11

151 15 0
                                    

Silas

Es war mitten in der Nacht. Wie spät genau oder ob es vielleicht sogar schon morgens war, konnte ich nicht sagen. Auf die Uhr zu sehen war das letzte, das ich im Sinn hatte, nachdem ich die Tür zu Kians Gemach hinter mir zugeknallt hatte und mich auf den Weg nachhause machte.

Ich hatte eine große Sporttasche dabei, in der sich die Kleidung befand, die ich über die Monate hier gelagert hatte, und den Rucksack, den ich für die Schule brauchte.

Mich von irgendwem zu verabschieden hielt ich für überflüssig. Boris und Alica würde ich spätestens in der Schule sehen, mit Oma konnte ich telefonieren, falls ich Lust finden sollte, mich mal wieder belügen zu lassen, und Maddy würde ich von zuhause aus über das Handy aufklären. Ich wollte nur noch weg. Und das so schnell wie möglich.

Dass der Ball unten noch in vollem Gange war und ich als wütender, blauer Packesel nicht gerade unauffällig, entzog sich meiner Wahrnehmung.

Ich hatte die Wege von der Stadt in den Palast und zurück so oft bestritten, dass ich automatisch wusste wohin. Ich brauchte niemanden, der mich begleitete und den gesamten Weg über zuschwafelte. Trotzdem fing Ethan die Tür zu den Reitställen hinter mir auf und schob sich eilig zu mir hindurch.

„Silas? Was machst du da?"

Ich hatte mich für diesen Ausgang entschieden, da die Chance entdeckt zu werden im Vergleich zu den anderen Türen deutlich geringer gewesen war. Aber Ethan war gut in seinem Job. Er wusste immer was im Palast passierte, wer kam und wer ging und wen er im Auge behalten musste. Dass ich auf seiner Liste ganz oben stand, sollte mich nicht verwundern.

„Wonach sieht es denn aus? Ich gehe."

„Wohin willst du? Du darfst das Gelände nicht verlassen, das weißt du."

„Ich will nachhause."

„Warum ausgerechnet jetzt?"

„Was interessiert es dich? Sei doch einfach froh, dass ich dir keine Probleme mehr machen werde."

„Jetzt warte doch bitte einen Moment." Er stellte sich vor mich und zwang mich dadurch anzuhalten. „Du machst mir sehr wohl Probleme, wenn du jetzt einfach so gehst", meinte er mit einem bedachten Lächeln. „Komm, wir gehen zurück und du erzählst mir in Ruhe, was der Prinz angestellt hat."

Mein Schnauben klang nicht halb so abfällig wie gehofft. „Der Prinz will mich nicht mehr hier haben, Ethan. Und ich will nicht mehr hier sein. Lass mich einfach gehen."

Ich versuchte, an ihm vorbei zu gehen. Er stand sofort wieder vor mir und hielt mich durch eine Hand auf meiner Schulter fest.

„Sei vernünftig. Alleine kommst du doch ohnehin nicht weit."

„Das wirst du dann schon sehen."

Ich schob seine Hand weg, ging um ihn herum und stampfte weiter.

Für gewöhnlich hatte Maddy mich begleitet, wenn ich nachhause gegangen oder wieder zurückgekommen war. Für den Weg zur Schule und zurück, war Anna immer dabei gewesen.

Ich war davon ausgegangen, das läge daran, sie müssten sicherstellen, dass ich nicht auf die spontane Idee kam, ein Abenteuer durch das Reich zu unternehmen. Und anfangs war ich um die Gesellschaft froh gewesen, da es mir schwergefallen war, mir den Weg zu merken.

Mittlerweile wusste ich wo ich lang musste und hatte die Begleitung als Voraussetzung des Königs akzeptiert, mich wann immer ich wollte, in seinem Palast aufzuhalten. Nun wollte ich mich dort aber nicht mehr aufhalten. Seine Regeln konnten mir also egal sein.

„Du wirst dich verlaufen!" Ethan holte erneut zu mir auf.

„Dein König würde sich freuen!"

„Das stimmt nicht." Er schien begriffen zu haben, dass er mich nicht dazu bringen konnte, hierzubleiben. Er gab es auf, sich mir in den Weg zu stellen und lief stattdessen neben mir her. „Du bist ein Freund der Königsfamilie."

Erwacht- KaltblütigWo Geschichten leben. Entdecke jetzt