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Wenig später saßen wir beide auf meiner Couch. Die Musik lief immer noch. Es war so wohlig mit ihm. Ich fühlte mich mehr zuhause, als ich es ohne ihn in meinem Zimmer bisher getan hatte. Wir redeten.
„Also meinetwegen musst du nicht mehr nur bei Xander übernachten..."
Emilio zog die Augenbrauen hoch.
„Noch nicht genug?"
Schon wieder wurde ich rot.
„War dein Vater schon immer so?"
Seine Hand die zuvor über meinen Handrücken gestrichen hatte, erstarrte.
„Seit meine Mutter und meine eine Schwester bei einem Autounfall umgekommen sind."
Ich schluckte.
„Das tut mir so leid."
Jetzt hielt ich seine Hand.
„Deine Schwester und du, habt ihr viel Kontakt?"
„Ja, obwohl sie ohne mich besser dran wäre."
Ich strich ihm Haarstränen aus dem Gesicht.
„Warum?"
„Mein Vater ist krank und ich..."
„Du bist kein Monster"
„Du verstehst nicht."
„Ich versteh nicht? Ich verstehe das du kein einfaches Leben hast, das du zwei Menschen verloren hast, du fühlst dich auf dich selbst gestellt. Aber du hast Leute die für dich da sind." ich sah ihm in die Augen.
„wir sind beide... anders. Aber du bist doch kein Monster."
Er antwortete nicht.
„Was versteh ich denn nicht?"
Es machte mich traurig, für wie klein er sich hielt. Und für wie allein.
„Ich hatte sie nicht beschützen können. Bei dem Unfall. Und am nächsten Tag kamen meine Fähigkeiten. Die Fähigkeiten zu beschützen. Jemanden von der Welt abzuschirmen. Ich hab direkt nach dem Tod meiner Mutter und Schwester die Fähigkeit gehabt, die sie hätte retten können."
Ich legte meine Stirn an seine und zog seinen Kopf näher.
„Scheiße."
Flüsterte ich, denn ich kannte gerade keine Wörter die seinen Schmerz, seinen Verlust verbessern konnten.
„Ich bin ein Streich der Natur. Ein grässlicher Witz."
Eine Träne löste sich und rollte verdammt langsam meine Wange herunter. Doch ich wollte für ihn da sein. Er war es mit dem Päckchen.
Seine Familie so verloren zu haben war ja schlimm genug, doch er wurde Tag für Tag daran erinnert. Und lebte nun mit einer Fähigkeit die seine Familie am Leben hätte halten können. Wie unfair es ihm vorkommen musste.
//grässlicher Witz...//
Seine Worte hallten in meinem Kopf.

Nachdem Emilio mir das alles anvertraut hatte, fühlte sich unser Verhältnis noch enger an. So vertraut. Nachts träumte ich oftmals von ihm. (Nicht das ich das vorher nicht schon passiert war...) Tagsüber trafen wir uns. Wenn nicht in der Schule, dann danach. Wir waren jetzt ein festes paar. So verrückt es auch war, aber jetzt wussten es alle. Anfangs hatte ich so viele Blicke auf uns gespürt. Es war fast schon unangenehm. Zumal ich es überhaupt nicht gewohnt war so im Mittelpunkt zu stehen. Jetzt wo ich so oft in Emilios Gegenwart war, verstummten die Narben beinah, was dazu führte das nun auch mein Kopf, viel mehr Platz für mich hatte. Und meine Gedanken. Es war überwältigend in einer anderen Weise, als die Narben. Aber ich brauchte seine Nähe. Es war wie eine Droge.
Ich spürte seine Anwesenheit noch deutlicher als die vorigen Schauer.
Sobald er in der Nähe war, stellten sich nicht mehr nur meine Nackenhaare auf. Ich spürte ihn.
Wir waren definitiv in der Rosa Brillen Phase.

Ich saß schon im Bus. Zum Glück war ich so früh gekommen das ich einen der beiden 4er sitze ergattert hatte. Außerdem hatte ich wohl die goldenen 10 Minuten Trockenheit an diesem Tag erwischt. Jetzt schüttete es wieder wie aus Eimern. Im Sommer würde ich wieder Fahrrad fahren, auch wenn ich mich immer über den Bus beschwerte musste ich mir zugestehen das ich gerade sehr froh war kein Sport nach Hause machen zu müssen. Manchmal war ich einfach faul.
Ruckartig, schlugen mehrer Narben auf mich ein. Ich sah zu der Gruppe 10. klässlern die gerade am Bus vorbei liefen. Einer von ihnen verabschiedete sich und stieg ein. Der Rest der Narben wurden wieder leiser. Ich atmete aus. Mit einer kam ich aus.
Ein langsam, bekanntes Gefühl stieg in mir auf, da drehte ich mich um. Dort hinten kamen Emilio und Xander. Kaum merklich schlich sich ein Lächeln in mein Gesicht.

„Hey"
„Hi"
Begrüßte ich Xander, als sich Emilio neben mich setzte.
Ich flüsterte ihm eine Begrüßung.

Als sich die Türen schlossen fragte Xander verwundert.
„Was ist mit Ara?"
„Die ist heute krank" ich brachte die Wörter flüssig heraus obwohl mein Herz gerade dienen Sprung gemacht hatte. Emilio hatte sein Bein an meins gedrückt, während seine Hand meine berührte. Sofort schossen Emotionen und Hormone durch meinen Körper. Das würde eine lange Fahrt werden.
Beim aussteigen ließ ich mir Zeit. Emilio und Xander nahmen's nicht so gelassen. Nachdem ich die Leute aus dem anderen 4er herausgelassen hatte ging nun auch ich. Als plötzlich die verzweifelten Momente der ihn verlassenen Frau mit seinem Kind unterm Arm and meinem Bewusstsein nagten. Ich kannte diese Bilder. Der Busfahrer hatte viele dunkle Momente gehabt.
Als ich jedoch an die frische Luft trat und mich eine Brise Wind streifte, war alles wieder ruhig. Emilio sah mich an,
„Alles gut?"
„Jaja"
Ich ging auf ihn zu und gesellte mich zu Xander und ihm.

Es war wundervoll, Zeit mit ihm zu verbringen. Denn wenn ich nicht Klavierunterricht hatte, Hausaufgaben erledigte oder mich mit meinen Freunden traf, war es genau das was ich tat. Ok beim letzteren kam es auch manchmal vor das wir uns dann sahen.
Wie am letzten Freitag wo wir uns in einer ähnlichen Gruppe getroffen hatten wie damals am Spielplatz.
"Rune?"
Mein Kopf schoß empor.
Fuck ich hatte keine Ahnung was der von mir wollte.
„Das nächste mal unauffälliger träumen." sprach mein Lehrer.
Ein Kichern ging durch den Kurs. Kann nicht pac man kommen? Ich würde so gern verschluckt werden...
Michi... am Boden zerstört. Augenringe, abwesend, krank.
Sie hat ihr Baby verloren.
Scheiße, die Bilder hatte ich noch nie gesehen. Hatte er gerade erst seine Tochter verloren? Er war Vater?
Tiefste trauer, Angst, hilflos. Sein eigen Blut. Schwester versinkt.
Die Frau auf dem Sofa starrte in die Ferne. Michi ist leer. Meine kleine Schwester hat keine Lebenskraft mehr.
Ich atmete schnappartig ein und kassierte sicherlich ein paar Blicke. Die Wunde war so extrem. Angst und Trauer füllten mich. Drohten mich zu erdrücken. Ich musste weinen. Jederzeit. Ich kniff meine Augen zusammen in der Hoffnung die Tränen unterdrücken zu können. Denn ich fühlte die Herkunft der Gefühle. Sie waren echt und doch nicht meine. Je mehr ich mich darauf konzentrierte, ging mein Herz langsamer und meine Beine zitterten nicht mehr. Naja, das linke hörte jedenfalls ganz auf damit.
Eine Welle Wunden viel auf mich ein. Als hätte sich eine Box in meinem Kopf geöffnet, in der ich so viele schmerzhafte Wunden verschlossen hatte.
„Hey, was-„
„Mir ist nicht gut"
Antwortete ich Olivia und stürmte aus dem Raum. Alle hatten es mitbekommen aber ich musste raus. Musste Luft kriegen. Brauchte... irgendwas.
Jetzt strömten die Tränen über mein Gesicht und ich schluchzte als ich neben einem Spind, in mich sackte.
Sekunden vergangen doch der Fluss an Wunden hörte nicht auf. Die Hilflosigkeit gegenüber Michi hörte nicht auf. Die Trauer um Blacky. Der stechende Schmerz beim aufschlitzen meiner Pulsadern, das bedrängende Gefühl von Händen. Die Panikattaken die einfach nicht aufhören, der abgestorbene Teil im Herzen wo einst die beste Freundin noch unter den Lebenden weilte. Die schrecklichen Bilder von Toten und Explosionen zuhause.
„Rune!"
Olivias Stimme drang zu mir durch. Das war nicht ich. Das ist nicht meine Trauer. Mein Schmerz.
„Hey, alles wird gut, beruhig dich."
Papa, Papa bleib!!
Eine warme Hand drang zu mir durch. Eine zweite legte sich an mein Gesicht. Eine dritte umfasste die andere Seite meines Gesichtes. Realität. Das ist alles nicht echt Rune.
Ich blinzelte und sah endlich wieder die kotzgrünen Fliesenwände. Unverkennbar. Ich war nie so froh gewesen diese Fliesen zu sehen. Doch manche Wunden waren so hartnäckig. So überwältigend. Auch wenn ich mir die ganze Zeit in Gedanken rief, das sie nicht mein Schmerz waren.

Ich hörte meinen Atem und konzentrierte mich darauf hier zu sein, in der Schule. Ganz so, wie es mir die beiden sagten. Olivia und Emilio hockten vor mir.
Die Wunden schwelten almählich ab. Ich wusste nicht wie viel Zeit vergangen war. Doch die beiden saßen immer noch bei mir. Redeten zu mir. Berührten mich.
Ein erneutes Schluchzen hinderte mich daran, etwas zu sagen. Eine weitere Träne floss langsam meine Wange entlang.
Etwas später versuchte ich erneut zu sprechen.
„Alles gut."
Olivias Augen weiteten sich. Hopla, waren mir Reißzähne oder so gewachsen?
Du kannst schon wieder Witze reißen.
Jetzt war ich es, die erschrocken reinsah. Oder jedenfalls stellte ich mir das so vor. Ich hatte Gedacht. Und doch hatte es sich so angehört als hätte Emilio gesprochen. Als hätte er zu mir gesprochen.
„Du sahst gerade so aus als würdest du abkratzen!"
Olivia, so kannte ich sie gar nicht. Völlig außer sich. Ich musste ihr einen Riesen Schrecken eingejagt haben. Bei den Gedanken kniff ich meine Augen reflexhafter zusammen, ich wollte mich nicht erinnern. Ich wollte die Wunden verdrängen. Was für Wunden? Ich kenn keine...

Just like me  ~ An Enemies to Lovers romantasyحيث تعيش القصص. اكتشف الآن