mich nicht juckt, was über mich geredet wird. Und genauso müssen die Kids lernen nichts darauf zu geben, was über sie geredet wird", fing ich an und erzählte von den Begegnungen, die ich manchmal hatte, mit Emma oder auch alleine, und den Schlagzeilen, die es gab, wenn ich alleine irgendwo war. „Aber ein Glück hast du Emma, der war sowas ja immer egal", warf Manni ein. Er hatte Recht, so grundsätzlich, aber manchmal merkte ich schon, dass sie das belastete. Wenn sie einen schlechten Tag hatte, oder ihre Hormone mal wieder durchdrehten, oder die Presse es absolut übertrieben hatte. „Und sie geht immer auf Konfrontation, das find ich gut", grinste Manu. Wann waren wir eigentlich schon wieder zu Emma abgedriftet, fragte ich mich gedanklich. Selbst wenn sie nicht dabei war, spielte sie eine große Rolle. „Sie hat einen großen Teil zu diesem Album beigetragen, was hast du erwartet?", klopfte mir Manni auf die Schulter. Scheinbar hatte ich laut gedacht. 

Bevor wir uns wieder in Grübeleien und Gedanken verlieren würden, sagte ich den nächsten Song an. Sonst würden wir in dieser ersten Woche nichts schaffen. Natürlich kam auch das Private nicht zu kurz und wir gönnten uns am Abend das ein oder andere Bier. Auch wenn ich Emma vermisste, taten diese Abende unter Männern ziemlich gut. Auch wenn sie versuchten mich mit Horrorgeschichten über Schwangerschaft, Geburt und die erste Zeit mit Baby zu schocken, aber das ließ ich gar nicht an mich ran. Emma und ich machten einen Onlinevorbereitungskurs und schon nach der ersten Stunden hatte ich ziemlich viele Ängste und Horrorvorstellungen eigentlich verdrängt. „Aber es wird anstrengend", hörte ich Benni sagen. „Aber es lohnt sich", schmunzelte ich, „oder etwa nicht?" Ich linste auf sein Handy, auf dem ihm ein Foto von seinem Sohn und seiner Frau entgegen leuchtete. Grinsend sah er mich an. Natürlich lohnte sich das. 

Für immer DuWhere stories live. Discover now