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-Erens Sicht-

,,Was... meinst du damit?"

Ich blickte Kenny in die Augen, als ich diese Worte über meine Lippen brachte. Mein Gegenüber grinste amüsiert und erhob sich von seinem Stuhl. ,,Der Kleine gefällt mir. Die Unschuld steht ihm in sein Gesicht geschrieben."

Kenny kniete sich zu mir. Angst machte sich in mir breit und ich drohte in Tränen auszubrechen. Kenny umfasste mein Kinn und Zwang mich, ihm in seine Augen zu schauen. Sein Atem traf meine Lippen und ich wagte es nicht, auch nur einen Muskel zu rühren.

,,Am Anfang waren wir mehrere Tausend Mann. Die Hälfte wurde von diesen Monstern zerfleischt. Als wir dann hörten, dass die Menschen evakuiert und nach Mitras gebracht werden, haben wir uns auf den Weg gemacht. Wir hatten die Hauptstadt noch nicht einmal erreicht, als wir vor dem Militär standen."

Kennys Grinsen verschwand und sein Ausdruck wurde düster. Er erinnerte mich an Levis Ausdruck... Sie hatten Ähnlichkeiten.

,,Sie haben uns gefragt, woher wir kommen. Wer hätte gedacht, dass sie auf uns schießen würden, wenn wir ihnen sagten, dass wir aus Quinta kommen und Hilfe brauchen? Wir hatten Kinder und Frauen bei uns. Jetzt sind wir nur noch hundert Mann. Die Leichen meines Bosses und meiner Leute werden in diesem Moment von diesen Kreaturen gefressen."

Kenny ließ von mir ab und ich senkte meinen Blick. Die Regierung ließ Menschen erschießen und sie dann den Monstern zum Fraß werfen?

,,Du kommst aus Shiganshina, richtig? Dir hätten sie auch eine Kugel durch den Kopf gejagt. Wenn ich es nicht besser wüsste, plant die Regierung eine Säuberung. Je näher man der Hauptstadt kommt, desto ordentlicher sind die Städte. Keine Leichen und kein Blut."

Mein Gesicht wurde mit einem Mal blass und ich vergaß zu atmen. Ich blickte zu Levi und hoffte, dass er den Worten seines Onkels widersprechen würde, aber das tat er nicht.

,,Er hat Recht. Ich war selbst dort. Die Leichen... Diese Menschen haben in Quinta oder Shiganshina gelebt. Es waren auch Kinder unter ihnen", bestätigte Levi. ,,N-Nein", brachte ich hervor, ,,Armin hat gesagt-" Levi fiel mir ins Wort. ,,Armin hat es selbst nicht besser gewusst."

Levi hatte von Anfang an Recht gehabt und ich hatte ihm kein Wort geglaubt, weil ich fest daran geglaubt hatte, dass das Militär kommen und uns retten würde - Dass wir in der Hauptstadt sicher wären.

Deswegen hatten wir keinen einzigen Soldat gesehen. Deswegen waren keine Rettungshubschrauber am Himmel gewesen. Deswegen wurden die Menschen in Quinta, Shiganshina und in den umliegenden Dörfern nicht rechtzeitig gewarnt. Deswegen hatten wir keine Anweisungen über das Radio bekommen. Die Regierung wollte uns nicht. Sie sortierten uns aus, weil wir ihr ein Klotz am Bein waren...

Sie wollten die Armen nicht durchfüttern und Steuergelder verschwenden. Sie wollten keine dreckigen Städte, keine Mafia und keine Kriminellen. Aber war es nicht die Regierung selbst, die Quinta und Shiganshina in diese Lage gebracht und aufgegeben hatte?

Tränen liefen über mein Gesicht. Zu so etwas schrecklichem war doch unmöglich jemand in der Lage. Oder? Da stimmte etwas nicht...

,,Dein neues Mitglied ist lächerlich, Levi", hörte ich Kenny sagen. Ich wusste, dass ich schwach und naiv war. Dass ich bisher nichts geleistet hatte. ,,Es tut mir fast schon weh, ihn weinen zu sehen." Ich hörte die beiden Männer, Berthold und Reiner, lachen. Ich senkte meinen Blick und meine Lippen zitterten.

,,Hast du etwa geglaubt, dass die Reichen uns mit offenen Armen empfangen würden? Shiganshina hat in der Hinsicht etwas mehr Glück als Quinta. Hier verkaufen Frauen ihre Körper für etwas zu essen; an jeder Ecke findest du jemanden, der Drogen verkauft oder wegen Drogen ins Gras gebissen hat. Diese Stadt ist dreckig. Shiganshina hingegen ist ein Paradies, zumindest für solche wie Levi und seine Freunde."

Kenny hatte Recht. Er gehörte einer Mafia an. Er hatte Macht und Geld, aber beides rettete nicht sein Leben. Und für Levi und die anderen... Sie hätten wahrscheinlich gerne in einer Stadt wie Shiganshina gelebt.

,,Aber genug geredet..."

Als ich Schreie vernahm, wandte ich meinen Blick zu Isabel. Sie schrie und versuchte sich zu wehren, als Berthold und Reiner sie auf ihre Beine zerrten. ,,Hey, was soll das?! Wo bringt ihr mich hin? L-Levi!" Sofort senkte ich meinen Blick, als ich das dreckige Grinsen auf den Lippen des blonden Mannes sah.

,,Ihr werdet sie nicht mehr wieder erkennen, wenn wir mit ihr fertig sind. Also prägt euch das hübsche Gesicht sehr gut ein."

Ich hob meinen Blick wieder. Der blondhaarige Mann packte Isabels Gesicht und zwang sie, in unsere Richtung zu blicken. Tränen liefen über ihr Gesicht. Sie verstummte mit einem Mal und ihre Lippen zitterten fürchterlich. Die beiden Zöpfe, die sie trug, waren durcheinander.

,,Was willst du, Kenny?!"

Kenny hob eine Augenbraue und spielte mit der Pistole herum, die er in seiner Hand hielt.

,,Was ich will? Ich will Rache, Levi. Ich will dich verletzen und dich betteln hören. Du tötest mehrere meiner Männer, bringst deinen eigenen Vater um und fällst mir wie deine Mutter in meinen Rücken. Habe ich dir nicht Geld und Macht versprochen? Du hast Bullen auf uns gehetzt."

Levi hatte die Ackerman-Familie genauso verraten wie seine Mutter damals. Er hatte mir beigebracht, dass man diese Familie auf gar keinen Fall hinterging, aber genau das hatte er getan. Dieser Mann hatte Mut und eine unbeschreibliche Stärke. Ich bewunderte ihn sehr.

,,Außerdem wäre es langweilig, euch einfach abzuschlachten. Ich möchte einen Nutzen aus euch ziehen, bevor ich euch töte. Wir haben alle Zeit der Welt. Und deine kleine Freundin kommt wie gerufen, Levi. Meine Männer kämpfen seit Tagen ums Überleben. Wir haben unsere Frauen verloren - du verstehst doch?"

,,Dreckiges Schwein."

Als die Tür zufiel und die beiden Männer Isabel aus den Raum zerrten, hörten wir ihre Schreie im Flur. Levis Stimme drang ebenfalls in meine Ohren. Wenn er nicht gefesselt wäre, würde er Kenny mit seinen bloßen Händen umbringen.

Ich wollte, dass diese Schreie verstummten. Ich konnte nicht mitanhören, wie sie Isabel verletzen und ihre Würde brachen.

,,Wenn wir deine andere Freundin finden, wird sie Isabel Gesellschaft leisten", sagte Kenny. Levis Ausdruck wurde finsterer und selbst ich fürchtete mich vor ihm. Ich war froh, nicht in Kennys Haut zu stecken. Ein Grinsen bildete sich auf seinen Lippen. ,,Während Berthold und Reiner sich mit Isabel vergnügen - Lass uns doch etwas Spaß haben, Levi. Was hältst du davon?"

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Monster [Ereri/Riren]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt