Kapitel 44

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Marie

Gähnend ging Marie zwischen den vielen Zelten umher. Kalter Wind blies ihr in das Gesicht. Die Sonne war noch nicht lange aufgegangen. Theo hatte sie geweckt. Wie jeden Morgen. Da er ihr Diener war, konnte sie darauf bestehen. Und da alle Schüler des Elitekurses den Luxus eines eigenen, kleinen Zelts zugesprochen bekamen, nutzte das Paar dies, um sich jeden Morgen aneinander zu erfreuen.

Mit Küssen, Umarmungen, und kurzen, leisen Gesprächen.

Mehr konnten sie nicht riskieren.

Nicht hier.

Nun ging Theo seinen Tätigkeiten nach. Er half beim Kochen der Speisen, mit welchen alle Soldaten versorgt werden mussten.

Marie war erschöpft. Täglich trainierte sie mit den erfahrenen Soldaten. Täglich musste sie sich schlimmes anhören. Viele konnten es kaum abwarten, ein paar Köpfe von ihren Körpern zu trennen. Hier gab es sehr viel Hass. Zu viel. Aber nicht nur. Manche waren auch nur hier, weil sie mussten. Deren Gesellschaft suchte die junge Hexe gern auf.

„Marie?"

Verwirrt sah Marie zur Seite, von wo aus die Stimme gekommen war. Eine ihr bekannte Stimme. Eine Stimme, über welche Marie sich einst gefreut hatte. Dort stand Pia. Auch sie wirkte müde. „Hallo."

Ihre ehemalige Freundin lächelte zerknirscht. „Wie geht es dir?"

Marie zuckte mit den Schultern.

„Können wir reden?"

Wollte sie mit Pia reden? Nein. Aber vielleicht war dies eine der letzten Chancen. Wer wusste schon, ob sie den vorhergesagten Kampf überleben würden. Vorhergesehen. Es fühlt sich seltsam an... Eisernes Warten. Ich wünschte, es wäre bereits vorbei. „Ja."

„Bist du noch wütend?" Pia sah sie flehend an. Sie war dünn und blass. Ihr Haar wirkte ungekämmt.

Marie schnaubte. „Was soll die Frage?"

„Ich will nicht sterben, ohne mich mit dir vorher versöhnt zu haben. Du warst mal meine Freundin. Es wäre schön, wenn es wieder so sein könnte", erklärte sie.

„Ja. Das wäre schön", stimmte Marie zu. Doch als Pias Blick hoffnungsvoll wurde winkte sie ab. „Aber es wird nie mehr wie früher, Pia. Julia ist tot. Sie hat unsere Gruppe zusammengehalten. Sie war das Bindeglied. Und du... Du hast mich verraten. Ich weiß, er war es nicht wert, darüber wütend zu sein. Trotzdem. Es wird nie mehr, wie es war. Wir sind keine unschuldigen Teenager mehr. Und, Pia? Warum sollte eine Heilerin sterben? Du wirst vermutlich nicht kämpfen. Niemanden töten."

„Nicht mehr unschuldig?" Pia schüttelte den Kopf. „Noch haben wir niemanden getötet, Marie. Auch ich habe ein Schwert."

„Da hast du wohl recht... Ich muss nun weiter." Einer der langjährigen Soldaten zeigte den Eliteschülern magische Tricks, die sie nie an der Militärschule gelernt hätten. Alles stammte aus seinen persönlichen Erfahrungen. Und dass geschah immer früh. Vor dem Frühstück, zu welchem es nur faden Haferbrei gab. Marie konnte den Brei schon nicht mehr sehen. „Auf Wiedersehen!", verabschiedete sich Marie. Pia sah ihr traurig hinterher. Marie beachtete sie nicht mehr. Sie eilte zwischen den Zelten umher. Ich komme zu spät!

Doch noch bevor Marie bei ihrem derzeitigen Lehrer ankam, kam ihr Helga entgegen. Zusammen mit einem Diener des Schlosses. Marie stöhnte. Warum? Reichte es nicht, wenn sie an diesem Morgen einer ehemaligen Freundin begegnete? Helga winkte ihr erfreut zu, während der Diener steif neben ihr ging. „Marie! Perfekt! Wir haben nach dir gesucht!", rief Helga ihr zu.

Marie verzog das Gesicht. „Warum?"

Der Diener räusperte sich. „Du warst nicht bei den anderen Schülern. Diese übten bereits fleißig für ihre Königin." Er sah sie leicht tadelnd an.

Hexe - Das KönigreichWhere stories live. Discover now