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Das Handy lag auf meinen Knien und wackelte gefährlich, wenn ich mich bewegte. Es erlebte ein grausames Spiel, bei dem es immer kurz davor stand auf dem Boden zu laden. Mein linkes Bein bewegte sich nach vorn. Das Telefon kippte. Dann schob ich mein rechtes Bein nach und es lag wieder gerade.

Ich saß am Boden, den Rücken gegen die freie Wand neben dem Bücherregal gelehnt. Die Sonne fiel schräg zum Fenster herein und zauberte einen Lichtfleck an die Wand. Den Arm ausgestreckt, tauchte ich die Hand in den Sonnenfleck und malte Schatten an die Wand. Ein Hund. Eine Gans. Ein böser Finger. Ich schindete Zeit. Zeit, die ich zwar hatte, aber mir nicht guttat. Denn die Aufgabe, die vor mir lag, wurde nicht einfacher, egal wie lang ich sie hinauszog.

Tatsächlich verschlimmerte sich die Situation mit jeder Minute, die verstrich, weil ich Ashley erklären musste, warum ich mich erst so spät bei ihr meldete. Vor meiner Abfahrt nach New Brighton hatte ich ihr jeden Morgen einen Anruf versprochen. Nicht um ihr einen Wunsch zu erfüllen. Vor gerade Mal zwei Tagen hatte ich noch gedacht, ich würde nichts sehnlicher tun wollen, als mit ihr zu telefonieren.

Der Moment, an dem wir uns verabschiedet hatten, hing lebendiger in meinem Gedanken als alles anderem das seitdem passiert war. Doch gleichzeitig konnte ich die Poppy von vorgestern nicht mehr begreifen. Als existierte eine vollkommen andere Version von mir in meiner Erinnerung.

Ashley hatte mich zum Auto geschoben, ich mich gegen sie gestemmt.

„Komm schon. So schlimm wirds schon nicht werden. Du triffst deine Eltern. Und Aydin."

„Aber ich will doch bei dir bleiben."

Ich jammerte, wie ein Kleinkind, dass Eis haben wollte.

Ashley nahm mein Gesicht zwischen ihre warmen Hände. Sie grinste. Ihre braune Haut schimmerte und verlieh ihr ein frisches und gesundes Aussehen. Mein Beach Girl. Als ob sie in Kalifornien gerade vom Strand kam. Von der Sonne geküsst, das Haar vom Wind zerzaust.

Sie küsste mich.

„Die zwei Wochen gehen ganz schnell rum. Wir schreiben uns ganz viel. Ok?"

Ihr liebevoller Blick aus blau-grauen Augen streichelte mich.

„Und wir telefonieren jeden Morgen.", verlangte ich.

Sie lächelte nachsichtig und gab mir noch ein Kuss. Ich folgte ihren Lippen als sie sich löste und drückte meinen Mund an ihre Lippen, Wangen und Nase, bis mir Ashley kichernd die Hand vor den Mund drückte.

„Hmmmpf."

Ich knutschte ihre Handfläche.

„Ok. Ok. Jetzt fahr schon. Dani hasst es, wenn du zu spät kommst."

Nach den Worten zog sie mich in ihre Arme und hielt mich an sich gedrückt. Ich spürte, dass es ihr ebenfalls schwer fiel mich gehen zu lassen. Ashley blieb mühelos positiv, aber sie kämpfte stets damit, negative Gedanken auszusprechen.

„Ich ruf dich jeden Morgen an. Gleich nach dem Aufwachen.", wisperte ich und drückte meine Wange gegen ihre. Ich krallte die Hände in den Stoff ihres Shirts und dachte nur daran, wie sehr ich sie vermissen würde. Und wie sehr ich sie mitnehmen wollte.

Wir trennten uns zum ersten Mal für längere Zeit und ich hatte befürchtet mein Herz würde ohne ihre Nähe vertrocknen und absterben.

Jetzt saß ich hier und wagte es nicht sie anzurufen. Die Erinnerung machte es mir noch schwerer. Die Angst Ashley zu verlieren, steigerte sich in ein unerträgliches Maß. Obwohl ich ihr nicht einmal sagen wollte, was passiert war. Nicht übers Telefon. Das hatte sie nicht verdient. Und ich hatte es verdient, dass ich ihr während meiner Beichte ins Gesicht sehen musste. Dabei zusehen musste, wie ich ihr Herz brach und sich ihre Liebe zu mir in Wut und Enttäuschung wandelte. Ohne dass die Entfernung zwischen uns mich von den Folgen meiner Handlungen schützte.

Hey Poppy  (girlxgirl)Where stories live. Discover now