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Heaven seufzte. Sie lehnte den Kopf zurück gegen die Kopfstütze.

„Willst du morgen mit mir zum See?", fragte sie. Ganz ruhig, ohne eine Miene zu verziehen.

Sie fing meinen Blick und ich schaffte es nicht wegzuschauen. Ich verfiel dem wunderschönen, grünen Strahlen. Es gab keinen Menschen, der schönere Augen besaß. Das hatte ich von dem Moment an gewusst, als sie zum ersten Mal meinen Blick fing. Als Kind, im weißen Sonntagskleid, mit Haarreif auf dem dunklen Schopf.

Doch dieses Wissen bedeutete überhaupt nichts. Ihre Augen hatte mein Herz schneller schlagen lassen, mir den Himmel auf Erden versprochen und mich geschnitten, gefoltert und in die tiefste Höhle gestoßen. Sie schenkten mir keinen Frieden.

„Und wenn es wieder so regnet?"

Wieso ging ich überhaupt auf ihre Frage ein? Ich sollte längst über die durchweichte Wiese zu meinen Elternhaus laufen. Raus aus dem Gefahrengebiet.

Heaven legte den Kopf schief.

„Morgen scheint die Sonne."

Sie behauptete es so selbstsicher, als gäbe es überhaupt keinen Zweifel.

Endlich fand ich den Türöffner, aber ich betätigte ihn nicht.

Es gab nur eine Antwort auf ihre Einladung. Ich wusste genau, dass es keine Freundschaft zwischen uns gab. Das hatte ich heute sicherlich gelernt. Deshalb endete, was immer wir auch hatten, genau hier.

„Na, und? Kommst du mit?"

Ein harmloses Nachfragen.

„Hast du Angst?", stand in ihrem Blick.

Als wäre die Antwort so einfach. Schlimm genug, dass sie es nicht war.

Ich räusperte mich. Der Türöffner klickte, weil ich meine Hand zu sehr anspannte.

„Ja gut. Holst du mich um 2?"

Heaven lächelte. Sie konnte noch alles. Die alten Tricks. Das Spiel mit ihrer Stimme und den Augen, dekoriert mit ihrem Charme, den sie wie eine Waffe gegen mich abfeuerte. Ich war allem davon immer noch nicht gewachsen. Und genau wie damals kannte ich die Gründe für ihr Verhalten nicht. Mit dem einzigen Unterschied, dass ich diesmal auch meine eigenen nicht kannte.

„Ok. Dann bis morgen um 2"

Sie lehnte sich nach vorne und strich mir über den Oberarm. Von hochgeschobenen Ärmel meines Sweatshirts, strich sie auf meinen nackte Haut. Die kleinen Härchen auf meinem Arm reckten sich ihren weichen Fingern entgegen.

Genug davon! Ich riss die Autotür auf. Ein Schwall Regen fegte zu uns herein.

„Bye. Heaven.", rief ich ihr über das tosende Wetter zu und sprang aus dem Fahrzeug. Ohne ihre Antwort abzuwarten, schlug ich die Tür zu. Wie als wäre der Teufel hinter mir her, rannte ich zum Haus meiner Eltern. Dabei ging ich nicht einmal davon aus, dass Heaven mir hinterherrennen würde. Das hatte sie gar nicht nötig. Ich zappelte auch ohne derartig sportliche Bemühungen an ihrem Haken. Doch ich wollte rasch einen möglichst großen Abstand zwischen uns bringen. Als ob sie irgendwie meinen Geist vergiftete, wenn ich zu nah an sie herantrat. Der Regen lieferte mir ohnehin die beste Ausrede um wie eine Irre zu laufen. Niemand spazierte in diesem nassen und windigen Wetter gemütlich von einem Ort zum anderen.

Ich fummelte den Haustürschlüssel aus meiner Jeanstasche und sperrte die Tür auf. Kaum trat ich ins Innere, hörte ich wie der Motor eines Autos startete. Heaven hatte mir also hinterhergesehen. Mein Herz vollführte einen kleinen unpassenden Hüpfer.

Ohne mich umzudrehen, warf ich die Tür ins Schloss. Ich machte nicht einmal das Licht an. Stattdessen stand ich still und starrte ins Halbdunkel. Einzelne Regentropfen liefen aus meinem Haar über meine Wange. Ich wischte sie genervt fort. Wie paralysiert, verharrte ich viel zu lange, alle meine Gedanken befanden sich immer noch dort mit ihr im Auto. Ich schaffte nicht einzuordnen, was sich nicht einordnen lassen wollte, oder Ordnung in einen Kopf zu bringen, durch den ein Tornado hindurchfegte.

Es gab nur eine Sicherheit. Ich hatte unglaublich großen Mist gebaut. Und ich würde ihn weiter bauen, als hätte die Vernunft in mir den Dienst quittiert. Die hatte sicher frustriert aufgeben, als ich Heaven zum Mittagessen zugesagt hatte. Dafür gab es kein Verständnis. Keine Ausrede. Und keine logischen Gründe.

Ich sank ihn die Hocke und kratzte mit dem Finger über den sauberen, weißen Fliesenboden im Flur meines Elternhauses. Als ich hereingestürmt war, hatte ich schlammige Schuhabdrücke mitgebracht.

Das Licht im Wohnzimmer flammte auf, ein heller Schein fiel in den Gang hinein und auf meine zusammengekauerte Gestalt. Ich blinzelte überrascht und schaute auf. Meine Mutter kam durch das Wohnzimmer auf mich zu. In Morgenmantel und Hauspantoffeln, ein Handtuch um ihre inzwischen grau-braunen Haare gewickelt.

„Was hockst du denn hier im Dunkel? Poppymaus."

Ich stand auf und strich mir verlegen durch das feuchte Haar.

„Nur so. Ich dachte da läuft ein Käfer. Ich wollt nicht drauftreten. Aber da ist keiner."

Meine Mutter lächelte und knipste das Licht im Gang an.

„Grad für sowas kann ein bisschen Licht nicht schaden."

Sie trat näher und legte mir die Hand auf den Arm, genau dorthin, wo Heaven mich zuvor berührt hatte. Ich mochte den Gedanken nicht, aber schüttelte ihre Hand nicht ab.

„Du bist auch ganz nass. Mich hat der Regen vorhin auch erwischt. Hüpf schnell unter die warme Dusche, damit du nicht krank wirst. Ich koch solang Abendessen. Du isst heute mit uns. Oder?"

Ich nickte. Beinah wollte alles aus mir herausblubbern. Was ich Dummes anstellte und das ich mich gerade in dieselbe undankbare Situation hineinmanövrierte, wie ich es in meiner Jugend getan hatte. Mit derselben Person. Und diesmal machte ich nicht nur mich selbst damit unglücklich.

Aber ich schwieg. Weil ich inzwischen 28 Jahre alt war und meine Probleme allein regeln wollte. Weil ich nur ein paar Mal im Jahr die weite Strecke von Seattle hierher fuhr und den Besuch bei meinen Eltern nicht ruinieren wollte. Weil ich selbst noch nicht genau wusste, was gerade mit mir passierte. Und weil ich, von mir selbst zutiefst schockiert erkannte, dass ich mir auf keinen Fall das Treffen mit Heaven morgen ausreden lassen wollte.

„Ja, ja. Ich bleib heut Abend hier. Machst du Lasagne?"

„Das lässt sich einrichten."

Meine Mutter strahlte mich glücklich an. Sie liebte es, wenn wir als Familie an einem Tisch zusammensaßen und aßen. So wie früher.

„Cool. Ich freu mich."

Ich klatschte in die Hände.

Mit aller Mühe versuchte ich fröhlich und gelöst zu wirken und mich so zu benehmen, wie ich es getan hatte, als ich vor ein paar Tagen hier angekommen war. Aber wie hatte ich mich da benommen? Wie benahm man sich, wenn das Leben gerade in absolut perfekt, geregelten Bahnen verlief? Wenn es keine Zweifel gab, die einem im Nacken saßen und wisperten: „benimm dich absolut normal. Poppy"

Ich lächelte meine Mutter gestellt entspannt an.

Diese runzelte die Stirn. Vermutlich wirkte ich nicht ganz so überzeugend in meiner Lüge, wie ich es gehofft hatte.

„Also dann hüpf ich mal schnell unter die Dusche."

In der nächsten Sekunde befand ich mich auf dem Weg nach oben. Zumindest hatte ich es noch geschafft, die Schuhe vorher auszuziehen. Es gab nicht viele Situationen, die es rechtfertigten, direkt vor den Augen meiner Mutter, den neuen Teppichboden im ersten Stock zu ruinieren.

So derartig durch den Wind zu sein, sprach gegen den fröhlichen Akt, den ich mit größter Mühe versuchte, aufrecht zu erhalten.

Hey Poppy  (girlxgirl)Where stories live. Discover now