Kapitel 61

817 31 0
                                    

Wincent

Endlich gingen wir einen Schritt in die richtige Richtung. Endlich hatte Emma mal ihren Mund aufgemacht. Ich hätte nicht gewusst, was ich noch hätte tun sollen. Umso erleichterter war ich nun, dass sie ausgesprochen hatte, was sie eigentlich die ganze Zeit beschäftigte. Auch wenn wir immer noch eine ganze Latte an Themen aufzuarbeiten hatten. Ich ging an ihr vorbei, um die Sachen an die Haustür zu stellen, als ich plötzlich hinter mir meinen Namen hörte; und das so verzweifelt und so ängstlich, wie ich ihn noch nie gehört hatte. Sofort ging ich die Schritte zurück Richtung Schlafzimmer, wo Emma noch immer wie angeschossen in der Tür stand und heulte. „Du kannst nicht gehen! Du kannst mir nicht sowas sagen und mich dann alleine lassen! Du hast gesagt wir müssen reden. WIR. Du kannst mich nicht verlassen!", schrie sie. Sie hyperventilierte schon fast, sodass ich richtig Panik bekam. „Du...ich...wir", versuchte sie was zu sagen, aber ständig verschluckte sie sich oder schluchzte auf. Was war ich nur für ein Idiot. 

Ich nahm sie in den Arm, hielt sie so fest ich konnte und ließ mich mit ihr auf den Boden sinken. Sie heulte und schluchzte, bis mein Shirt klatschnass war und sie sich irgendwann wieder beruhigt hatte. „Ich geh nicht. Und ich verlass dich auch nicht", murmelte ich, um erstmal mit dem größten Missverständnis aufzuräumen. Niemals würde ich sie hängen lassen. „Nicht?", fragte sie und sah zu mir hoch. Ich schüttelte mit dem Kopf. „Also ich geh schon", fing ich an und schon wieder weiteten sich ihre Augen, „aber ihr kommt mit." 

„Hä?", machte sie und allmählich musste ich schmunzeln. Diese Szene hier war filmreif gewesen- Hollywood hätte das Drehbuch nicht besser schreiben können. Ich schob Emma von mir runter und stand auf, ehe ich ihr meine Hand hinhielt. „Komm mit", forderte ich sie auf und zog sie aus der Haustür. „Tada", machte ich und breitete meine Arme vor unserem VW-Bus aus. Emma schaute mich immer noch verwirrt an, ehe sie die Arme vor der Brust verschränkte. „Das Auto ist jetzt nun wirklich nichts Neues", brummelte sie. Ich öffnete den Kofferraum und schob sie dahin, dass sie die Matratze und die Küchenschränke erkannte. Und wieder schaute sie nur verwirrt zwischen mir und dem Auto hin und her. Frauen, rollte meine innere Stimme mit den Augen.

„Wir fahren weg. Frag mich nicht wohin, aber weg. Nur du, Flori und ich. Wir brauchen Abstand und mal Zeit für uns. Und hier schlafen wir", erklärte ich Emma meinen Plan. „Aber was ist mit..?", fing sie an. Ich wusste, was sie sagen wollte. „Meinem Job? Ich hab Amelie eingeweiht und gesagt, dass ich das jetzt machen muss, weil sonst meine Beziehung am Arsch ist. Somit kümmert sie sich um alles", erwiderte ich. Ich hatte alles geplant, letzte Nacht, nachdem Marco hier war und sich mein Gejammer und meine Verzweiflung anhören musste. „Du bist verrückt", murmelte Emma und sah sich nebenbei im Bus um. Wir würden nicht viel haben, aber wir würden auch nicht viel brauchen. Und so wie sie guckte, freute sie sich. 

Ich kuschelte mich an ihren Rücken und schlang meine Arme um ihre Mitte. „Ich bin nicht verrückt. Ich will nur meine Familie wieder zurück. Und ich glaube, dass wir das hier nicht schaffen, weil uns zu viel ablenkt. Ich will einfach nur mit meinen zwei liebsten Lieblingsfrauen zusammen sein und ich will reden- mit dir. Weil es scheinbar noch eine ganz große Baustelle in deinem Kopf gibt", flüsterte ich ihr ins Ohr. Ich sah wie ihr die Tränen über die Wangen liefen, aber ebenso sah ich sie lächeln. „Es tut mir so leid, wie alles gelaufen ist", sagte Emma leise und drehte sich in meinen Armen um. Wann wir uns das letzte Mal so nah waren, wusste ich schon gar nicht mehr. 

Ich genoss die Nähe zu ihr und wie sie mir durch die Haare strich und ihre Hände an meine Wangen legte. „Ich liebe dich, Wincent, hab ich immer und werd ich immer", flüsterte sie und ehe ich ihr antworten konnte, küsste sie mich. Sie küsste mich so ehrlich und intensiv, als wollte sie all die letzten Wochen nachholen. Ich spürte, wie ich mich beruhigte und mein Herz weniger schwer wurde. Und als wir knutschend vor unserer Haustür standen wusste ich, dass ich eine gute Idee hatte. Langsam löste Emma sich und kuschelte sich an meine Brust. Ich strich ihr über den Rücken und war einfach nur froh, dass wir uns hatten.

„Wo ist eigentlich Flori?", fragte sie irgendwann. Nachdem ich meine Antwort, dass sie bei meiner Mum war, ausgesprochen hatte, erwartete ich schon Panik und Gezeter, aber dem war nicht so. Und trotzdem hatte ich das Gefühl mich rechtfertigen zu müssen. „Ich brauchte einen Moment mit dir alleine. Um dich in meinen Plan einzuweihen und damit du packst. Unsere Fähre geht nämlich heute Nachmittag schon", gestand ich ihr und sah sie vorsichtig an. Emma lächelte sanft. „Dann werd ich wohl mal packen", meinte sie und ließ mich stehen. Unwillkürlich musste ich aufatmen und setzte mich in meinen offenen Kofferraum. Ich wusste ja, dass Emma ein Emotionsbündel war, aber das hier- das hatte ich nicht erwartet. Kurz brachte ich Marco per Nachricht auf Stand, bevor ich den Rest packen wollte, aber meine Mum rüber kam. „Und, freut sie sich?", fragte sie freudig grinsend. Ihr hatte ich nur die halbe Wahrheit erzählt. Oder besser gesagt nur den Teil mit dem Wegfahren. Dass wir eine riesige Krise hatten und wir ohne die Reise wahrscheinlich die Scheidung einreichen würden oder ich Emma in die Psychiatrie einweisen würde, verschwieg ich. 

„Klar freut sie sich", erwiderte ich nur. „Sie hätte mich zwar beinahe umgebracht, weil ich sie so lange hingehalten hab, aber jetzt gehts wieder", log ich, aber ich wusste, dass sie so keinen Verdacht schöpfen würde. „Na dann", machte sie nur und ging wieder rüber. Ich hatte keine Zeit mir Gedanken zu machen, was dieses ‚na dann' bedeuten könnte, oder auch nicht, denn ich musste fertig packen. Es war Sommer und somit würde es selbst in Schweden warm sein, aber wer weiß wo es uns noch hinverschlagen würde. Während Emma eine Kiste für Florentine packte, räumte ich den Bus voll und war erstaunt wie viel Kram man zu dritt so brauchen könnte. Wir stapelten bis unters Dach und schlossen schnell den Kofferraum, ehe die Hälfte wieder rausfallen könnte. „Eingekauft hat meine Mum. Dann machen wir die Kühlbox noch voll und instruieren sie, dass Carlos versorgt ist; dann können wir los", meinte ich und war schon auf halber Strecke über die Straße. Aber Emma folgte mir nicht, stattdessen stand sie neben unserem Auto und starrte an die Haustür. 

„Was is?", fragte ich sie, als ich bei ihr angekommen war. Sie würde doch wohl nicht zweifeln? Sie würde doch wohl nicht hier bleiben wollen? „Wann auch immer wir wieder hier her kommen, will ich, dass wir uns was Größeres suchen", sagte sie nur und nahm meine Hand. Ich hatte ja schon längst einem Makler den Auftrag gegeben, aber das war hier oben einfach echt ne schwierige Nummer. „Machen wir, aber erstmal fahren wir weg", meinte ich nur. Florentine musste nochmal stillen und brauchte frische Windeln und dann machten wir uns auf den Weg Richtung Schweden. Je länger ich fuhr, desto freier fühlte ich mich. Ich hoffte, das schlechte Gefühl hing nicht an dieser Wohnung und würde mich wieder einnehmen, sobald ich wieder Zuhause war. Ich hoffte wir würden auf dieser Reise unsere Leichtigkeit wieder finden und behalten. Ich hoffte wir würden wieder Emma und Wincent plus Florentine werden. 

Für immer DuWhere stories live. Discover now