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Bevor ein Zeichen von Heaven kam, stießen Aydin und Ronald wieder zu uns. Sie hatten Sophie im Schlepptau, die sich äußerst angeregt mit Aydin unterhielt. Als die drei uns erblickten, schossen Blicke hin und her, zwischen Dani und mir in Warte Position und Heaven, die sich ebenfalls keinen Zentimeter mehr gerührt hatte. Sie trank und stand und schaute und mehr passierte nicht.

„Wie ich sehe, keine Fortschritte mit Heaven. Das kleine Biest kann sowas von stur sein", sagte Sophie. Die Worte klangen unheimlich liebevoll.

„Poppy ist auch nicht wirklich besser.", gab Aydin seinen Senf dazu.

„Hey. Ich bin anwesend.", zischte ich.

„Ja. Warum bist du überhaupt noch anwesend? Du solltest da drüben an Heaven drankleben."

Das wurde mir zu viel. Wieso wollte jeder mich beeinflussen? Meine Freunde behandelten mich so, als wäre ich bereits gescheitert.

„Ich mach das schon. Irgendwie.", seufzte ich. Ich stand aus dem Sessel auf und klopfte meine Hose ab. Jahrhunderte alter Staub umnebelte uns. Ronald ließ einen gewaltigen Nieser los.

„Oh. Babybär. Die fiesen Allergien wieder.", säuselte Aydin abstoßend verliebt. Er zog ein Taschentuch hervor und hielt es seinem Ehemann hin. Der nahm es entgegen und schniefte dabei laut. Gott. Ich hasste Taschentücher. Sie erinnerten mich an lang verlorene Möglichkeiten und Jahrmarktgewinne, die in meinem Auto verrotteten. Ich hatte es nie fertiggebracht sie wegzuwerfen, auch als ich noch versuchte den Status Quo mit Ashley wiederherzustellen. Deshalb hatte ich alles außer Sichtweite unter den Beifahrersitz geschoben.

„Toll. Jetzt ignoriert Heaven mich auch. Kein Wunder, wenn man sich mit dem Feind zusammentut.", beschwerte sich Sophie.

„Bring Heaven doch einfach her. Du bist doch ihre Freundin.", schlug Dani vor.

„Du kannst sie dir so überwerfen. Und her schleifen. Huarg."

Aydin stellte in perfekter Pantomime dar, wie Sophie ein schweres Bündel durch den Raum schleppte.

Was ich und Heaven wirklich brauchten war Zweisamkeit, ohne nervige Anhänge, die alles besser wussten. Ich ließ meine Freunde stehen und ignorierte die überraschten und anfeuernden Rufe, die mir folgten. Bevor ich mich im Türrahmen niederlassen konnte, stieß sich Heaven von dem selbigen ab und flüchtete ins nächste Zimmer.

Ich folgte ihr mit Abstand. Heaven drängelte sich durch eine volle Tanzfläche, über der kräftiger Nebel waberte. Ein Mann, blond, groß und wohl gutaussehend, griff nach ihr und sie schlug genervt seine Hand weg. Über ihre Schulter hinweg, warf sie mir einen bösen Blick zu, als hätte ich Schuld daran, dass der Typ sie anbaggerte. Ich schüttelte den Kopf. Sie konnte mir nicht für alles den schwarzen Peter zuschieben. Sie presste die Lippen aufeinander und weiter ging der Verfolgungsspaziergang. Wie lang wollten wir das Spielchen noch treiben? Ich würde nicht aufgeben.

Im nächsten Raum herrschte deutlich mehr Ruhe. Niemand tanzte, denn zwei dicke, dunkelgrüne Sofas und weitere der durchgewetzte Sessel beanspruchten den gesamten Platz. Hier saßen Leute und aßen Cupcakes und Chips, unterhielten sich, oder dösten vor sich hin, während ihnen das Gift aus halbvollen Bechern über die Finger rann. Zwei Männer in Mickey und Minnie Mouse Kostüm spielten Karten. Ich hatte selten etwas gruseligeres gesehen.

„Oh Hey. Heaven. Hexenkostüm. Abgefahren.", rief eine junge Frau, die begeistert vom Sofa aufsprang. Sie zupfte ihren lange, schwarzen Mantel zurecht und kam mit strahlendem Lächeln auf Heaven zu. Auf ihren kurzen, pinken Haaren saß eine weiße Pestmaske. Ein hübsches, cooles Mädchen. Genau die Art Störenfried, die ich jetzt überhaupt nicht gebrauchen konnte.

Zur Begrüßung küsste sie Heaven auf die Wange, die sich mit deutlich mehr Elan in den Kuss hineinlehnte, als mir lieb war.

„Oh Hey. Frieda. Ich wusste nicht, dass du auch kommen wolltest."

Heavens Stimme klang zuckersüß. Widerlich.

„Hat sich so ergeben. Ich konnte die Gelegenheit mit dir zusammen zu rempeln nicht verpassen."

Das Mädchen kicherte verflucht niedlich. In meinem Kopf formten sich die Bilder einer schicksalhaften Begegnung. Es stand mir nicht zu einzugreifen. Eifersüchtig zu sein. Schon den ganzen Abend durfte ich nur auf Abstand bleiben und zusehen.

Ich ging um das Sofa herum und lehnte mich ans Fensterbrett. Neben mir stand eine Armee leergetrunkener, schwarzer Plastikbecher. Wie gern ich auch mehr getrunken hätte. Alkohol vertrieb die schlechten Emotionen zumindest ein kleines bisschen. Und raubte mir den Anstand. Betrunken, hätte ich jetzt nicht nur zugesehen.

Ob Heaven die ganze Länge der Couch zwischen uns ausreichte? Sie nahm nur kurz von mir Notiz, während ich mich durchs Zimmer bewegte und folgte mir mit ihrem Blick. Ihr Gesicht zeigte keine Regung. Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder Frieda zu.

Mein Blick klebte an ihr voller Sehnsucht. Als könnte ich nie wegsehen, ohne zu riskieren, sie für immer zu verlieren. Vielleicht war es bereits zu spät und dieser Abstand zwischen uns würde für immer blieben. Der Gedanke ließ mich frösteln. Als hätte ich mich selbst in eine ewig kalte Winternacht gestoßen, in der jedes Leben langsam gefror. Während Heaven einer anderen Frau ihr Lächeln schenkte. Eine, die es vermutlich mehr verdient hatte als ich.

Ich krallte die Hände um das Fensterbrett und versuchte nicht zu auffällig hinzusehen. Frieda musste mich nicht unbedingt für eine perverse Stalkerin halten, die ihrem Schwarm hinterher hechelte.

Die beiden unterhielten sich ruhig. Einzelne Wortfetzten flogen zu mir herüber.

Tanzschule. Sommer. Eis essen gehen. Ein Haufen Gekicher folgte. Heaven strahlte viel zu sehr. Das Mädchen strich vorsichtig über ihren Arm.

Ich senkte den Kopf zum Boden. Ausgebleichtes Holz mit Flecken. Jemand hatte ein Haufen Glitzer ausgeleert. Mit der Spitze meines Schuhs malte ich Kreise und Spiralen.

„Du erinnerst dich, dass wir im Park Enten füttern gehen wollten. Ich habs nicht vergessen."

Frieda redete nicht, sie brüllte. Vermutlich war sie aufgeregt.

Ich konnte es nicht lassen und suchte Heaven wie automatisch. Die Beiden standen so dicht beieinander, dass niemand mehr dazwischen passte.

Aber diesmal bemerkte ich Heavens Unruhe. Sie spielte mit ihren Fingern und zupfte an ihrem Kostüm herum. Der Besen landete mit einem Klappern auf dem Boden. Frieda hob ihn auf und reichte ihn mit breitem Grinsen zurück. Währenddessen richtete Heaven ihren Hut und ihr Blick huschte zu mir. Sie riss die Augen auf, ihr Kopf fuhr wieder zu Frieda herum.

Dann murmelte sie etwas zu dem Mädchen, dass ich nicht verstand. Frieda lächelte viel zu verliebt. Wieder schaute Heaven zu mir. Sie biss sich auf die Unterlippe. Ich wagte es ihren Blick zu fangen, doch sie drehte rasch das Gesicht fort.

Und dann zog sie Frieda näher. Sie krallte die Hand in den Mantel der jungen Frau und riss sie nach vorne. Frieda keuchte überrascht und Heaven versiegelte ihre Lippen.

Ich erstarrte auf der Stelle. Was das Heavens finale Antwort? Ein großes „Verpiss dich"?

Ganz ohne Worte hatte ich verloren.

Hey Poppy  (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt