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1 | Geheimnisse

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»Hast du schon gelesen, was bei den Oberen passiert ist?«

Devin saß mir gegenüber am Küchentisch und schaute gespannt auf sein Handy herunter, während ich damit beschäftigt war, uns beiden jeweils eine Tasse Kaffee einzuschenken, um erst einmal richtig munter zu werden.

»Nein, was denn?«, erkundigte ich mich gähnend und schloss kurz meine Augen, um den herrlichen Duft des Kaffees tief in mich aufzunehmen, ehe ich einen kräftigen Schluck nahm und den Blick wieder auf meinen Bruder richtete.

Nachdenklich wirkend legte er sein Handy beiseite, fuhr sich durch seine braunen, lockigen Haare und atmete anschließend  schwer. Dieser besorgte Ausdruck seiner meeresblauen Augen war mal wieder typisch für ihn. Seit unsere Eltern uns vor zwei Jahren im Stich gelassen hatten, hatte er die Rolle des Aufpassers übernommen und machte mich oft genug wahnsinnig damit. Es interessierte ihn bei seiner umsorgenden Art auch recht wenig, dass ich bald meine Volljährigkeit erreichen würde. Vermutlich würde er sogar noch eine schützende Hand über mich legen, wenn ich bereits Großmutter wäre ...

»Die Schule bei ihnen ist abgebrannt«, erklärte er schließlich und sah mich dabei eindringlich an. »Wir werden vielleicht Probleme bekommen, falls sie deine Schule besuchen. Du musst dich noch ruhiger verhalten als sonst!«

»Falls sie an meine Schule kommen ...«, erwiderte ich mit einer bestimmten Betonung und versuchte, ihm damit einen Teil seiner Sorge zu nehmen, was bei ihm aber natürlich nicht funktionierte.

»Jady, du hältst dich gefälligst von denen fern!«

Ohne mir die Möglichkeit zu geben, ihm etwas darauf zu erwidern, stand er ruckartig auf und zog seine blaue Sportjacke über. Als ich anschließend meine Augen genervt über seinen strengen Tonfall verdrehte, stellte er sich genau vor mich und sah mahnend zu mir herunter.

»Lass das! Du weißt ganz genau, wie sehr ich das hasse.«

»Dann behandel mich nicht immer wie ein kleines Kind. Ich bin immerhin schon 17 und du bist nur zwei lächerliche Jahre älter als ich. Lass hier also nicht ständig den Aufpasser raushängen.«

Ich streckte ihm, kindisch wie ich eben doch manchmal war, meine Zunge heraus und zwinkerte ihm dann noch provozierend zu, woraufhin er dämlich zu grinsen begann und mir meine Jeansjacke entgegen schmiss.

»Zieh dich an. Wir fahren!«

Er nahm seine Tasse Kaffee in die Hand, trank sie in einem Zug aus und schnappte anschließend sein Handy, um gedanklich anscheinend noch mal zu dem Brand abzudriften.

Immer noch müde stand ich ebenfalls langsam von dem runden Holztisch auf und zog meine Jacke über, um anschließend noch meinen hellbraunen Rucksack vom Boden neben mir aufzuheben.

Wie gerne würde ich jetzt auch auf mein Handy schauen, genau wie er, aber ich hatte es bei meinem nächtlichen Ausflug im Wald verloren, was mein Bruder aber niemals erfahren durfte. 

Ihm erzählte ich, es sei mir geklaut worden, denn uns Unteren war es streng verboten, sich im Wald aufzuhalten. Wenn er wüsste, wie viele Gesetze ich hinter seinem Rücken tagtäglich brach, würde er mich mit großer Sicherheit hier in unserem gemütlichen Häuschen auf Lebenszeit einsperren.

»Erde an Jady. Bist du noch anwesend?«, riss er mich plötzlich aus meinen Gedanken und legte dabei seinen Arm um meine Schulter, um mit mir gemeinsam das Haus zu verlassen. 

Die Sonne strahlte an diesem Morgen, obwohl es bereits Herbst war und die bunten Blätter spielerisch vom Wind durch die Luft geweht wurden.

An seinem alten, silbernen VW angekommen, hielt er mir zuvorkommend wie jeden Morgen die Beifahrertür auf. Lächelnd ließ ich mich auf den Sitz fallen, um mich direkt anzuschnallen und einen Blick in den Spiegel vor mir zu werfen.

Die Arroganz des WolfesWhere stories live. Discover now