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2 Monate später

Die Tür klickte leise und jemand trat ins Schlafzimmer. Ich ignorierte den Besucher und blieb stumm auf dem Bett liegen. Stattdessen starrte ich weiter an die Decke, wie so oft, seitdem Ashley weg war.

Inzwischen kannte ich die Decke auswendig und hatte Muster und Unebenheiten im endlosen weiß gefunden. Manch grauer Fleck versteckte sich darin und ich überlegte, ob ich die noch überstreichen musste. In der Ecke über dem Bücherregal wohnte ein Weberknecht. Wir stellten uns einander vor und ich taufte ihn Langhans. Langhans war ein ganz miserabler Jäger. Gestern hatte ich einer Fliege eine halbe Stunde dabei zugesehen, wie sie frech um die Spinne herumhüpfte, ohne in ihren Krallen zu landen. Später war das Insekt durchs offenen Fenster entkommen. Und Langhans bekam kein Abendessen. Sein Netz blieb genauso leer, wie meines.

Die Matratze wackelte und knirschte, als mein Besuch sich zu mir setzte.

„Ich sehe, du hast zumindest ein bisschen was zusammengepackt.", sagte Dani.

„Ich bin fast fertig.", murmelte ich. „Der Rest gehört Ashley. Das holt sie noch, wenn ich weg bin."

Das Gesicht meiner besten Freundin poppte in mein Sichtfeld. Sie hatte das Haar mit einem breiten Band mit Blumenmuster zurückgebunden. Ihre Locken waberten als schwarze Wolke auf ihrem Kopf. Die Enden des Bandes baumelten über ihr Ohr nach unten und schienen mir zuzuflüstern, danach zu haschen, wie eine Katze.

„Und jetzt hältst du ein Nickerchen?"

Ich hob den Finger und drückte ihn gegen ihre Stirn. Einfach so, weil sie meine Sicht auf die Decke behinderte.

„Nein. Ich versuche zu vergammeln."

Dani fing meine Hand ein.

„Uff. Meinst du das wird was? Wollen wir nicht lieber das Bett abbauen?"

Ich seufzte übertrieben lange und setzte mich auf.

„Das kann Ashley haben."

Ashley konnte von mir aus alles haben. Ich brauchte nichts mehr, außer einer Zimmerdecke zum Anstarren.

„Du hättest nicht mit Ashley Schluss machen müssen. Poppy. Es war deine Entscheidung. Warum bist du jetzt also so mies drauf?"

Ich packte mein Kopfkissen und umarmte es. Als könnte es mir Halt geben in dieser grausamen, grauen Welt.

„Ich musste mit ihr Schluss machen. Es gab überhaupt keine andere Möglichkeit."

Verwirrung eroberte Danis Züge. Kein Wunder, denn vor ein paar Tagen hatten wir noch ein ganz anderes Gespräch geführt.

„Aber du hast gesagt es läuft gut. Ihr habt einen Urlaub geplant. Und du hast mich sogar blöd angemacht, als ich gemeint hab, du wirkst nicht so glücklich. Und jetzt das. Einfach so."

Dani hatte schon immer den richtigen Riecher. Und ich war ein beschissener Lügner.

„Weil ich so sehr wollte, dass der Mist funktioniert."

Meine Augen brannten. Ich drückte mein Gesicht in das Kopfkissen. Meine beste Freundin streichelte über meinen Kopf.

„Und warum hat der Mist nicht funktioniert?"

Weil meine Gefühle nicht wollten.

„Rat mal.", nuschelte ich ins Kissen.

Weil mein Kopf nicht wollte.

Dani legte ihre Hände auf meine Schultern und rutschte näher.

„Hmmm. Hat es was mit Heaven zu tun?"

Irgendwie schien es eine Ewigkeit her zu sein, dass jemand diesen Namen in meiner Nähe ausgesprochen hatte. Mein Herz vergaß einen Schlag, nur weil Dani ihn erwähnte.

Dani streichelte mich mit ihrem liebevollen Blick. Sie hatte so viel Verständnis für mich. So viel freundschaftliche Liebe und Toleranz auch für meine schlechten Seiten.

Ich dagegen hatte keinen Funken Verständnis für meine Blödheit. Immerhin hatte ich mich selbst in diese Lage gebracht und blieb zu Recht mit leeren Händen zurück. Und jetzt war ich unglücklich. Absolut verdient unglücklich.

„Wir sollten nicht über Sie reden. Das macht es nicht besser."

Im Gegenteil. An Heaven zu denken machte alles schlimmer. Die Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit erstrahlten in hellen Farben, kaum auszuhalten in ihrer ganzen Pracht, während ich in der Realität in einem Grauschleier lebte. Jeden Morgen begrüßten mich feuchte Wangen und geschwollene Augen. Im Wachzustand starrte ich an die Decke und fragte mich, ob sich der Knoten in meinem Bauch irgendwann lösen würde. Ob ich irgendwann wieder etwas anderes fühlen würde als diese sinnlose Traurigkeit. Ein Gefühl, dass seit Wochen an mir hing, stur, wie ein Fussel auf meinem Lieblingssweatshirt. Heaven hatte mich bevor sie weglief, so erschüttert angeblickt. Gebrochener Blick, zitterndes Kinn, glitzernde Tränen auf den Wangen. Dann rannte sie aus meinem Leben und ich war gestorben. Ein Mensch konnte wohl tatsächlich lebendig sterben.

„Poppy. Wir sollte nicht nur, wir müssen über Heaven reden. Sie ist der Schlüssel zu dem Ganzen. Nicht wahr? Und du arbeitest so hart daran jeden Funken von ihr zu verdrängen, dass du dich selbst mit verdrängst."

Ich lachte verbittert. Ein scheußlicher Ton.

„Was willst du mir sagen? Meinst du ich existiere nicht ohne Heaven? So ein Bullshit."

„Schau an. Jetzt wirst du sogar biestig, nur weil ich es wage zu behaupten, dass du Heaven brauchen könntest."

Dani wuschelte mir grob durchs Haar.

„Aber das hab ich auch gar nicht gemeint. Natürlich kannst du prima ohne Heaven existieren. Aber du sperrst gerade deine Gefühle weg, weil sie dir weh tun. Und das hat auf jeden Fall etwas mit Heaven zu tun."

Sie legte ihre Hände um meine Wangen und zwang mich ihrem ernsten Blick zu begegnen.

„Warum wohl? Mein trauriges Küken."

Ich versuchte den Kopf zu schütteln, doch sie hielt ihn zu fest.

„Kann es nicht doch sein, dass du Heaven liebst? Du hast sie damals geliebt und kaum war sie wieder da, waren auch die alten Gefühle wieder da. Vielleicht sogar noch stärker, weil du endlich gegen nichts mehr ankämpfen musstest. Heaven hat ja eindeutig auch..."

„Nein. Auf keinen Fall. Nein.", knurrte ich lauter als notwendig. Ich riss mich aus ihrem Griff, sprang vom Bett auf und schmetterte das Kopfkissen gegen die Wand. Mit einem leisen Ploppen fiel es zu Boden und blieb geknickt liegen.

Ich war nicht mehr die kleine Poppy von vor zehn Jahren. Damals hatte mich Heaven gespielt wie eine Marionette, aber diesmal hatte ich es verhindert. Hatte ihre Fäden durchgeschnitten und mich selbstständig aufgerichtet. Mit neuem Mut und unglaublicher Stärke hatte ich sie bekämpft. Und trotzdem hatte sie es geschafft mein schönes, neues Leben zu zerstören.

„Poppy. Was macht dich jetzt so wütend?"

Was mich so wütend machte. Das sollte Dani selbst wissen. Jeder glaubte über meine Gefühle besser Bescheid zu wissen als ich selbst. Jeder servierte mir Heaven auf einem Silbertablett, als wartete ich nur darauf zuzugreifen. Diese Traurigkeit war nur ihre Schuld. Diese Flut an negativen Emotionen, ihre Schuld. Jede einzelne Tränen weinte ich wegen Heaven. Als ob ich mich schon mein ganzes Leben lang in einem Strudel befand und sich mich nach Lust und Laune darin herumschleuderte. Verstand denn niemand, wie gefährlich Heaven war? Nur mir allein gehörte die Kontrolle über meine Gefühle. Und sie ignorierte es einfach so.

„Alles macht mich wütend. Das Gespräch hier macht mich wütend. Ich will nicht über Heaven reden. Ich will nicht ständig an sie denken. Und ganz sicher, will ich sie nicht lieben."

Dani starrte mich verblüfft an.

„Du willst Heaven nicht lieben? Das ist neu. Du hast die ganze Zeit gesagt, du liebst Ashley. Gefühle für Heaven waren gar kein Thema. Also liebst du sie...aber du willst sie nicht lieben. Warum?"

Die Erkenntnis meiner besten Freundin war mich ebenfalls vollkommen neu. Und in meinem überfüllten Kopf existierte keine Antwort dafür.

Hey Poppy  (girlxgirl)Where stories live. Discover now