28. Kapitel

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Als der Wagen langsamer wurde, stand Romy auf und sah aus dem kleinen Fenster. Es war inzwischen schon dunkel geworden, sie schätze die Zeit auf ungefähr halb sieben.

Auch Alan richtete sich auf. „Hast du die Medaille dabei?"

Romy nickte.

„Ich glaube, du solltest sie dringend loswerden. Anscheinend dreht sich hier alles um dieses elende Stück Metall, es wäre wahrscheinlich nicht gut, wenn diese Typen sie in die Finger bekämen."

Romy zog sie aus ihrer Tasche und steckte sie nach kurzem Überlegen in ihren Stiefel. Dieses Versteck hatte sich schon einmal bewährt.

Der Wagen rollte kurze Zeit über Schotter, dann bremste er ab.

„Ich meine ganz loswerden, vielleicht kannst du sie noch aus dem Fenster werfen", sagte er drängend.

Romy schüttelte entschieden den Kopf. Es hingen zu viele Erinnerungen an ihre Mutter daran, als dass sie sie einfach hätte wegschmeißen können. Er verstand das nicht.

In diesem Moment wurde auch schon die Tür aufgerissen und der Gruselige und der Seltsame zerrten sie nach draußen.

Direkt vor ihnen befand sich ein flacher, grauer, einstöckiger Neubau, der im Erdgeschoss auf der rechten Seite viele Türen und einige Fenster besaß, links aber aus lückenlosem Beton bestand. Das Gebäude war zwar niedrig, dafür aber lang und es schien, als wolle es ihr mit seiner Größe drohen. Es stand auf einem großen, eingezäunten Gebiet. Der Boden war uneben und wenn man nach links sah, konnte man etwa in einem halben Kilometer Entfernung ein kleines Wäldchen erkennen, das noch in den Zaun mit einbegriffen war. Dieses eingezäunte Gebiet befand sich... im Nirgendwo. Hinter dem Zaun konnte man nur leere Felder und wilde Wiesen ausmachen. So weit man in dem schwachen Licht sehen konnte, ging diese leere, flache Landschaft endlos. Überall lag eine feine Schicht Schnee und hüllte das Bild wie mit einem dünnen weißen Mantel ein. Romy sah nach hinten. Da war ein großes Tor, durch das sie gerade eben gefahren sein mussten und dahinter erkannte sie undeutlich eine kleine, ungeteerte Straße und ebenfalls nichts als unbewohnte Weite.

Was auch immer hier heute Abend geschehen würde, niemand würde davon etwas mitbekommen, schoss es ihr sofort durch den Kopf.

Der Schleimige hatte ihren Blick gesehen und sagte unnötiger Weise: „Weglaufen ist zwecklos, Kindchen."

Etwa ein halbes Dutzend Männer kam ihnen entgegen.

„Wir haben es geschafft", verkündete die Fledermaus. „Wir sind pünktlich für die große Operation angekommen. Heute Nacht wird es vollbracht."

Die Männer applaudierten erregt und schrien wie wild durcheinander.

„Ruhe", sagte er gebieterisch. Er suhlte sich in der Aufmerksamkeit seiner Anhänger. „Bringen wir sie rein."

Romy schoss wieder die Szene bei Olympia durch den Kopf. Sie sah ihn, den sie damals noch Herr Berger genannt hatte, wie er mit seinem irren, fanatischen Blick auf sie einredete, dass sie gewinnen müsse. Sie verstand jetzt, es war ihm nie um ihren Sieg gegangen, es war immer nur die Medaille gewesen, die ihn interessierte.

In einer Art feierlichen Prozedur gingen sie auf das Gebäude zu. Romy bemerkte, dass Alan neben ihr ganz still geworden war. Er hatte wohl auch eingesehen, dass ihnen in dieser Situation nichts würde helfen können.

Diese Menschen waren auf jeden Fall krank, überlegte Romy mit ihrem von ihrer Gleichgültigkeit beeinflussten, völlig klaren Verstand. Sie hatten nicht mehr alle Tassen im Schrank, waren verrückt, irre, man konnte es nennen, wie man wollte, die eigentliche Frage blieb: Warum? Was erhofften sie sich von dieser Medaille so Großartiges, dass sie dafür über Leichen gingen?

MedaillenblutUnde poveștirile trăiesc. Descoperă acum