15

390 10 0
                                    

Die letzte Woche war nur schleppend vorbei gegangen. Wir hatten 2 Klausuren geschrieben, eine zurückbekommen und ich und meine Freundinnen wären vor Aufregung fast geplatz. Denn heute war es soweit die Fahrt nach England, Cornwall. Als ich mir einen Platz im Bus gefunden hatte und meine Taschen geordnet hatte, atmete ich einmal tief aus und lehnte mich nach hinten.
Emilio und ich waren uns gelegentlich über den Weg gelaufen. Peinlicherweise hatte ich mir angewöhnt in seiner Gegenwart ständig die Klamotten zurechtzurücken, die Haare zu bändigen und geraden Rücken zu haben... es war absolut peinlich aber ich hatte das Bedürfnis gut auszusehen, sofern ich wusste das er in der Nähe war. Sein Kabel hatte ich ihm wieder gegeben, als er wieder einmal mit Xander nach Hause ging.

„Okay, ich hab M&M's, Gummibärchen, Salzsnacks, Fritt und Kaugummi. - Ah Apfelchips sind auch dabei!"
Ara lachte.
„Ich hab lange nicht so viel, aber Gummibärchen und Kaugummi konnte ich mitschmuggeln." sie lächelte verschwörerisch und zwinkerte dann.
Auf ihre Geste hin, schüttelte ich belustigt den Kopf. Ihre Mutter war grade auf Diät und hatte so, der ganzen Familie Wesentliche Lebensmitteln vorerst verboten. Allerdings hatten Ara und ihre Schwester sich rechtzeitig einen Süßigkeiten Schrank angeschafft.
„Du bist halt fürs Essen verantwortlich und ich fürs aussehen!"
„Wir sind doch nur 6 Tage unterwegs!"
„Ja und? Es wird Gelegenheiten geben uns einen hottie zu schnabulieren. Glaub mir, das krieg ich hin" Sie grinste fast. Als sie sich plötzlich aufrichtete und ihre Augen größer werden.
„Oh!... A BRItISH gUy?" ihr Gesichtsausdruck und Fake-Akzent waren einfach so komisch das ich fast einen Lachkrampf bekam.
„Or a Kurs-schnittchen? Schon jemanden im Auge?"Als sie nun auch noch mit ihrem Gesicht nach vorne gekommen war, konnte ich nicht anders als in lachen zu verfallen. Nach dieser Fahrt würde ich eine Woche Muskelkater haben. Vom Lachen...
„Wa...as? Hahhahaaapfff"
Jetzt hatte sie auch angefangen zu lachen. Wir waren fast schon hysterisch als wir mindestens 2 Minuten durchlachten und mir die Augen tränten. Aber leise zu lachen war gar nicht so einfach und gelang uns auch nicht soo gut. Denn alle Reihen im Radius von 3 Metern drehten sich zu uns um. Ihre Blicke hemmten mein lachen aber ganz und gar nicht - im Gegenteil.

Dreieinhalb Stunden später, fuhr der Bus auf eine Raststätte. Es war bereits
Viertel nach elf und dementsprechend leer. Leise, konnte man allerdings nicht sagen, auch wenn die Lautstärke im Bus innerhalb der letzten Stunden sehr abgenommen hatte waren meine Mitschüler nun mindestens wieder so laut, als Jackson und seine Truppe, 10-Jägermänchen gejault hatten.
Doch es tat gut an die frische Luft zu kommen und da ich und Alissa so schnell wie möglich auf die Toilette gerast waren, entflohen wir der Klo-Schlange. Ara war überzeugt gewesen zuerst die snack-Abteilung der Raststätte abklappern zu müssen und die anderen hatten sich ihr angeschlossen.
"Ich hol mir doch noch Kaugummi. Kommst du mit?" Fragte Alissa als wir gerade auf halben Weg zum Bus waren.
"Ich glaub ich geh schon mal wieder Richtung Bus. Aber die anderen sind sicher noch da!" Um den ganzen Weg wieder zurück und noch weiter zum Laden zu laufen, dafür waren meine Beine dann doch zu eingeschlafen. Von meinem Verstand ganz zu schweigen. Auf so einer Enge mit so vielen Leuten zu sein, strapazierte meine imaginären Mauern, ganz schön. Auch wenn die Narben heute nicht ganz so stark zu sein schienen. Zusätzlich dazu, setzte mir die überdrehtheit und rauschähnliche Stimmung die einen auf so einer langen Bus Fahrt mit Freunden überkam, auch noch zu.
„Okay. Ich beeil mich auch."
„Mach das!"
Alissa drehte sich um, während ich meinen Weg wieder fortsetzte. Vor dem Bus entschied ich mich aber doch, an der frischen abendlichen Luft, zu bleiben und setzte mich auf einen Picknicktisch. Meine Beine stellte ich auf die Sitzbänke und sah in den fast sternenklaren Himmel. Das einzige Sternenbild, welches ich erkannte war jedoch der große Wagen. Langsam schob sich eine Wolke vor den Mond. Der Wind wehte mir dabei die erfrischende und immer so verheissungsvolle Nachtluft über die Haut. Die Narben des Busfahrers, die einzigen die ich grerade spürte, verstummten und ich merkte wie ich mich augenblicklich entspannte.
„Fühlst du sie immer?"
Ich drehte mich ruckartig zu der Stimme um, als mein Herz einen Sprung machte.
"Holla die Waldfee..." ohne Kontrolle hatte ich leise geflucht, das war allerdings noch eine sehr dezente Art, wie ich gerade reagiert hatte. Mein Vater und Bruder hatten schon früh aufgegeben mich zu kitzeln, denn meine Reflexe waren so unkontrolliert das ich um mich getreten und ihnen das eine oder andere mal Kinnhaken verpasst hatte. Auf Erschrecken reagierte ich zwar nicht ganz so doll aber, sagen wir's mal so, meine Familie geht immer in Sicherheit sollte einer auf die Idee kommen, mir einen Schrecken einzujagen.
"Schleichst du immer so?!" Automatisch hob ich meine Brauen aber da ich es einfach nicht hinbekam nur eine zu heben, nahm ich sie ganz schnell wieder runter. Meine Gedanken schossen direkt wieder zu unserem Kuss. Den ich als Fehler erkannt hatte, doch an den ich immer dachte, sofern ich ihn sah. Oder seine Stimme hörte...oder nur über ihn nachdachte...
Emilio setzte sich neben mich und stellte eine Tüte Gummibärchen zwischen uns.
"Nur bei dunkler Nacht wenn ich jemanden so richtig erschrecken kann."
Scherzte er. Ich schenkte ihm allerdings nur einen unbelustigten Blick.
„Spürst du sie wirklich immer?"
„Was meinst du?"
Konnte er nicht einfach ausspucken was er wollte?
„Diese..." er hielt kurz inne und suchte anscheinend nach Worten.
„die Schmerzen der anderen."
Ich atmete schnell ein. Über dieses... Thema zu reden viel mir immer noch nicht leicht.
„Immer wenn ich in der Nähe von welchen bin.
Sagen wir 10 Meter."
„Hört sich ganz schön scheiße an."
Auf diese Antwort entwich mir ein belustigter Ton. Ich sah Emilio ins Gesicht.
„Jap." ich sah kurz wieder in den Sternenhimmel. Normalerweise beruhigte mich dieser immer, was ihm grade nicht gelang.
„Siehst du den großen Waagen?"
„Äh ja, warum?" seine Frage überraschte mich.
„Von allen freien 3 Ecken des Wagenkorbes, gehen noch weiter Sterne ab. Wusstest du das der große Wagen nur ein kleinerer Teil eines größeren Sternenbild, dem großen Bär ist?" er zeigte in den Himmel und fuhr die Sterne nach. Mein Blick folgte seiner Hand und ich glaubte den großen Bär jetzt zu sehen.
„Echt? Ne wusste ich nicht... Woher weißt du denn so was?"
„Meine Mutter war in Astrologie..."
Er stoppte sehr abrupt. Das „war" in seinen Worten bohrte sich, wie ein Nagel in mein Bewusstsein. „War."
Er nahm den Arm runter fuhr sich durch seine so dunklen Haare und nahm die Tüte Gummibärchen in die Hände. Es kam mir so vor als hätte er zu viel gesagt. Als hätte er sich selbst dabei ertappt. Als wollte er eigentlich nicht darüber reden, oder darüber denken.
„Siehst du auch" er senkte den Blick kurz bevor er mich wieder ansah und aus unergründlicher Angst das er nicht weiter sprechen würde, sah ich ihn an. Auffordernd. Aufmerksam.
„Was spürst du grade?"
Die Frage löste leichte Panik in mir aus. Übermannte mich. Die Erinnerung an seine Lippen auf meinen... doch ich begriff was er meinte, natürlich.
Einige Mitschüler waren bereits zurück gekommen. Doch es war nicht die Frage an sich, die mich so aufwühlte.
Es war der Fakt das ich gerade nichts spürte. Abgesehen von meinem Bauch der verrücktspielte, seit sich Emilio zu mir gesetzt hatte und der Panik, die mit meiner Erkenntnis übereinkam.
Ich spürte keine Wunden. Schon wieder.

„Was ist los?" er schien zu merken das mir die Ungewissheit die Kehle zu schnürte. Warum zum Teufel spürte ich keine Wunden? Es waren bestimmt 9 Leute in unmittelbarer Nähe und obwohl ich eben im Bus noch einige Narben gespürt hatte, war es jetzt wie betäubt. Ruhig. Selig. Aber auch beängstigend, war etwas falsch mit mir?! Die Hütte. Zuvor war mir schon mal aufgefallen das ich keine Wunden spürte oder abblockte. Und jedes Mal war ich in oder vor der Hütte im Wald gewesen. Ich dachte sie hatte etwas damit zu tun. Der Schutzzauber, der die Hütte vor den Blicken normaler versteckt. Doch gerade war ich über 250 km von dieser Hütte entfernt!
Ich spürte seine Hand an meinem Arm und die prickelnde Wärme die davon ausging.
„Rune?"
Gerade wollte ich Emilio antworten als Ara, Alissa und Olivia zu uns kamen.
„Hey Rune, du glaubst nicht wie langsam der Typ an der Kasse war. Der ist fast eingeschlafen! Ich sag's di- oh hey."
„Hey." Emilios Stimme klang auf einmal viel härter. Seine Hand hatte er schnell weg gezogen. Und so seltsam es auch klingen mochte, sehnte ich mich jetzt schon nach dem leichtem Druck seiner Berührung.
„So, wir fahren weiter Leute. In fünf Minuten seid ihr alle wieder im Bus!"
Unsere Lehrerin unterbrach die seltsame Stimmung. Als sie in den Bus stieg, machte sich auch Emilio aus dem Staub.
Die Mädels tränkten mich regelrecht in vielsagenden Blicken und Ara tuschelte die ganze nächste Stunde nur über mich und Emilio. Doch ich konnte mich nicht auf ihre Fragen und Überlegungen konzentrieren. Meine Gedanken schweiften immer wieder dazu, dass ich keine Narben spüren konnte. Jetzt tat ich es wieder. Was mich nur noch mehr verwirrte. Ich drehte meinen Kopf leicht und sah mich im Bus um. Emilio saß ganz hinten neben Xander, während Ara und ich in der ersten Reihe saßen, schließlich waren das die Plätze wo man am meisten Bein Freirum hatte. Ich war zwar keine Riesin aber meine Beine waren länger als vieler anderen und Ara, nun ja sie brauchte diesen Platz für ihre drei Taschen. Diese Anzahl, nicht in Frage zu stellen, musste ich am eigenen Leib erfahren...

Immer wieder war ich diese Nacht aufgewacht. Und jedes Mal hatte irgendwer im Bus noch getuschelt. Als die Sonne schließlich aufging und die warmen Strahlen mir wieder leben einhauchten, hatte ich insgesamt um die 3 Stunden Schlaf tanken können. Nicht sehr viel aber für eine Busfahrt noch im Mittelfeld.
Doch als ich endlich in der Jugendherberge ankam ließ ich mich sofort auf ein Bett in dem uns zugeteilten Zimmer fallen. Wie heilig ein Bett doch war. Obwohl ich noch jung war, hatte der Bus mit meinem Rücken letzte Nacht keine Freundschaft geschlossen. Ob ich später so eine jammernde 55 jährige mit chronischen Rückenschmerzen werde?
Die sogenannte „Herberge" bestand aus unzähligen kleinen Häusern in denen sich immer zwei Wohneinheiten befanden, die aus Hauptraum, Bad und einem kleinen Flur bestanden. Unsere „Wohnung" befand sich im Obergeschoß , daher hatten wir noch eine kleine Treppe. Es war eine nette Idee auch wenn die Häuser schon etwas ranzig wurden. Nachdem mich meine Zimmergenossen zum Essen aufgerafft hatten, war ich schließlich nach einem kleinen Abstecher ins Bad in einen tiefen Schlaf gefallen. Aber natürlich hatte ich mir nicht die Gelegenheit entgehen lassen, noch etwas mit den anderen zu tratschen als wir alle in unseren Betten lagen. Das gehörte ja schließlich zu jedem Klassenfahrt-Basispaket.

Just like me  ~ An Enemies to Lovers romantasyWhere stories live. Discover now