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6 | Opfer

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Wieder zurück an der Schule hatte es bereits geläutet und langsam füllten sich der Schulhof und der Parkplatz mit Schülern und anderen Leuten, worunter auch mein Bruder schon an seinem Auto gelehnt stand.

Scheiße, Mann! Wenn er sehen würde, dass ich von der Straße kam und nicht aus dem Schulgebäude, würde er sicher wieder tausend Fragen stellen, auf die ich aber so gar keine Lust hatte, sie zu beantworten.

Nervös blickte ich zur Treppe hinauf, wo bereits Sawyer und Aleya standen, aber nicht nur das ... Viola und Trevis waren ebenfalls bei ihnen und die vier schienen sich prächtig zu verstehen, was mich irritiert die Stirn runzeln ließ.

Wollten sie mich etwa auf den Arm nehmen?

»Jady?«, riss mich die laute Stimme meines Bruders aus meiner Starre und mit großen Augen fiel mein Blick daraufhin direkt zu ihm herüber, wonach ich sofort bemerkte, wie er mich gleichzeitig fassungslos und fragend musterte.

Ich atmete tief durch, schluckte fest und lief dann die wenigen Meter von der Straße zu seinem Auto, wo er mich sofort grob am Arm packte.

»Wo warst du?«, fragte er so laut, dass die Blicke der Umherstehenden allesamt schlagartig auf uns gerichtet waren. Soviel also zum Thema nicht auffallen.

Schnaufend entzog ich ihm meinen Arm, schaute ihm dabei tief in seine meeresblauen Augen und überlegte kurz, was ich ihm wohl am besten für eine Lüge auftischen würde. Dann fiel mir plötzlich Guiselle wieder ein, die tatsächlich einer der Auslöser war, wieso ich abgehauen war. Es erschien mir sinnvoll, alles, was mit dem Wald zu tun hatte, zu verschweigen und ihm den Rest aber ehrlich zu erzählen.

»Es gab mal wieder eine Zwangsmarkierung, bei einem Mädchen, das ich kenne und ich brauchte dringend frische Luft. Mein Geburtstag ist immerhin in einer Woche und das hat mir einfach Angst gemacht.«

Sein Gesichtsausdruck strahlte auf meine Worte hin nur noch Besorgnis und Mitgefühl aus, während er einen Schritt auf mich zukam, um mich fest an seine starke Brust zu ziehen.

»Du hast doch mich. Jeder auf deiner Schule kennt mich als deinen Partner. Keiner würde sich wagen, dich einfach zu markieren«, flüsterte er mir beruhigend ins Ohr und während er mir dabei sanft über den Rücken streichelte, kamen mir die Gedanken an den schwarzen Wolf im Wald wieder in den Sinn, die mir schnelles Herzrasen bescherten.

»Und wenn ich meinen Mate finde?«

Devin löste sich auf meine Frage hin nur zögerlich von mir und musterte mich anschließend nachdenklich, ehe sich plötzlich ein kleines Grinsen auf seine Lippen legte.

»Dann haben wir entweder Glück und er ist ein toller Mann, oder du lehnst ihn einfach ab.«

Ich dachte kurz darüber nach, wie es wohl wäre, seinem Seelenverwandten einen Korb zu geben. Mit Sicherheit schrecklich, aber lieber kurz und schmerzhaft, als ein Leben an der Seite eines Mannes, der einen scheiße behandeln würde.

Nickend löste ich dann den Blick von ihm und schaute noch mal flüchtig zur Treppe herüber, wo nur noch Viola und Trevis standen, die uns die ganze Zeit neugierig zu beobachten schienen.

»Lass uns bitte fahren«, wandte ich mich erneut meinem Bruder zu und atmete dabei tief durch.

Devin lief mir voraus zur Beifahrertür und hielt mir diese wie immer zuvorkommend auf, ehe er dann auf seiner Seite einstieg und den Motor startete.

»Sind das die Oberen?«, wollte er, mit seinem Blick zur Treppe gerichtet, wissen und ohne hinschauen zu müssen, wusste ich, dass sie uns immer noch beobachteten.

»Ja, die gehören dazu«, erklärte ich so desinteressiert wie es mir möglich war und lehnte meinen Kopf daraufhin nach hinten an die Lehne, um mit den Gedanken an meine schicksalhafte Begegnung im Wald abzudriften und meine Augen dabei zu schließen.

Devin machte das Radio an, summte leise mit und ließ mich zum Glück den Rest der Fahrt in Ruhe. Ich hatte keine Lust auf weitere Fragen, da ich es eigentlich mehr als nur hasste, ihn anzulügen. Immerhin hatte er für mich sein ganzes Leben umgestellt.

Als meine Eltern noch da waren, hatte er Zeit für seine Hobbys, die er jetzt wegen seiner Arbeit aufgeben musste. Ich wurde damals zu Hause unterrichtet und wollte eigentlich auch arbeiten, nachdem sie abgehauen waren, aber Devin bestand darauf, dass ich meine Schule abschließen würde und er das alles alleine machen würde, also ließ ich ihn einfach machen und lernte, mit meinem schlechten Gewissen so gut es ging zu leben.

An unserem Haus angekommen, stieg er als Erster aus und hielt mir anschließend noch meine Tür auf. Als ich anschließend an ihm vorlief, bemerkte ich, dass er mir nicht zur Haustür folgte und drehte mich sofort genervt zu ihm um.

»Du musst noch mal zur Werkstatt, oder?«

Er nickte und schaute mich einen Moment entschuldigend an, ehe ich frustriert meine Augen verdrehte und anschließend meinen Schlüssel aus dem Rucksack kramte.

Ohne ihn noch mal anzuschauen, verschwand ich ins Haus hinein, hörte den alten Motor seines Autos einmal aufheulen und knallte dann frustriert die Tür hinter mir zu.

Es kam mir einfach alles nur noch unfair vor, denn er arbeitete mittlerweile fast immer bis abends und trotzdem reichte es kaum für die Miete und unseren Unterhalt. Vielleicht sollte ich mir einfach hinter seinem Rücken eine Arbeit suchen, oder ich schmeiße mit 18 die Schule. Ab da an kann er mich nicht mehr aufhalten, denn dann wäre die Zeit gekommen, meine eigenen Entscheidungen zu treffen.

Ich wollte ihn wieder mit seinen Jungs am Sportplatz sehen. Sein Lachen hören, wenn er ein Tor geschossen hatte, seine Freude spüren, wenn sein Team gewann. Jetzt waren Sorge und Stress seine ständigen Begleiter.

Schwer atmend lief ich durch das enge Wohnzimmer in mein kleines Reich und zog sofort die roten Vorhänge zu, um die Sonne auszusperren. Die Dunkelheit passte irgendwie besser zu mir.

Meinen Rucksack ließ ich neben meinem Bett nieder und schaute dann auf das Foto auf meiner Fensterbank, welches mich und Devin zeigte, als er einen Pokal als bester Stürmer des Finalspiels bekommen hatte. Eine Erinnerung, die mir sofort ein sehnsüchtiges Lächeln aufs Gesicht zauberte, ehe ich mir meine Kopfhörer anzog, Musik auf meinem MP3 Player anmachte und mich erschöpft von diesem chaotischen Tag ins Bett fallen ließ. 

Die Arroganz des WolfesWhere stories live. Discover now