Prolog

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Eigentlich hatte der Tag im Anwesen des Herren Prickelin auf keine besonders außergewöhnliche Weise begonnen

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Eigentlich hatte der Tag im Anwesen des Herren Prickelin auf keine besonders außergewöhnliche Weise begonnen. Mehr gewöhnlich und höchst unspektakulär. Auch wenn er wie jeden Morgen aufgestanden war und entschieden verkündet hatte: „Heute! Heute wird es mir gelingen und mein Name wird niemals vergessen werden!"

Augenrollend war sein Kammerdiener Ranom neben ihm gestanden und hatte darauf gewartet, dass der Herr sich dabei helfen ließ in Hemd und Jackett zu schlüpfen. Und in die Hose, deren Knopf an diesem Morgen nicht gleich zugegangen war. Dennoch war auf das üppige darauffolgende Frühstück nicht verzichtet worden, denn ein Wissenschaftler der im Begriff war wahrlich Großes zu erschaffen, benötigte ausreichend Energie.

Herr Prickelin hatte sich also in sein Labor zurückgezogen und mit knisternden Funken, fauchenden Blitzen und leuchtenden Substanzen herumexperimentiert. Sein Kammerdiener – genau genommen sein einziger Diener und deshalb auch Koch, Sekretär, Kutscher und Bote – war währenddessen dazu übergegangen sich seinen anderen Tätigkeiten zu widmen. Ein sauberes Haus, war der stolz eines Dieners! Allerdings war Ranom nicht immer sehr stolz und auch mit ein paar staubigen Ecken einverstanden, die seinem Herren ohnehin nicht auffielen und den nicht existenten Gästen genauso wenig. Dementsprechend streckte er nach mittelmäßig erledigter Arbeit bei frisch gebrühtem Tee die Beine von sich, um in aller Ruhe eine Zeitung zu lesen. Gelegentlich hielt er inne und lauschte wenn wieder eine der kleinen Explosionen das Haus beben und die Schränke wackeln ließ. Wenn kurz darauf aber sein Herr deutlich schimpfend zu vernehmen war, brauchte Ranom sich keine weiteren Sorgen zu machen und konnte sich wieder in aller Ruhe der Lektüre widmen.

Der große Zeiger der alten Uhr rutschte gemächlich über das Ziffernblatt, während Ranom sich gerade höchst interessiert auf die Ergebnisse der letzten Luftflitzer Rennen konzentrierte. Noch eine Drehung, dann würde er seinen Herren an den Termin in der Oberstadt erinnern und das Automobil vorbereiten.

Unzufrieden brummend ließ Ranom die Zeitung sinken. Seine Wetteinsätze waren wieder verloren. Dabei hatte er sich diesmal so sicher gefühlt und sogar auf den Gewinner der letzten drei Rennen gesetzt. Aber selbstverständlich musste ausgerechnet dann, wenn er das tat, ein Außenseiter gewinnen von dem er vorher noch nie etwas gehört hatte.

Wieder gab es eine Explosion. Diesmal eine, die den Boden brummen ließ sodass Ranoms Teetasse klirrend vom schwankenden Tisch stürzte. Sie zerschellte. Noch etwas, dass Herr Prickelin nicht bemerken würde und den desinteressierten Diener deshalb in keinerlei Sorgen versetzte. Seufzend drehte er den Kopf zur Seite, um wieder auf das immer rasch folgende Fluchen zu lauschen. Als die Schwingungen der Explosion aber aufgehört hatten und alles wieder ruhig geworden war, kam nichts. Kein Jammern, Toben oder lautes Schimpfen auf die Musen der Wissenschaft, die ihn so ungerechtfertigt im Stich ließen.

Nervös runzelte Ranom die Stirn. Er mochte diese Arbeit hier. Sie war langweilig, aber gerade deshalb hatte er gefallen daran gefunden. Außerdem war er zu faul und zu unfähig um etwas neues zu finden, dass ihn ähnlich gut bezahlte ohne dabei schreckliche Überstunden von ihm abzuverlangen.

Unruhig legte er die Zeitung zur Seite und stand auf. Schnell war er die Treppen zu dem Labor herabgestiegen und hatte die Tür dazu aufgestoßen. Es roch nach Magnesium, Sulfur, Öl und irgendetwas Verbranntem. Aber das war normal. Weniger normal war, dass Herr Prickelin stumm vor seinem Arbeitstisch stand und sich nachdenklich an seinem grauen Bart kratzte. Eine Strähne auf seinem Kopf dampfte leicht und wenn Ranom sich nicht ganz irrte, glimmte es sogar vereinzelt zwischen den Haaren. Sein Herr schien das allerdings gar nicht zu bemerken. Für Ranom war das in Ordnung, Hauptsache er musste sich keine neue Stelle suchen.

Schon wollte er wieder gehen, da wurde er auf einmal doch bemerkt und der alternde Wissenschaftler drehte sich herum. Die nachdenkliche Stille verschwand. Sie wurde in einem einzigen fließenden Rutsch ausgewechselt in enthusiastische Begeisterung.

„Ich habe es geschafft!", rief Herr Prickelin und breitete die Arme aus. „Es funktioniert! Und es ist wundervoll!" Hektisch winkte er seinen Diener herbei. Gleichzeitig lief er um den Arbeitstisch herum und strich fast schon liebevoll über eine kleine quadratische Maschine. Zumindest ging Ranom davon aus, dass es eine Maschine war, denn sie brummte leise und ein bläuliches Glühen lag in ihrem Inneren, dass durch schmale Schlitze an verschiedenen Stellen heraus trat. Davon abgesehen sah es aus, wie ein eher gewöhnliches kleines Kästchen. Eine Box aus grauem Metall die eben leuchtete. Allerdings fand Ranom, dass selbst das Radio oder die Seilbahnen der Gondeln hinauf zu den fliegenden Stadtteilen, eindrucksvoller waren. Doch er war auch kein Wissenschaftler, der etwas davon verstand. Neugierig machte es ihn dennoch, nach all der Zeit, die sein Herr so begeistert davon gesprochen hatte. Immer behauptend, eines Tages würde es die Welt verändern. Mit der Erinnerung an zahlreiche kleine Explosionen im Hinterkopf, trat er vorsichtig näher.

Stolz strahlte sein Herr ihn an.

„Kannst du dir vorstellen, was das bedeutet?", keuchte er in einer Stimmlage und mit einem Glänzen auf den Wangen, dass fast an Erregung erinnerte. „Alle die sie meinten ich würde nur eine Spinnerei hinterherjagen... sie werden staunen und meinen Namen nur noch murmeln in andächtiger Bewunderung!"

Lachend stemmte Herr Prickelin die Hände in die Seiten. Dann bewegte er sich in einer für ihn eher ungewöhnlichen Geschwindigkeit durch das Labor. Er sammelte überall verstreute Papiere zusammen und klopfte auf kleine Zahlen hinter gläsernen Anzeigetafeln an der Wand. Alles in einem unaufhörlichen Schwall von Worten die ihm über die Lippen schwappten. Sein Diener und momentan einziger Zuhörer, hörte ihm aber gar nicht dabei zu. Er betrachtete viel interessierter das so unscheinbar erscheinende kleine Gerät. Was genau es nun konnte wusste er nicht, aber irgendwie bereitete es ihm Sorgen.

Wenn es wirklich so fantastisch war, würde sein Herr dann nicht schlagartig viel wichtiger werden? Das bedeutete dann auch mehr Gäste und dann würden die zahlreichen staubigen Stellen doch irgendjemandem auffallen. Allerdings... vielleicht bedeutete es auch mehr Angestellte. Und er – Ranom – würde als Dienstältester natürlich über ihnen stehen. Sie befehligen. Ja, das klang schon vielversprechender.

Nun doch auch von einer gewissen Zufriedenheit beseelt drehte Ranom sich wieder um und sah seinem Herren in dessen eifrigen Bewegungen zu. Der alte Mann war schon ganz rot geworden vor Aufregung. Kleine Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn und er atmete schwerer. Erschöpft von der Hektik und gewaltigen Vorfreude auf das was nun noch kommen würde, hörte Herr Prickelin auf darüber zu sprechen. Er blieb wieder neben seinem Arbeitstisch stehen, legte die Dokumente ab und stützte sich mit einer Hand.

„Ouf...", machte er.

„Herr Prickelin?" Ranom ging ein paar Schritte auf ihn zu.

„Ist schon gut. Ich bin diese Gefühle von Erfolg nur nicht mehr ganz so sehr gewohnt wie früher." Er schnaubte schwerer. „Es ist schon eine Weile her seit ich..." Da verdrehten sich die Augen des Wissenschaftlers. Sie rollten nach oben bis die Iris unter zitternden Liedern verschwand. Dann griff er sich im Krampf an die Brust, schnappte nach Luft und schon kippte der rundliche Leib des alten Mannes einfach rückwärts um.

Dumpf landete er auf dem Boden noch während sein Diener erschrocken an seine Seite eilte.

„Herr Prickelin!", rief er und schüttelte ihn an den Schultern. „Herr Prickelin!"

Er reagierte nicht.

Ranom überprüfte panisch den Puls, fühlte nichts und sprang zitternd auf die Beine. Er musste Hilfe herbeirufen! Und was war es das der Arzt gesagt hatte, als sein Herr die Warnungen über ein schwaches Herz das letzte Mal abwinkend ignorierte? Fast stolperte der Diener über die ausgestreckt am Boden liegenden Beine. Gerade so fing er sich an der Ecke eines Tisches ab. Sein Blick fiel auf das noch immer in vibrierendem Glimmen stehende kleine Gerät. Er hielt Inne, warf seinen Blick zwischen seinem eigentlich doch bereits verstorbenen Herren – sehr bedauerlich – und der scheinbar so fantastischen Erfindung hin und her.

Ein Gedanke kam ihm. Einer dem er dann auch folgte, und der dafür sorgte, dass man den kalten Körper Herrn Prickelins erst drei Tage später fand. Ohne Diener, ohne Erfindung.

Magpie Promise - Ehre unter DiebenWhere stories live. Discover now