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9 | Einsam

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»Bis später«, verabschiedete sich mein Bruder von mir und dann fiel auch schon, wie die letzten Tage zuvor, die Haustür laut ins Schloss.

Es war mittlerweile Freitag und seit dem Vorfall am Dienstagmorgen, war ich nur noch in diesen vier Wänden gefangen. Mein Bruder wollte mich in Sicherheit wissen, was ich natürlich auch verstehen konnte, doch für mich war es einfach nur die Hölle, mich so eingesperrt und eingeengt zu fühlen.

Jeden Tag wartete ich eigentlich nur noch darauf, dass ich abends schlafen gehen konnte und putzte dann aus Langeweile immer wieder das gesamte Haus oder versuchte mich in der Küche an neuen Rezepten, was mir aber meistens nicht so gut gelang, wie ich zuvor dachte.

Von Sawyer und Aleya hatte ich die ganze Woche leider gar nichts gehört. Wie auch, ohne Handy, aber es machte mich trotzdem traurig, dass sie anscheinend nicht mal auf die Idee kamen, bei mir zu Hause vorbeizuschauen.

Wahrscheinlich waren sie mit den Oberen schon total gut befreundet und amüsierten sich über mein fernbleiben.

Nein, sowas würden sie nicht tun, vor allem nicht, wenn sie wüssten, was dieser Freak meinem Bruder angetan hatte.

Was war überhaupt sein verdammtes Problem? War er vielleicht wirklich mein Mate und ich spürte es noch nicht?

Erschrocken von dieser Vorstellung sprang ich hastig vom Küchentisch auf und schüttelte diesen schrecklichen Gedanken schnell wieder ab. Wäre er mein Mate, würde ich abhauen, das war mir sofort klar. Nie im Leben würde ich mit einem Oberen zusammen sein wollen, erst recht nicht mit einem, der solch ein aggressives Verhalten an den Tag legen würde. Arroganter Idiot!

Während ich also versuchte, die Gedanken an Trevis vollkommen zu verdrängen, räumte ich die zwei Kaffeetassen von mir und meinem Bruder in die Spüle und machte mich dann auf den Weg in mein Zimmer, wo ich sofort frustriert aufstöhnte.

Ich würde keinen Tag mehr alleine hier drinnen aushalten.

Ein flüchtiger Blick aus meinem Fenster und ich sah sofort den Regen, der seit Dienstag nicht aufhörte, auf unsere kleine Stadt herunterzuprasseln.

»Nur für eine Stunde«, murmelte ich zu mir selbst und dachte dabei an die Lichtung im Wald, die ich geschworen hatte, nie wieder aufzusuchen, doch irgendetwas in mir drang mich förmlich dazu, meine Gummistiefel und eine graue Jacke überzuziehen und raus in den Regen zu laufen.

Schnellen Schrittes lief ich mit aufgezogener Kapuze die leeren Straßen entlang und kam auch recht zügig und vollkommen durchnässt am Sportplatz an. Die Stadt wirkte verlassen, was fast schon gruselig erschien, aber so war es immer, wenn es regnete, also machte ich mir nichts weiter daraus. Gedanklich war ich sowieso schon an der Lichtung.

Als ich hinter dem Sportplatz ankam, blieb ich kurz zwischen den ersten Bäumen stehen, um meine Augen zu schließen und diesen wundervollen Geruch aus einer Mischung von Freiheit und Wald einzuatmen, während ich dem Regen dabei zuhörte, wie er mit einer beruhigenden Melodie auf dem Waldboden ankam. Ein Klang, der etwas ganz Besonderes an sich hatte und dem ich stundenlang hätte zuhören können.

Ein tiefer Atemzug und schon öffnete ich meine Augen wieder und machte mich eilig auf den Weg zu der Lichtung. Die Äste unter mir knackten laut, während der Wald ohne die hellen Sonnenstrahlen noch düsterer wirkte als sonst, was mir dann doch ein mulmiges Bauchgefühl brachte.

Sollte ich umkehren?

Ehe ich weiter über diese Frage nachdenken konnte, stand ich plötzlich schon mitten auf der Lichtung und lauschte den Geräuschen des Waldes, während ich mich, wie vor einigen Tagen, mehrere Male um meine eigene Achse drehte.

Trotz des starken Windes und des unaufhörlichen Regens war dieser Ort auch ohne die Sonne einfach nur atemberaubend schön. Wie eine Oase der Ruhe, die mir ein Lächeln auf Gesicht zauberte, doch etwas fehlte ...

Er fehlte ...

Die Tatsache, dass ich hierhergekommen war und wirklich darauf hoffte, ihn zu sehen, ließ mich erschaudern. Ich war mir plötzlich ganz sicher, dass dieser Wolf eine Verbindung zu mir hatte und wäre ich der Überzeugung, meinen Mate schon vor meiner Volljährigkeit zu erkennen, hätte ich sicher alles darauf gesetzt, dass er es wäre.

Aber das war nicht möglich. Da war sicher etwas anderes, was mich und ihn verband. Da musste etwas anderes sein.

Oder war es nur der Reiz des Verbotenen, der mich verzweifelt in alle Richtungen schauen ließ?

Ich wusste es nicht und fühlte mich auf einen Schlag verloren in den Weiten dieses dunklen, nassen Waldes. Ich vergaß sogar, was mich hierher getrieben hatte und lief dann an einen der hohen Bäume, um mich vollkommen durchnässt an ihn anzulehnen.

Gedanken flogen mir durch den Verstand. Fragen kamen auf, die ich mir selbst nicht beantworten konnte und selbst in dieser völligen Ruhe, kam ich nicht dazu, mir auch nur eine einzige davon zu beantworten.

Wieso hatte dieser Wolf mich so geflasht, obwohl unsere Begegnung nur so flüchtig war und er sogar eher wütend auf meine Erscheinung wirkte?

Wieso zogen mich Violas Augen in einen Bann, der mich kaum noch losließ?

Wieso war Trevis der Meinung, er müsste meinem Bruder wehtun?

Völlig versunken in diesen mich durcheinander bringenden Fragen, zog ich die graue Kapuze von meinem Kopf und streckte mein Gesicht gen Himmel, um die Augen zu schließen und den kalten Regen auf meiner Haut zu spüren.

Es dauerte nicht lange, bis auch meine Haare durchnässt waren und mir schmerzhaft bewusst wurde, dass unsere Begegnung hier wohl eine einmalige, zufällige Sache war, denn er tauchte nicht auf.

Verwirrt über mich selbst und meine Gefühle gegenüber eines mir vollkommen Fremden, atmete ich ein letztes Mal enttäuscht die frische Waldluft tief ein und wollte gerade zurücklaufen, da nahm ich unerwartet doch noch seinen Geruch wahr und riss ungläubig die Augen auf.

Er war nirgends zu sehen, doch ich spürte seine Anwesenheit in jeder Faser meines Daseins, während mein Herz vor Aufregung immer schneller klopfte und fast schon den Regen übertönte. Eine angenehme Gänsehaut breitete sich auf meinem gesamten Körper aus und der Drang, ihm näher kommen zu wollen, nahm plötzlich alles in mir ein.

Da war keine Angst mehr, kein Zweifel, keine Unsicherheit. Nur noch Sehnsucht nach mehr und die Neugierde darauf, wer er wohl war.

Ich stieß mich aufgeregt von dem Baum hinter mir ab, machte anschließend langsame Schritte auf die Mitte der Lichtung zu und schaute mich dabei zwischen den Bäumen um, doch er zeigte sich nicht. Meine braunen, nassen Haare nach hinten werfend, drehte ich mich mal wieder in alle Richtungen, bis ich ihn plötzlich bedrohlich laut knurren hörte und Sekunden später nur noch einen schwarzen, riesigen Schatten auf mich zuspringen sah.

Ich fiel unsanft zu Boden, hielt mir stöhnend den schmerzenden Arm und schaute anschließend nach oben. Zitternd am ganzen Körper erkannte ich, dass er Zähne fletschend genau über mir stand und mir mit einer Kälte tief in meine weit aufgerissenen Augen sah, die mich die Luft panisch anhalten ließ.

Warum war er mir gegenüber nur so feindselig?

Die Arroganz des WolfesWhere stories live. Discover now