25. Dezember 2015 - Victoria

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Wie jedes Jahr, stand heute der Besuch bei meinen Großeltern auf dem Tagesplan. Die Zeit mit meiner Familie an den Feiertagen, genoss ich immer sehr, fieberte aber innerlich bereits auf mein nächstes Treffen mit Marie hin. Wir hatten gestern bis spät in die Nacht noch zahlreiche Mails hin und her geschickt, welche mein Interesse an dem jungen Rogers immer weiter anschürten. Juliette und Luke saßen bereits beim Frühstück, als ich nach unten ins Esszimmer kam. Natürlich ging es bei den Beiden wieder um dasselbe, leidige Thema. Ihre Hochzeit. Ich versuchte meine Ohren auf Durchzug zu schalten, da es seit einigen Monaten kein anderes Thema mehr gab. Meine Eltern waren bereits wieder in ihren Büros zugange, wie sollte es auch anders sein. Mr. Rogers wollte nicht aus dem Kopf gehen, daher hatte Marie mich auf die Idee gebracht, dass ich nach seinem Profil auf Facebook suchen könnte. Da mich die Unterhaltung am Tisch nicht sonderlich interessierte, und sonst niemand anwesend war, setzte ich diesen Vorschlag sofort in die Tat um. Man möchte gar nicht glauben, wie viele Thomas Rogers es in London gab. Bei jedem stockte mein Herz für wenige Sekunden, und mir kam kurz der Gedanke, ob er es sein könnte. Nachdem ich gefühlte einhundert Profile durchforstet hatte, ohne eine heiße Spur zu finden, beendete ich frustriert meine Suche, um mich für das Essen bei Oma und Opa fertig zu machen. Als meine Eltern sich auch endlich von ihrem Büro trennen konnten, machten wir uns alle gemeinsam auf zum Mittagessen.

Auf dem Anwesen meiner Großeltern angekommen, machte sich schnell wieder Weihnachtsstimmung in mir breit. Alles war liebevoll, bis ins kleinste Detail dekoriert. Sogar die Beleuchtung an den Bäumen kam, trotz fehlender Dunkelheit, überraschender Weise, gut zur Geltung. Wir betraten das Haus meiner Granny, und der Duft vom traditionellen Truthahn und Plätzchen, die für heute Nachmittag gedacht waren, sog ich in meine Nase. Meine Großeltern kamen mit offenen Armen den Flur entlang auf uns zu, und hießen uns herzlich willkommen. Ihre Freude, über unsere Anwesenheit war zu spüren. Ich sah beide viel zu selten in letzter Zeit. Ein weiterer, guter Vorsatz, den ich mir fürs nächste Jahr setzen möchte. Mehr Zeit für meine Großeltern. Die Unterhaltungen am Tisch waren ausgelassen und fröhlich. Es war ein schönes Gefühl alle an einem Tisch zu haben, und die strahlenden Gesichter zu beobachten. Gerade als ich mich freute, dass es einmal nicht um die Hochzeit, von Juliette und Luke, ging, kamen die Zwei mit der nächsten Überraschung um die Ecke. Ich würde nächstes Jahr Tante werden. Alle fielen sich in die Arme, und meiner Mum, ebenso wie Granny, liefen eine paar Freudentränen über die Wangen. Ich nutzte die Gelegenheit, und zog mich in das Kaminzimmer zurück, in dem später auch die Bescherung stattfinden würde. Genervt ließ ich mich in einen der Sessel sinken, holte mein Handy aus der Tasche, und schrieb Marie. Als erstes musste ich ihr die Neuigkeiten mitteilen, die trotz der nervigen Vorbereitungsdiskussionen, zu ihrer großen Hochzeit, wirklich schön waren, und dann noch meine Frustration über das Ausbleiben eines Erfolges, bei meiner Suche, kundtun. Vertieft in meinen Nachrichtenaustausch mit Marie, bemerkte ich nicht, wie alle zu mir ins Kaminzimmer gekommen waren. Erst als das scheinbar magische Wort Rogers fiel, lenkte ich meine Aufmerksamkeit weg von meinem Telefon, und weiter auf das Gespräch meiner Familie. Aufgeregt folgte ich den Worten meines Vaters, der über den morgigen Empfang seiner Geschäftspartner in unserem Haus erzählte. Es fiel immer wieder der Name Rogers, und das er seinen Sohn mitbringen würde. Eine kleines Lächeln legte sich auf meine Lippen, und ich schrieb Marie, dass sich die Suche im Netz anscheinend soeben erledigt hatte. Wir verabredeten uns für den Abend, um zu telefonieren, und ich versuchte mich den Rest des Tages auf meine Familie zu konzentrieren.

Zuhause angekommen, wollte ich nur noch in mein Zimmer. Der Tag hatte mich geschafft. Doch gerade als ich die Türe öffnen wollte, zog ein Bild an der Flurwand meine Aufmerksamkeit auf sich. Es hing hier schon solange ich denken konnte, und nun faszinierte mich irgendetwas besonders daran. Auf dem Foto war meine Urururgroßmutter, Cecily, zu sehen. Ich denke, sie war zu diesem Zeitpunkt ungefähr in meinem Alter. Sie saß auf einer dunklen, hölzernen Treppe, in einem alten Gebäude. Ihre langen braunen Haare waren perfekt gestylt, und ihr Kleid umschmeichelte ihren Körper. Es war ein komisches, aber zugleich harmonisches Gefühl, dass mir das Bild weitergab. Noch nie zuvor hatte ich es mir so genau angesehen. Es loderte ein Gefühl der Verbundenheit in mir auf, umso länger ich es betrachtete. Mit einem Grinsen im Gesicht ging ich in mein Zimmer, schloss die Tür hinter mir, und rief Marie an. 



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