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LEONARDO

Vor einer Woche


Seine schmerzerfüllten Schreie hallten durch den ganzen Raum.

Immer wieder.

Immer wieder schlug ich mit dem Hammer auf seine Hände.

„Я прошу вас Отпусти меня! (Ich flehe dich an. Lass mich gehen!)", schrie der Mann erschöpft auf, während mehrere, armselige Tränen seine Wangen herunterflossen.

Genervt brummte ich auf und stellte dabei mein Kopf langsam in den Nacken.

„Перестань плакать и дай мне нужную информацию! (Hör auf zu weinen und gib mir die Information, die ich brauche)", antwortete ich ihm so ruhig wie möglich, während ich den mit Blut beschmierten Hammer in meiner Hand hin und her schwang.

Langsam wurde mir das Ganze zu langweilig.

Als der Idiot mir nicht antwortete und mich nur mit Tränen in seinen Augen ansah, seufzte ich auf und schwang mit dem Hammer auf und schlug diesen diesmal gegen sein Gesicht.

Und wieder hallte sein Geschrei durch den ganzen Raum.

Wütend wischte ich mit meiner Hand das ganze Blut von ihm weg, welches auf meinem Gesicht landete.

Ich hatte erst heute Morgen geduscht...

Gerade wollte ich wieder Schwung aufnehmen, da hörte ich, wie sich schnelle Schritte der Tür näherten. Als diese dann kurz daraufhin geöffnet wurde und ein Junge, der nicht älter als sechzehn war, durch diese hereingestürzt kam, lies ich den Hammer langsam wieder fallen.

„Босс! Пришло письмо! (Boss! Die Post ist angekommen!)", gab mir der Kleine Bescheid und hielt dabei die Mappe in seiner Hand in die Höhe.

Endlich...

Um meine Identität und Sicherheit zu bewahren, wurde ich von der ganzen Außenwelt abgeschottet. Ich durfte kein Verdacht auf mich ziehen. Ich durfte keinen Fehler machen.

Das würde mein Tod und den Zerfall meiner Hierarchie bedeuten.

Schließlich war Moskau keine sichere Stadt...

„Береги себя (Pass auf dich auf)", befahl ich dem Jungen mahnend, nachdem ich ihm die Mappe entgegengenommen hatte. Stolz grinste er mich an, als ich ihm noch ein wenig Geld in die Hand gedrückt hatte.

Erleichtert blickte ich auf die Mappe runter und konnte nicht verhindern, dass mein Mundwinkel leicht nach oben zuckte.

Endlich.

Alle paar Monate bestand die geringe Möglichkeit, dass mir meine Männer aus Italien Informationen zuschicken konnten.

Informationen, die ich für die Geschäfte brauchte.

Aber das war das Geringste, was mich an der Mappe interessierte.

Ich wollte nur wissen, wie es ihr ging.

Diese Frage ließ mich seit Monaten nicht mehr in Ruhe schlafen.

Jeden Morgen. Jeden Abend. Jede Sekunde.

Was meine Bella gerade wohl machte...

Wahrscheinlich lernte sie gerade mit ihrer Mitbewohnerin für ihre Schule und genoss ihre letzten College-Jahre.

Ich war ziemlich stolz auf sie.

Aus ihr wird was ganz Großes. Dafür würde ich meine Hand ins Feuer legen.

Wie gerne ich wieder ihr wunderschönes Lächeln sehen wollte. Ich wollte nur wieder in ihre Augen blicken können. Mehr wollte und brauchte ich nicht.

„Отдыхай, малыш. Лучше молись, я буду в хорошем настроении, когда вернусь (Ruh dich aus, Kleiner. Bete lieber, dass ich gute Laune habe, wenn ich wieder da bin)", sagte ich zu dem Mann auf Russisch, wobei er schwer schlucken musste und mich mit ängstlichen Augen anblickte.

Damals hatte ich meinen Vater verflucht, weil ich mit zehn Jahren diese schwere Sprache erlernen musste.

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich ihm für etwas dankbar.

Ich hoffte, er verrottete in der Hölle, nachdem meine Bella ihn dahin geschickt hatte.

Kurz vor dem Hinausgehen schnappte ich mir die Kippenschachtel und verließ mit der Mappe den ekelhaften Raum.

Eigentlich hatte ich mit dem Rauchen aufgehört, da Cecilia total dagegen war. Doch da sie nicht mehr da war und ich den ganzen Stress in Moskau schwer verarbeiten konnte, griff ich wieder nach diesen.

Ob ich darauf stolz war? Ist mir eigentlich egal. Hauptsache, Cecilia bekam davon nichts mit.

Drei Jahre waren vergangen und trotzdem ging mir dieses Mädchen einfach nicht mehr aus dem Kopf.

Draußen zündete ich mir eine Kippe an und griff dabei um die Mappe.

Ich hoffte sehr, dass in der Mappe nichts war, was der Grund wäre, dass Köpfe rollen würden...

Ungeduldig öffnete ich die schwere Mappe und blickte auf die vielen Bilder runter, die sich darin befanden.

Bilder von Cecilia.

In der Bibliothek, im Park oder mit ihrer Freundin beim Shoppen.

Es bildete sich automatisch ein Lächeln auf meinem Gesicht, während ich mir ein Bild von ihr beim Zeichnen ansah.

Sie war so unglaublich wunderschön.
Ich hatte in meinem Leben noch nie so ein wunderschönes Mädchen gesehen.

Ich legte das Bild zur Seite und griff nach dem Bild unter diesem.

Und mein Lächeln erlosch.

Ich spürte, wie jeder einzelner Muskel in meinem Körper sich anspannte. Meine Brust begann unkontrolliert an zu beben und mein Herz pochte wie verrückt.

Ich griff stärker um das Bild und atmete dabei tief aus.

Cecilia war nicht alleine auf diesem Bild zu sehen.

Scheiß auf meine Sicherheit und auf meine Hierarchie... Ich musste wieder zurück.

Es wurde Zeit, meine Bella zu erinnern, wem sie wirklich gehörte.

Und das für immer.



DO YOU STILL LOVE MEWhere stories live. Discover now