Kapitel 70

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Wincent

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, lag Emma noch immer an mich gekuschelt da, Florentine zwischen uns, und lächelte mich an. Was hatte ich diesen Anblick vermisst. Was hatte ich den Verlauf des gestrigen Abends vermisst. „Grins nicht so, es sind Kinder anwesend", flüsterte Emma und strich mir durch meine verwuschelten Haare. Ich drehte mich auf die Seite und beugte mich über meine Tochter, um meiner Frau einen Kuss auf die Lippen zu drücken. „Sorry, aber mein Kopf is nach gestern wieder voll bei dir", flüsterte ich, weil ich genau wusste, was das mit ihr machte. Und mein Gefühl täuschte mich nicht, als sie ihre Lider aufschlug und mich ihre dunkle Augen anleuchteten. Ich spürte diese gewohnte Anziehung zwischen uns, die mein Herz schneller schlagen ließ. „Solange Flori noch schläft, mach ich Yoga. Holst du Brötchen?", fragte mich Emma und holte mich mit dieser belanglosen Frage wieder ins Hier und Jetzt zurück; weg von meinen Gedanken an eine heiße zweite Runde mit Emma und das traf mich mit voller Wucht. Die Hitze schwand rasant aus meinem Körper, als sie den Kofferraum öffnete und frische Sommerluft herein ließ. „Guck nicht so, Schatz. Wir kommen schon noch dazu, aber nicht jetzt", meinte Emma und sah mich etwas amüsiert an. Na toll, die hatte mich direkt durchschaut. 

Während Emma sich umzog und ihre Matte ausrollte, suchte ich in unserem Chaos nach frischen Klamotten und lief dann in Richtung Kiosk. Ich nutzte diesen Moment, um Marco auf den neusten Stand zu bringen, der wartete schließlich jeden Tag auf Neuigkeiten. ‚Wir haben geredet. Viel geredet', tippte ich und sofort kam eine Antwort. Ein wildes Emoji-Rätsel mit Herzchen, Auberginen und Wassertropfen. Schmunzelnd antwortete ich: ‚Wirklich geredet, du Pfeife! Aber eventuell sprang danach auch richtig guter Sex bei raus'. Ich las nahezu Erleichterung in seiner Antwort. ‚Zum Glück, ey! Ne, jetzt mal ganz ohne Spaß; ich bin froh, dass ihr das geklärt habt. Und jetzt genießt euren Urlaub'. Er konnte es halt doch nicht lassen eindeutig zweideutige Emojis anzuhängen. Aber ich nahm mir seine Worte zu Herzen und gab alles, dass wir den Urlaub genießen konnten. Auch wenn das Wort ‚Urlaub' immer weiter in den Hintergrund rückte.

Mir gefiel der Gedanke unterwegs zu sein und was von der Welt zu sehen. Mein Job interessierte mich dabei null. Aber für den Moment blieben wir bei Urlaub und machten uns nach dem Frühstück auf den Weg. Paul und Lisa waren mit Bella auch in Schweden und mit denen hatten wir uns verabredet. Sie hatten ein tolles Strandhaus am Meer gemietet und auf dem großen Grundstück konnten wir mit dem Bus noch ein Stellplätzchen ergattern. Und die Bude war groß genug, sodass wir uns ein richtiges Bett gönnen durften. Meine alten Knochen freuten sich eventuell ein bisschen darauf. Ob Paul und Lisa etwas von unseren Problemen mitgekriegt hatten, wusste ich nicht, aber sie wirkten total normal, als wir ankamen. Ich freute mich riesig, auf meine Freunde und natürlich auch auf Bella, die richtig gewachsen war, seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten. „Bist du groß geworden", hörte ich mich sagen und fühlte mich urplötzlich ziemlich alt. Erstrecht als mich Emma schmunzelnd musterte. 

Bella nahm mich direkt in Beschlag, wie immer, aber da ich Florentine auf dem Arm hatte, war ich noch interessanter. Ich kniete mich zu Bella auf den Boden, die ganz ehrfürchtig war und vorsichtig über Floris Kopf strich. Es war schon schön, sie zu beobachten. Sie wäre sicher eine tolle große Schwester, kam es mir in den Sinn. Als Flori langsam wach wurde und Hunger hatte übergab ich sie an ihre Mutter und setzte mich zu Paul und Bella in den Sand. Egal welcher Strand, egal welches Meer, ich war sofort geerdet, wenn ich umgeben von Küste war. „Du genießt das, oder?", hörte ich Paul neben mir sagen und da öffnete ich meine Augen und sah zu ihm rüber. Ich nickte nur. War ich so leicht zu durchschauen? „Ich hab dich lange nicht so gelöst und entspannt gesehen...", meinte er.

Offensichtlich war ich leicht zu durchschauen. Aber er hatte natürlich auch Recht- ich konnte mich mal nur auf mich und meine Familie konzentrieren und musste an nichts anderes denken, und das tat mir gut. Die letzten drei Jahre lief ich beruflich gesehen einfach immer auf Hochtouren und das störte mich nicht, weil Emma immer dabei war, aber jetzt wo wir das nicht mehr hatten, merkte ich erst wie anstrengend unser Leben vorher war. „Uns gehts gut, ja", antwortete ich Paul, „tut uns gut unterwegs zu sein, also alleine". Unterwegs waren wir vorher schließlich auch, aber bei Weitem nicht so entspannt. „Aber wir sollten nicht nur über uns reden...wir haben uns auch ewig nicht gesehen, wie läufts bei euch?", wechselte ich das Thema. Es tat gut, mal zuzuhören und nicht zu erzählen, und ich genoss es, mich auf den neuesten Stand bringen zu lassen, was Paul und seine Familie anging. Bella war ihr Ein und Alles, ein wahrer Sonnenschein und seit sie in die Kita ging, arbeitete Lisa auch wieder. Paul war viel unterwegs und überlegte gerade einen Job für Olympia anzunehmen. 

„Aber das ist zeitlich ziemlich knapp, also wenn...", redete er drauf los, bis er urplötzlich stoppte. „Also wenn...", wiederholte er und erst dann wurde ich hellhörig. Ich sah seinen Kopf förmlich rauchen, als ich mich zu ihm drehte und ihn musterte. Ich hob eine Augenbraue und sah ihn an. Seufzend sah er zu mir rüber. „Du musst echt die Klappe halten, dass ich mich verplappert hab", meinte er und ich nickte nur schnell. Ich hatte schon so eine Ahnung, was das ‚Problem' war. „Ja also eventuell fällt der Geburtstermin genau in den Zeitraum", flüsterte er und ich spürte schon wie ich bis über beide Ohren strahlte. „Ja, Glückwunsch, ey", sagte ich nur und klopfte ihm auf die Schulter. Hatte ich vorhin nicht erst noch darüber nachgedacht, wie toll Bella sich als große Schwester machen würde? „Danke", grinste er nur, „aber kein Wort. Is wirklich alles noch ganz frisch".

Ich hielt ihm meine gekreuzten Finger hoch und hoffte, ich könnte dieses kleine Geheimnis wirklich für mich behalten. Aber ehrlich? Das wäre das erste Mal, dass ich etwas vor Emma geheim halten könnte. „Eventuell muss ich es Emma sagen...die sieht mir an, wenn ich was weiß, was keiner wissen soll", gab ich zu. Ich war leider der schlechteste Schauspieler der Welt- zumindest vor meiner Frau. Seufzend ließ Paul seinen Kopf hängen, er wusste er hatte es versemmelt und auf mich war leider so gar kein Verlass. „Naja, lass Instagram halt da raus", brummte er nur. „Seh ich so aus? es ist nicht ein Foto von Flori dort aufgetaucht und das wird es auch nie", verteidigte ich mich direkt. So blöd war nicht mal ich. „Ich weiß, das war auch nicht ernst gemeint", erwiderte er und schlug mir auf die Schulter. Das war mir wirklich wichtig. Was mit Emma und mir war, war mir mittlerweile fast egal- es gab Fotos von uns, auch auf meinem Profil oder ihrem, und natürlich gab es Klatsch über uns. Aber wir hatten uns daran gewöhnt, oder wir hatten aufgehört uns das anzusehen. „Ich hoff n bisschen, dass es n Junge wird", hörte ich Paul sagen und da widmete ich mich wieder meinem Kumpel. Viel zu gerne philosophierte ich über Zukünftiges und ich konnte seinen ‚Wunsch' verstehen. Wie es ist Mädchenpapa zu sein wussten wir ja jetzt, aber wie war das Leben als Jungspapa? Sicher anders. Wir hatten uns in nullkommanichts in wilde Theorien verstrickt, dass wir ganz schön die Zeit vergaßen. 

Für immer DuWhere stories live. Discover now