Don't look in the mirror...

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Äste schlugen in mein Gesicht. Tränen ließen meine Sicht verschwimmen und mein ganzer Körper schmerzte. Ich wusste nicht, wie lange ich schon rannte. Ich wusste nicht einmal, was passiert war, alles geschah so schnell.

Zischend schlugen Pfeile auf den Boden ein, Magier warfen Bälle aus Eis und Erde nach uns und Rins Stimme hallte laut und grell zu mir herüber.

"FLIEHT! SIE HABEN UNS! DIE SOLDATEN HABEN UNS GEFUNDEN!" Ohne auf sie oder Harvey zu warten rannte ich weg vom Teich, tief in denn Wald hinein.

Mein Herz klopfte so schnell und ich bekam durch die Kälte kaum noch Luft. Mein Hals und Lunge brannten förmlich. Meine Schritte wurden langsamer und ich blickte zurück. Niemand war mir gefolgt, aber ich wusste nicht, wo ich war. Mit meiner Hand wischte ich die Tränen von meinem Gesicht. Nichts in meiner Umgebung kam mir bekannt vor, ich hatte mich eindeutig verlaufen. Bei der Flucht hatte ich meine Augenbinde verloren, ich musste aufpassen, ich wollte niemanden verletzen. Für einen kurzen Moment erinnerte ich mich an das versteinerte, angsterfüllte Gesicht meines Vaters. An das Gewitter, das an dem Tag gewütet hatte und an die Kerze, die schwach mit ihrem Flackern sein Gesicht erhellt hatte. Etwas, was ich nie vergessen werde. Hastig schüttelte ich denn Kopf, ich hatte für sowas keine Zeit. Ich schwebte womöglich immer noch in Lebensgefahr. Automatisch schloss ich die Augen und ließ meine Sinne durch die Erde hindurch in meine Umgebung fließen. Ein kleines Eichhörnchen knacke als nächtlichen Snack eine Nuss. Eine Wildschweinfamilie lief in der Umgebung herum und etwas weiter weg jagte ein Fuchs eine Maus. Die vertrauten Schwingungen ließen mein Herz langsamer schlagen, alle meine Sinne waren auf das um mich herum gerichtet, ich beruhigte mich allmählich. Keine Gefahr in Sicht. Über die Jahrtausende hatte ich gelernt, diese Fähigkeit zu perfektionieren. Ich hatte oft gehört, dass es unnötig war sowas zu können, wo man doch mit Augen sehen und mit Ohren hören könnte. Aber man konnte nicht durch Wände sehen und schleichende Personen hören. Viel wichtiger nun war aber wo Harvey und die Anderen waren! Ich vergrößerte denn Radius und suchte nach der vertrauten Aura meines Freundes. Immer weiter und weiter. In alle Richtungen. Die Gewässer entlang, durch Bäume und Büsche hindurch. Egal wie lange ich suchte, ich fand ihn nicht. Irgendwann stieß ich an meine Grenze, nichts war unendlich. Obwohl ich nicht wusste, wo er war, hatte ich das Gefühl zu wissen, in welcher Richtung er sich befand. Vielleicht enttäuschte mein Bauchgefühl mich nicht und ich fand ihn bald.

In einem schnellen Tempo lief ich durch den Wald. Immer noch schmerzten meine Glieder von der Flucht und der Kälte der Nacht. Geschlafen hatte ich noch nicht, aber die Anderen brauchten mich, da war ich mir sicher. Es muss wohl eine Weile vergangen sein, seit ich mich auf die Suche gemacht hatte, hinter den Baumwipfeln machte sich nun schon die Morgendämmerung breit und der Mond verschwand. Hunger und Müdigkeit schwächten mich, aufgeben war keine Möglichkeit. Das Gefühl meinen Freund ganz nah zu sein, machte sich in mir breit, obwohl ich ihn nicht sehen konnte. War er auf einen Baum? War er in einem Fluss? Warum fand ich ihn nicht?

Durch den Boden nahm ich Schritte wahr. Eine Gruppe von Soldaten liefen in der Gegend auf und ab. Sie waren gefährlich nah.

Plötzlich stürzte einer von oben auf mich herab. Erschreckt schrie ich auf und sprang zurück. Doch bevor der Mann überhaupt etwas tun konnte, war er zu Stein erstarrt. Erneut raste mein Herz in meiner Brust. Ich hasste dieses Gefühl. Immer wenn irgendjemand, egal ob Feind oder Freund, ob Mensch oder Tier, durch meine Augen zu Stein wurden, strömte diese besondere Stärke durch mich. Als hätte ich ihre Lebenskraft in mich aufgenommen. Es freut mich aber nicht. Egal wie alt ich war, ich hasste es zu töten und ich wusste, dass genau deswegen mein Leben so lang war. Leute wie Harvey konnten ihr Leben durch Magie und Forschung verlängern, ich aber stahl die Zeit anderer und ich konnte es nicht aufhalten. Zum Sterben hatte ich nicht genug Mut. Ich sah trotz allem einen Sinn in meinem Dasein. Die Schritte meiner Gegner kamen nun in meine Richtung, womöglich hatten sie meinen Schrei vernommen. Eilig hastete ich weg von ihnen, möglichst leise, damit ich nicht verraten wurde. 

Nach einiger Zeit gelangte ich auf eine Lichtung. Sie war seltsam. Magie schwebte in der Luft, ein kleiner Fluss floss in der Mitte entlang und an einen Stein war ein Objekt gelehnt. Es sah aus wie ein wunderschön verzierter goldener Spiegel. Neugierig näherte ich mich dem Objekt. Ich schaute vorsichtig hinein, die Spieglung war klar, als plötzlich etwas an mir zog. Es war kein Mensch, es war eine Kraft. Erschreckt versuchte ich zurückzugehen, aus diesem Zog zu entfliehen, doch es war schon längst zu spät. Mein Körper wurde schlapp. Alles drehte sich. Ich versuchte zu schreien. Hilfe zu erbitten oder mit meiner Magie aufzuhalten, was auch immer passierte. Doch vergebens, meine Stimme versagte und ich konnte mich nicht bewegen. Kurz darauf wurde alles schwarz.

Ich schreckte hoch. Alles war in einem hellen Grauton um mich herum. War ich tot? Doch dann nahm ich Bewegungen war. Gestalten. Sie ähnelten denn Soldaten unseres Feindes, doch es waren nur Geister. Sie schwebte herum. Ausdruckslose Gesichter, ein Schatten ihres Selbst. Kaum sichtbar. Nervös blickte ich mich um, ich saß ihn einem leeren Raum, hinter mir war ein Fenster. Ich ging dort hin, es hatte die Größe eines Spiegels.

"Hallo?", fragte ich ängstlich und klopfte gegen die Schreibe.

"HALLO? IST DA JEMAND!" meine Stimme wurde panischer. Niemand antwortete. Niemand hörte mich.

"BITTE! ICH BIN HIER GEFANGEN! HALLO??" schrie ich noch lauter und hämmerte mit aller Kraft gegen das Glas. Ich versuchte es zu zerbrechen, doch alles Schlagen und Treten half nichts.

"HILFE!", schrie ich ein weiteres Mal und sank verzweifelt zu Boden. Tränen tropften meine Wangen herunter. An diesen Ort konnte ich nicht mal meine Kräfte nutzen. Eine Sache wurde mir klar. Ich war im Spiegel. Gefangen in einem Gefäß.

"Mary?" Wie aus einer Trance gerissen, riss ich denn Kopf hoch.

"Harvey? HARVEY?! ICH BIN HIER! ICH BIN IM SPIEGEL!" schrie ich.

"Tut mir leid ..." seine Stimme hallte im Raum wieder. "Aber ich glaube, dass ich der Spiegel bin."

Erstarrt schaute ich durch das Glas. Nach einiger Zeit legte ich meine Hand darauf. "Du bist der Spiegel?", flüsterte ich fassungslos.

"Wenn ich könnte, würde ich nicken ... sie haben mich geschnappt und dieser Bastard von großer Bruder dachte sich, es wäre eine gute Idee mich in einen Spiegel zu verwandeln. Ein Spiegel, der all jene, die hineinschauen, in seinen Bann zieht und gefangen hält. Genau wie dich"

"Ich verstehe ... wenigstens bin ich in dir gefangen ... nach tausend Jahren Freundschaft wird das schon." Ich setzte mich auf den Boden und lehnte mich mit dem Rücken an die Scheibe.

"Es war wirklich dein Bruder?" fragte ich interessiert und Bilder des Mannes tauchten in meinen Kopf auf. Ich kannte ihn fast genauso lange wie Harvey, doch er hat sich verändert. Irgendwann ist der Kontakt abgebrochen.

"Ja, er war es. Ich glaube, er hat auch Scout ... sie ist nicht mehr aufgetaucht ..." Mein Herz wurde schwer als ich an den Hund dachte. "Das wird schon ..."

Es vergingen Tage, vielleicht Wochen. Keiner von uns wusste, wie viel Zeit verging. Zwei weitere Soldaten wurden in meinen Freund gefangen, doch auch sie waren einfache Geister. Warum ich nicht wie sie war, wusste ich nicht. Vielleicht, weil ich älter und stärker war. Oder weil Harvey mich beschützen wollte. Wir redeten, wie wir es immer taten. Tage und Nächte hindurch, schnell realisierte ich, dass ich weder Hunger noch Schlafmangel verspürte. Ich hatte meine Taschen an dem Tag als wir angegriffen wurden, nicht mitgenommen. Ich hatte keine Beschäftigung. Kein Buch zum Studieren oder etwas Ähnliches. Wenn Harvey nicht mit mir sprach, weil wir keine Themen hatten oder er mal wieder in einer seinen ewigen Gedankengängen gefangen war, hatte ich das Gefühl, die grauen Wände würden sich bewegen und Muster wären darauf zu sehen. Ich wusste, es war nur Einbildung.

Ein lautes Geräusch riss mich aus meiner Trance. Ein Mädchen rannte auf die Lichtung, auf welcher ich und Harvey standen. Es gab eine verblüffende Ähnlichkeit mit Alice. Kurz darauf folgten zwei weitere Personen.

Bloody Raven in the ShadowWhere stories live. Discover now