30. Kapitel

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Ich saß an eine unsichtbare Wand gelehnt, den Kopf nach hinten gelegt und die Augen geschlossen. Wieder war es die endlose Dunkelheit meiner Träume. Und ich war allein, wie immer.
Ich fühlte mich schrecklich. Alles tat weh. Aber am meisten mein Herz.
Langsam öffnete ich die Augen. Ich spürte meinen Körper, doch konnte nichts sehen. Keiner kann sich vorstellen, was für ein schreckliches Gefühl das ist. Endlose Schwärze.
Eine Gestalt die auf mich zukam. Ich blinzelte und sah genauer hin, war jedoch zu schwach, aufzustehen. Wie ich befürchtet hatte. Es war Gaara. Schon wieder.
Langsam, mit gleichmäßigen Schritten, kam er näher. Sein Gesicht war ausdruckslos, kalt. Seine leeren, schwarzen Augen starrten mich ununterbrochen an.
Ich hatte Angst. Unglaubliche Angst.
Einige Sekunden lang geschah nicht, Gaara kam immer näher und blieb schließlich direkt vor mir stehen, sodass er auf mich herunter starren konnte.
"Ta-ka-mi", sagte er schließlich mit mechanischer Stimme. Er klang wie ein Roboter und mir lief ein eiskalter Schauer über den Rücken.
"Ta-ka-mi", kam es erneut von dem Rothaarigen.
Tränen sammelten sich in meinen Augen und ich sah flehentlich zu meinem ehemaligen Freund hinauf.
"Ich-bin-tot. Du-bist-schuld. Bö-se.
Mon-ster.
Mon-ster.
Mon-ster"
So ging das weiter. Die ganze Zeit wiederholte er dieses eine Wort und ich schüttelte wild den Kopf.
Konnte ich nicht endlich aus diesem Alptraum aufwachen? Oder einfach sterben? Ja, das wäre besser.
"Ta-ka-mi!"
Gaaras Kopf kippte zur Seite, bis ganz auf die Schulter, was bei einem Menschen unmöglich wäre. Seine Augen begannen rot zu leuchten und ich wimmerte verzweifelt.
Ich würde niemals aufwachen.
Eine Schlange aus Sand wandt sich durch die Luft. Er war rot und stank nach Blut. Es sickerte hinaus und bildete Pfützen auf dem Boden. So viel Blut.
Der Sand schoss auf mich zu und ich kniff entsetzt die Augen zusammen, als er mein Herz durchbohrte.

Mit einem erstickten Schrei fuhr ich hoch, die Augen immer noch geschockt zusammen gepresst. Schon wieder. Schon wieder dieser schreckliche Traum. Ich konnte das einfach nicht mehr. So oft hatte diese Szene sich wiederholt. Immer und immer wieder.
Aber ich war noch nie aufgewacht.
Langsam öffnete ich die Augen.
Ich war wach! Wach! Ich starrte ungläubig auf die weiße Bettdecke. Dann wanderte mein Blick langsam zu den stetig piependen Geräten, die neben mir auf einem kleinen Holztisch standen.
Ich war im Krankenhaus. Mal wieder. Warum wachte ich ständig im Krankenhaus auf?
Vermutlich Schicksal...
Eine junge Schwester kam mit besorgtem Gesichtsausdruck hereingeeilt, doch ich beachtete sie nicht wirklich sondern starrte an die sterile, weiße Decke.
"Endlich sind sie wach, Takami-san! Ist alles in Ordnung, ich habe sie schreien gehört?"
Abwesend nickte ich leicht und meine Gedanken schweiften zurück zu meinem Traum. Wie ein kaputter Film hatte diese Szene sich ständig wiederholt und jedes Mal wieder, hatte ich panische Angst.
Nicht vor Gaara. Nur vor seinen Worten und der Wahrheit, die dahinter steckte.
Tränen schossen mir in die Augen, als ich daran dachte, das ich nie wieder sein Lächeln sehen, nie wieder sein Lachen hören, ihn nie wieder in die Arme schließen und ihn nie wieder küssen konnte. Er war fort.
Und es war meine Schuld.
"Takami-san?", riss die Krankenschwester mich wieder aus meinen Gedanken und ich sah sie desinteressiert an. Sie wirkte leicht verängstigt und achtete darauf, Abstand von mir zu halten.
Jetzt erst fiel mir es mir ein: was war mit dem Dämon geschehen?
Genau das fragte ich die junge Frau und sie zuckte sichtlich zusammen, bevor sie unsicher antwortete.
"Ähm, ich... Das kann ich ihnen selbst nicht so genau sagen, aber ich kann jemanden holen der es weiß, wenn sie das möchten..."
Ich nickte und sie verließ fast schon fluchtartig das Zimmer.
Während ich wartete, warf ich einen Blick aus dem Fenster. Da das Krankenhaus eher am Rand des Dorfes lag, war alles was ich sah, ein paar kleine Häuser und die riesige Steinmauer die Suna von außen verdeckte. Sie wirkte irgendwie bedrohlich und einengend und mir lief ein leichter Schauer über den Rücken. Es musste Abend sein, denn die Lichter der Straßenlaternen beleuchteten die Häuser und ich starrte abwesend in das helle Licht.
Als die Tür mit einem leisen 'klack' aufging, zuckte ich zusammen und wandte den Kopf, um eine hübsche Frau mit kurzen, braunen Haaren zu sehen, die einen langen, weißen Kittel trug und mich distanziert aber freundlich anlächelte.
"Guten Tag, Takami-san, ich bin Mikito Hanami. Schön, das sie endlich wach sind. Sie waren ja ziemlich lange bewusstlos, fast eine ganze Woche lang."
Geschockt starrte ich sie an. Fast eine Woche? Damit hatte ich nicht gerechnet...
"Können... Können Sie mir sagen, was mit... dem Dämonen passiert ist?", fragte ich vorsichtig und die Miene der Ärztin verhärtete sich ein wenig, aber sie nickte und setzte sich auf einen Stuhl, der neben meinem Bett stand.
"So wie es aussieht, haben Sie ihn aus purer Willenskraft dazu bewegt, sich zurückzuziehen, jedoch ist er nicht tot. Während Sie ohnmächtig waren, haben wir ein neues, stärkeres Siegel befestigt, doch ich glaube nicht, das Sie das brauchen. Eigentlich war es nur zur Sicherheit, aber ich bin mir ziemlich sicher, das Sie von jetzt an, alleine mit dem Geist klar kommen werden."
Ich verstand nicht wirklich was sie meinte, doch was am wichtigsten war, war das dieses Monster wieder unter Kontrolle und eingesperrt war.
Langsam nickte ich und die Ärztin stand auf, ging zur Tür und öffnete sie. Doch bevor sie hinaustrat, drehte sie sich noch einmal um und sah mich mit einem nicht deutbaren Ausdruck an.
Doch es waren ihre Worte, die mich geschockt erstarren ließen.
"Ich würde sagen, das sie schon gesund genug sind um zu laufen. Falls Sie Gaara-sama besuchen wollen, er ist in Zimmer 205."
Damit verließ sie den Raum und ließ mich völlig verwirrt zurück.
Ihn Besuchen? Zimmer 205? War das, die Leichenhalle oder sowas? Nein, so etwas gab es im Krankenhaus nicht... Aber, würde das nicht bedeuten... Das Gaara... lebte? Das konnte doch nicht sein! Ich hatte ihn getötet! Ich hatte gespürt, wie sein Herz aufgehört hatte zu schlagen und hatte gesehen wie sein Körper blutig und zerfetzt auf dem Boden lag. Wie konnte er dann leben?
Als meine Starre sich gelöst hatte, sprang ich auf, keuchte vor Schmerz auf und humpelte dann mit zusammen gebissenen Zähnen auf den Flur.
"W-Warten Sie mal!", rief ich hinter der braunhaarigen Frau her, die sich erstaunt umdrehte und meiner Meinung nach, viel zu langsam auf mich zukam.
"Was gibt es denn noch?"
"Was... haben sie gemeint... Gaara besuchen? Ist er... heißt das... das er lebt?", keuchte ich und starrte die Ärztin ungläubig an. Sie sah sichtlich verwirrt aus, nickte dann aber.
"Ähm, ja. Das heißt, er lebt noch, aber er... Er liegt im Koma."
Puff.
Bam.
Die Welt stand still.
Ausdruckslos starrte ich Mikito an.
Koma also. Naja, wenigstens hieß das, das er nicht tot war... Noch nicht.
"Kann... Kann ich zu ihm?", fragte ich leise, nachdem meine Starre sich einigermaßen gelöst hatte. Die Ärtzin nickte mit unsicherem Blick.
"Ich denke schon. Vielleicht können Sie ja ein bißchen mit ihm reden... Aber seien Sie bitte vorsichtig"
Zwar verstand ich nicht ganz, was Mikito mit 'vorsichtig sein' meinte, aber es war mir auch egal.
Wie in Trance begann ich den Gang entlang zu wanken. Die Leute auf den Fluren starrten mich verwirrt und erschrocken an, aber ich hatte einen Tunnelblick und bekam das alles nicht mit. Das einzige woran ich dachte, war Gaara.
Sollte ich mich freuen? Darüber das er nicht tot war? Aber wie groß war die Wahrscheinlichkeit, das er überhaupt wieder aufwachte? Schnell verschob ich diesen Gedanken.
Er würde wieder aufwachen. Ganz bestimmt.
Er musste einfach.
Ich blieb stehen und starrte auf die weiße Tür, auf der in hellblauer Farbe die Nummer 205 stand. Ich schluckte und mein Herz begann wie wild zu pochen als ich aufgeregt die Klinke runterdrückte und eintrat.
Das Bett stand in der Mitte des Raumes. Gaaras rote Haare schienen fast schon zu leuchten inmitten des ganzen Weißes und ich ging langsam zu ihm. Meine Schritte hallten leise von den sterilen Wänden wieder und mein Herz schlug so heftig, das es jeden Moment aus meiner Brust springen musste.
Ich blieb stehen. Seine Augen waren geschlossen und er sah aus, als würde er schlafen. So friedlich. Ein trauriges Lächeln huschte über mein Gesicht und ich ließ mich langsam auf dem Rand der Matratze nieder. 
Einen Moment lang betrachtete ich den rothaarigen Jungen einfach. Selbst in diesem Zustand war er unglaublich schön.
Ich strich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht, um das Kanji auf seiner Stirn sichtbar zu machen.
Dann zog ich vorsichtig die Decke zurück und musste schlucken, als der dicke Verband zum Vorschein kam, der fast um Gaaras kompletten Oberkörper gewickelt war. An einigen Stellen war er dunkel, dort wo das Blut durch den Stoff gesickert war.
Meine Hände zitterten, als ich die Wunden wieder bedeckte und ich atmete einmal stark aus, um mich zu beruhigen. Ich wollte hier jetzt keinen Heulkrampf kriegen, auf keinen Fall.
In meinem Kopf schoss alles mögliche herum, was ich sagen könnte aber alles was letzten Endes herauskam war:
"Ähm... H-Hey, Gaara."
Ich weiß nicht, warum ich enttäuscht war. Vielleicht hatte ich innerlich dami gerechnet, das er, wenn ich mit ihm sprechen würde, die Augen aufmachen und mich anlächeln würde. Aber sein Gesicht zeigte keinerlei Regung.
"Ich... Wollte dich mal besuchen. Es ist ziemlich viel passiert, weißt du..."
Ich brach ab. Fast schon automatisch fuhren meine Finger durch seine weichen, roten Haare.
"Was ich eigentlich sagen wollte... Es tut mir leid, Gaara. Das alles... Ist meine Schuld und... Es tut mir unglaublich leid. Ich hoffe, das du mir verzeihen kannst, wenn du-"
Wieder stockte ich.
Dann schüttelte ich leicht den Kopf und lächelte traurig.
"Ohne dich... Ohne dich, hätte ich das nicht geschafft. Den Dämon zu besiegen, meine ich. Du hast mich gerettet, weißt du. Und vor allem hast du das Dorf gerettet. Dafür wollte ich dir danken, Gaara. Danke, für alles.
Falls du mich hören kannst... Dann, ähm... Dann wünsche ich mir wirklich, das du mir verzeihen kannst. Ich weiß, das wirst du wahrscheinlich nicht, nach allem was ich getan habe, aber... Es wäre wirklich schön."
Einen Moment lang starrte ich betreten auf den Boden.
Dann jedoch, beugte ich mich zu Gaara runter und gab ihm einen sanften Kuss auf die Stirn.
"Ich... Liebe dich, Gaara. Und ich vermisse dich. Alle vermissen dich. Also, bitte... Bitte verlass uns nicht, ja?"

How to Love a Demon  [Sabaku no Gaara]Where stories live. Discover now