274. Sowas von widerlich

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Den Kopf schräg gelegt, eine Hand an der Wange und die andere umfasste ihren Ellenbogen. So stand sie da und sah auf die unzähligen Zitate, die sie in den Dreck gekritzelt hatte, welcher sich auf dem Boden befand. Jedes, das ihr eingefallen war, hatte sie dort hinterlassen und dann mit den Wörtern an der Wand verglichen und nun waren noch drei übrig. Doch Seren war nicht recht davon überzeugt, dass sie richtig lag. Allerdings wurde es auf dem Schlachtfeld immer enger. Tief atmete sie mit zugekniffenen Augen durch, öffnete sie dann und Entschlossenheit loderte in ihnen auf.

"Dann fangen wir doch mit dir an.", murmelte sie und hob ihre Hand zu dem ersten Stein. "Wenn...", kam es ihr leise über die Lippen, als sie den Ziegel rein drückte und dann folgten viele weitere, "...du sehen könntest, mein betrübter Freund, dass das Unglück, welches dir im Leben widerfährt, die gleiche Kraft ist, die dein Herz erleuchtet und deine Seele aus den Niederungen des Spottes zum Thron der Wertschätzung emporhebt, würdest du dein Schicksal annehmen und es als ein Vermächtnis betrachten, das dich bildet und weise macht." Nach dem letzten Wort tat sie einen Schritt zurück und musterte das Gemäuer, doch es war nichts ungewöhnliches zu erkennen, weswegen sie schlussfolgerte, dass es nicht falsch gewesen war. Sie hatte früher oft seitenweise Zitate geschrieben, bis sie sie auswendig konnte, was nun natürlich praktisch war. Hatte das alles tatsächlich auf den heutigen Tag abgezielt? Sollte ihr Leben von Anfang an so verlaufen oder wurde ihr lediglich das Werkzeug an die Hand gegeben, um erfolgreich zu sein, würde sie sich für diesen Weg entscheiden, den sie nun beschritt?

*Schluss jetzt mit den sinnlosen Grübeleien.* Sie stellte sich an die Wand und suchte das nächste Wort, welches sie brauchte. "Heldenhaftigkeit ist eine Todesart, keine Lebensart. Doch wenn es sich lohnt und du es aus Überzeugung tust, sei ein Held, denn dann ist es richtig." Zittrig entließ sie die angehaltene Luft aus ihrer Lunge, taumelte einige Schritte zurück und lehnte sich an die Mauer, welche hinter ihr war. Ihre Augen ruckten unstetig umher und Seren versuchte sämtliche Energien im Geiste zu überprüfen. Einige waren bereits ziemlich schwach und das ging auf ihre Kappe, immerhin brauchte sie hier so lange.

"Dann jetzt Nummer drei.", musterte sie die Decke und ging dann wieder auf die Wand zu. Schneller als bei den vorherigen Malen drückte sie die Ziegel hinein. "Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt, also lebe ein Leben, an das man sich erinnern wird und in dem du nichts zu bereuen hast." Kaum war sie fertig, begangen die Steine, sich zu drehen und zu verschieben, bis sich ein Durchgang öffnete.

Mit einer Fackel bewaffnet trat sie hindurch und entzündete die vorhandenen Lichtquellen, in Form von kleinen Feuerschalen, welche sich in der überschaubaren Kammer befanden. Vor ihr stand ein großer, steinerner Kelch und darüber hing eine Tafel. "Fülle mich mit deinem Opfer.", las Seren leise. Mit nachdenklichem Blick trat sie dichter an das Gefäß heran. "Komplett?", runzelte sie die Stirn. Grob schätzte sie das Fassungsvermögen auf etwa zwei Liter und sie konnte sich nicht vorstellen, dass Sake gemeint war. Sollte sie das Risiko in Kauf nehmen? Dabei könnte sie problemlos drauf gehen. Und dann? Allerdings hätte sie wohl keine Chance gegen die Finsternis, wenn sie es nicht tat. In einem Anflug von Verzweiflung fuhr sie sich durch die blonde Mähne und versuchte sich zu beruhigen. Ihre zitternde Recht griff zum Dolch. Sie setzte die Klinge auf ihrem Arm an, denn die Halsschlagader erachtete sie als zu riskant. Das Metall schnitt ins Fleisch und Blut begann zu fließen. Seren wiederholte die Prozedur an der anderen Seite. Abwartend lehnte sie sich über das Gefäß, damit die rote Flüssigkeit es füllen konnte.

Nach Minuten wurde ihr immer schwindeliger und ihr Sichtfeld trübte sich zunehmend ein. Langsam dämmerte ihr Bewusstsein dahin. "Nicht schlapp machen.", murmelte sie schwach. Es fehlten nur noch Zentimeter bis ihr Blut den Rand erreichen würde. Kalter Schweiß stand ihr auf der Stirn und sie war leichenblass. Alles, was sie noch wahrnahm, war ihr rasselnder Atem. "Bitte.", hauchte sie flehend. Ihr Körper musste noch einen Moment durchhalten, dann wäre es geschafft. Die Beine machten Anstalten, ihr wegzusacken, doch das erlaubte sie nicht. Mit der Hoffnung, dann genug Kraft zu haben, ließ sie sich von den weißen Flammen umfangen.

Die Tafel zerbrach, fiel zu Boden und Isis folgte ihr. Nach Luft japsend, lag sie im Staub, hielt sich den einen Unterarm und der grüne Schein wollte einfach nicht kommen. "Verdammt, konzentrier dich. Komm schon!", presste sie angestrengt hervor. Sie biss die Zähne zusammen und schloss gequält die Lider. Nun in die erlösende Schwärze abzudriften, wäre zwar einfach, aber ein denkbar ungünstiger Moment. Außerdem hatte sie gewiss nicht vor, hier in den Ruinen einer namenlosen Stadt zu verrecken.

"Endlich.", riss sie die Augen und schaute auf ihre Handgelenke, wo die Wunden langsam heilten. Umständlich rappelte sie sich auf, zog sich an dem Kelch hoch und stützte ihren Körper mit den Ellenbogen dann darauf ab. Als sie soweit durchgeschnauft hatte, hob sich ihr Blick und landete auf der Aussparung, welche sich nun in der Wand zeigte. Dort drinnen befand sich eine kleine Truhe, die sie direkt ergriff und vor sich auf dem Boden abstellte. Angespannt öffnete Seren den Deckel und dort war sie tatsächlich - Die Engelsfrucht. Ihre einzelnen flügelförmigen Blätter schimmerten silbrig im Licht der Fackeln und für ein paar Sekunden konnte die junge Frau sie nur anstarrten. Blinzelnd schüttelte sie den Kopf, nahm die Frucht an sich und sprang auf.

An der Spitze des pyramidenartigen Gebäudes kam sie zum Stehen, die kühle Nachtluft umfing sie und der Regen prasselte auf sie hernieder. Die roten Augen wanderten zum Schlachtfeld, wo sich klar und deutlich Flammen in verschiedenen Farben hervortaten. Selbst Juzos Diamanten konnte sie aufblitzen sehen und auch der 'Room' von Law war gut zu erkennen. Allerdings waren sie alle eindeutig am verlieren, denn sie hatten recht behalten, Blackbeard zog jeden noch so miesen Trick aus dem Ärmel. "Dann mal guten Appetit.", murmelte sie und biss entschlossen in die Frucht. *Verflucht, die anderen hatten recht. Das ist echt sowas von widerlich.*

Flamme der Freiheit Teil 2 🗸Where stories live. Discover now