24. Dezember 1920 - Cecily

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Die letzten Tage haben sich an Ereignissen überschlagen. Ich glaube, dass ist der Grund, warum ich diese Zeilen niederschreibe. Vor sieben Tagen war ich noch ein Kind - aber lass mich von vorne beginnen...

Ich wachte am Weihnachtsmorgen auf. In unserem alten Gemäuer roch es nach Zimt und Plätzchen. Tief atmete ich den süßen Geruch ein und reckte mich unter meiner Bettdecke. Josephine, meine Zofe, musste erst vor ein paar Minuten einen neuen Scheit ins Feuer gelegt haben, denn es knisterte, leise aus der Richtung des offenen Kamins. Die Vorhänge waren bereits geöffnet und ein paar Sonnenstrahlen drangen durch die großen Fenster meines Zimmers. Die Türe zu meinen Gemächern öffnete sich und sie trat ein.

„Guten Morgen, Lady Cecily."

„Guten Morgen, Josephine."

„Darf ich ihnen beim Ankleiden behilflich sein, My Lady?" Ich wusste, dass es eine rhetorische Frage war. Schließlich wurde sie dafür bezahlt, mir beim Einkleiden behilflich zu sein. Ich schlug die Decke zur Seite und kühle Luft umspielte meine nackten Beine. Das Nachthemd war mir in der Nacht bis oberhalb der Knie gerutscht und bauschte sich nun auf der Höhe meiner Hüfte. Meine Füße berührten den kalten Boden. Dies war das einzige, dass ich am Winter hasste. Die ständig kühlen Böden. Als ich vor meiner Frisierkommode saß, legte mir Josephine eine Wasserwelle, für das heutige Abendessen, und stecke mir die langen Strähnen zu einem tiefen Bund zusammen. Für das abendliche Fest hatte ich ein rotes, bodenlanges Kleid kaufen dürfen, dass ich allerdings erst Abends anzog. Den Tag über trug ich ein grünes Jackenkleid, in das Josephine mir gerade hinein half. Heute Abend würden wir gemeinsam zu Abend essen, und anschließend unsere Geschenke auspacken. Auf den Teil mit dem Geschenke auspacken freute ich mich immer am meisten. Dieses Jahr hatte ich mir eine dieser neuen, elektrischen Lockenzangen gewünscht. Das würde mir, und vor allem Josephine, einiges an Zeit sparen. Ich hoffte darauf, dass Vater sie gekauft hatte. Die Zeit bis zum späten Nachmittag verbrachte ich in der Bibliothek, zwischen all den schönen Büchern aus vergangene Epochen, während draußen der Schnee in großen Flocken zu Boden fiel. Schon seit Tagen hatte es nicht aufgehört zu schneien.

Um 17 Uhr läutete ich nach Josephine, die mir helfen sollte, in meine Abendbekleidung zu schlüpfen. Das rote Kleid hatte sie schon auf einen Bügel an meinen Schrank gehängt. Die Seide war unglaublich schön, und unterhalb der Brust saß ein schwarzes Stoffband, welches zu einer Schleife gebunden wurde. Ich hatte gehofft, ein Kleid in Knielänge tragen zu dürfen, so wie meine Freundin Mary, und die feinen Damen in London, doch Mutter hatte auf ein übliches Kleid bestanden, und die Schneiderin um eines im Empirestil gebeten. Als ich den Traum aus roter Seide nun trug, reichte der Saum bis zum Boden. Die schwarzen Absatzschuhe vollendeten mein Auftreten. Im Haus wurde derweil der Gong zum Essen geschlagen und Josephine trug mir noch ein paar Tropfen meines teuren, pariser Parfüms auf.

Im Salon wurden die ersten Gäste empfangen, unter ihnen meine Großmutter. Morgen würden wir bei ihr zum Tee geladen sein. Ganz wie es die Familientraditionen verlangten. Auch ein Cousin vierten Grades kam heute zu Besuch, sowie ein Onkel, und eine Tante aus der Nähe Londons. Meine siebenjährige Schwester Violet, und mein dreizehnjähriger Bruder Matthew, waren ebenfalls im Salon. Mutter und Vater kamen, gefolgt von mir, die Treppen herunter gelaufen. Sie sahen unglaublich fein aus. Mutter trug ein weißgoldenes Kleid, mit Paillettenbestickung, und Vater seinen besten Frack. Violet hatte man die blonden Haare zu Locken gedreht. Ihre Zofe beneidete ich keines Wegs um ihre Arbeit. Sicher hatte sie sich wieder gesträubt, gebürstet zu werden. Matthew war ebenso ungezogen, und hatte die Fliege, die um seinen Hals gebunden worden war, geöffnet. Während es Vater widerwillig duldete, hatte Mutter ein herzliches Lächeln dafür übrig.

Das Essen, im festlich beleuchteten Speisezimmer, hatten wir mit höflicher Konversation hinter uns gebracht. Großmutter hatte von dem jungen Herrn, nicht unweit von hier, erzählt. Dem so manche Frau, dank seines jugendlichem Charmes verfiel, und von dem man hoffte, dass er mich am Silvesterabend auf seinem Hofe entdecken, und im weiteren Verlauf des Jahres, ehelichen würde. In dieser Hinsicht, hatte sie ihre Hoffnungen auf mich und meine Schönheit gestützt. Mit 18 Jahren, war ich auch im richtigen Alter, um zu heiraten. Ich konnte von Glück reden, dass man keinen alten Lord für mich ausgesucht hatte. Großmutter wollte mir am nächsten Tag mehr von dem jungen Mann berichten, der bald mein Ehemann sein könnte.

Vater bat uns unterdessen wieder in den Salon zukommen, um die Gabenbereitung durchzuführen. Meine Geschwister sahen dies als Aufforderung um Unfug zu treiben, denn sie rannten lauthals lachend durch die Räume. Tante Veronica schnaubte abschätzig, was ich wiederum, mit einem verachtenden Blick abtat. Es waren Kinder, auch wenn Matthew schon dreizehn war, und sie hatte nicht das Recht, sie zu missbilligen.

Im Salon hatte einer der Bediensteten das Grammophon aufgestellt. Leise Violinen Töne drangen in mein Ohr. Unter dem Tannenbaum standen unsere verpackten Geschenke. Violet und Matthew waren schon dabei, ihre auszupacken als ich mich zu ihnen gesellte und die meinen aufhob. Unteranderem war dort die gewünschte, elektrische Lockenzange. Eines der Geschenke war von Josephine, die mir wie jedes Jahr, ihre selbstgemachten Plätzchen schenkte. Unter ihrem Baum lag dafür nun eine aufwendig verzierte Haarnadel, die ich auf einem Markt, ganz in der Nähe, gefunden hatte. Meine Zofe hatte eine ähnliche Haarnadel, aus meinem Sortiment, bewundert. Ein weiteres Geschenk unter dem Baum, war mit dunkelblauem Seidenpapier umwickelt, auf dem in feinsäuberlichen Lettern "Für Cecily" geschrieben stand. Ich öffnete es und enthüllte ein goldenes Stirnband, dass im Licht des Kronleuchters zu funkeln begann. Auf deiner beigefügten Karte, stand geschrieben:

Ich hoffe Ihnen gefällt ihr Geschenk, und ich darf Sie hiermit, bei Hofe begrüßen. – Robert L.








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