Kapitel 77

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Marie

Marie gähnte, während sie zusammen mit anderen Soldaten faden Haferschleim frühstückte. Der Brei war weder süß noch salzig. Es fehlte an Geschmack. Um sie herum herrschte müde Stille. Die Soldaten, die dicht aneinandergedrängt in dem großen Zelt aßen schwiegen. Doch von draußen drangen die Stimmen einiger weniger Raufbolde zu ihnen. Junge Männer die sich prügelten.

In den letzten Tagen kam es öfters zu Gewaltausbrüchen. Sie alle waren hungrig, gestresst, und jeder fror. Sie trainierten jeden Tag, bekamen dünne Suppen und grauen Brei. Tee, wenn sie Glück hatten. Anstatt Muskeln aufzubauen wurden die Männer und Frauen immer dürrer und ihre Augen immer leerer. Das Warten nagte an ihnen.

Und alles nur wegen einer Vision? Marie rollte mit den Augen. Sie vermisste ihre Familie, ihre Geschwister, ihr Zuhause. Sie vermisste die Zeit an der Akademie. Sie vermisste ihre Kindheit. War die nicht gerade eben noch gewesen?

„Hast du gehört? Gestern wurde eine Gruppe verhaftet!", hörte sie jemanden murmeln. Ein älterer Soldat mit grauem Haar und vernarbtem Gesicht.

„Was?" Seine Gesprächspartnerin war ebenso alt und vernarbt. „Ich hörte Krach... Eine Verhaftung? Warum?"

„Ich weiß es nicht." Der alte Soldat schüttelte den Kopf. „Aber was soll es schon gewesen sein? Alle sind angespannt. Wir verhungern und erfrieren! Vielleicht haben sie gestohlen?"

„Oder sich an der falschen Person vergriffen?" Die Alte schnaubte. „Die jungen müssen Dampf ablassen. Wenn das nicht geht, prügeln sie sich." Sie deutete auf den Krach der Rauferei, welcher von draußen zu ihnen drang. „Manche Soldatinnen sind vielleicht willig, andere nicht. Und ansosnten gibt es nur eine Hand voll gebundener Diener."

„Du bist unmöglich!", zischte eine weitere Soldatin. „Sicher war es Diebstahl!"

„Das haben sie nicht", flüsterte Marie. Die Vorstellung, jemand könnte Theo in sein Bett zerren, nur um Damof abzulassen ekelte und erschütterte sie. Doch Thei war bei ihr, wann immer es ging. Und niemand wagte es, den Diener einer der Elitesoldaten anzurühren. Und zu denen gehörte Marie, auch wenn ihre Ausbildung eigendlich noch nicht beendet war. Jeder wusste, wer ihr Diener war. Dafür hatte sie gesorgt.

„Oh? Weißt du etwas?" Die Soldaten unterbrach ihre bitteren gedanken. Die beiden kamen mit ihrem Haferschleim herüber zu Marie und setzten sich neben sie. „Weißt du, worum es ging?", fuhr die Alte fort. „Hast du etwas gesehen?"

„Gesehen? Nein", antwortete Marie voller Unbehagen. „Ich weiß nichts."

Die beiden älteren Soldaten wollten sie weiter befragen, doch eine laute Trompete rettete Marie davor, weiter Antwort stehen zu müssen. Wenn sie etwas nicht wollte, dann als Verräterin unter Kammeraden gelten. Und hatte sie nicht genau das getan? Ihre Kammeraden verraten?

Selbst wenn diese im Unrecht waren?

Doch auch die Trompete versprach nichts Gutes. „Eine Ankündigung?" Die Soldatin stand auf und ging zum Eingang des langen Zeltes. Marie folgte ihr. Dort standen zwei Diener in schicken Uniformen. Mit strengen Gesichtern blickten sie Marie und der Alten entgegen. Einer von beiden trug die Trompete, der andere hingegen verschränkte die Arme und reckte das Kinn erhaben. „Alle Soldaten haben sich zum Innenhof des Schlosses zu begeben!", rief dieser Laut. „Dies ist ein Befehl ihrer Majestät. Königin Agathe von Sonnenhof. Retterin und Beschützerin des Friedens!"

Marie wollte erneut mit den Augen rollen. Doch anders als sie, tat die Alte dies tatsächlich. „Frieden?", raunte sie Marie zu. „Wo?"

Einer der Befehlshabenden brüllte nun laut. „Ihr habt es gehört! Das Frühstück ist beendet!", schrie er. „Los! Keine Faulheiten! Ihre Majestät hat euch einen Befehl erteilt!"

Hexe - Das KönigreichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt