30. Dezember 1920 - Cecily

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Mit dem Automobil waren es mehrere Stunden Fahrt, bis wir am Anwesen von Roberts Familie ankommen würden. Wir reisten einen Tag früher an, um unsere Zimmer beziehen zu können, und die Nacht auf dem Landgut zu verbringen. Dies war einer der Gründe gewesen, warum mich Josephine schon in aller Frühe geweckt hatte. Es bestand die Möglichkeit, dass ich heute schon Robert gegenüber treten würde, und dann sollte ich den Eindruck einer feinen Dame hinterlassen, auch wenn mir so gar nicht danach zu Mute war. Mit leerem Blick saß ich auf meinem Frisierstuhl, und konnte mich nicht für Josephines geschickte Hände interessieren, die mir eine aufwendige Hochsteckfrisur verpassten. Dumpf nahm ich die Geräusche um mich herum wahr, auch das meine Zofe versuchte nach den Haarnadeln zu greifen, doch ich reagierte nicht, ich hatte nicht die Kraft dazu. Lähmende Melancholie lag in der Luft.

Wir füllten drei Fahrzeuge. Ich hatte Glück, und fuhr mit meinen Geschwistern zum Landgut. Ich hätte ein Erwachsenen Gespräch, über Rechte und Pflichten, mit meinen Eltern, nicht ertragen können, da duldete ich lieber das lautstarke Gebrüll von Violet, die sich beklagte, dass ihr schlecht sei, und dass Matthew sie immer wieder an den Haaren zog. Meinen Blick auf den Wald gerichtet, schloss ich die Augen, und schlief ein. Wie die letzte Nacht, verfolgten mich strahlend grüne Augen, umrahmt von haselnussbraunen Locken. Es war William, von dem ich träumte, der mir immer wieder sagte, wie ungerecht es sei, wenn man seinen Partner nicht selbst wählen durfte. Wir waren alt genug, um für die Geschäfte unserer Eltern zur Verantwortung gezogen werden zu können, doch in dieser einen Sache, da war unsere Entscheidungsfähigkeit außer Kraft gesetzt. Das Ruckeln des Fahrzeuges, das durch ein Schlagloch gefahren sein musste, weckte mich, aus meinen oberflächlichen Träumereien.

„Wir sind gleich da, Cecily!" Meine kleine Schwester klatschte aufgeregt in beide Hände, ehe sie die Finger gegen die beschlagenen Scheiben presste, und mit ihrer Nase das gleiche tat. Normalerweise hätte ich sie dafür getadelt, doch jetzt rutschte ich näher an sie heran, wischte über die Scheibe, und sah mir das pompöse Landgut an.

„Oh Cecily, du wirst wie eine Prinzessin wohnen!", quietschte Violet wieder, während Matthew erfolglos versuchte seine Fliege zu öffnen. Aber das konnte er gern noch ein zwei Stunden länger versuchen, denn sein Butler hatte die Fliege mit ein paar Stichen befestigt, und erst heute Abend, nach dem Abendessen, würde er den Faden wieder aufschneiden. Wütend schlug mein kleiner Bruder deswegen auf die Lederpolsterung neben ihm. Ich kicherte etwas über seine Verzweiflung, was seine mürrische Stimmung nur noch verschlimmerte. Mit gerunzelter Stirn sah ich wieder zu dem riesigen Gebäude, welches immer größer zu werden schien, und dachte an all die Kleinigkeiten, die ich in Zukunft verpassen würde, wenn mich Robert zur Frau nahm. Er würde mich meiner Familie entreißen, mich in die seine Zwängen, und dann Kinder mit mir zeugen wollen. Ich hasste ihn schon jetzt, und wünschte mir, ich würde ihm nicht gefallen – doch es war nur die halbe Wahrheit, denn ich wollte meinen Vater nicht enttäuschen. Würde die Familie wegen mir Hinten anstehen müssen, würde ich mir das nie verzeihen. So setzte ich mich wieder gerade, streckte den Rücken, und zwang mich zu einem Lächeln.

Das Automobil fuhr vor, und eine Schaar Bediensteter stand in einer Reihe, um uns, neben dem Hausherren, zu begrüßen. Man öffnete uns die Tür, und Violet und Matthew sprangen, ohne abzuwarten, aus dem Fond. Ich dagegen wahrte die Fassung, griff nach der mir dargebotenen Hand, und stieg aus. Vater nickte mir zu, und Mutter schenkte mir ein gütiges Lächeln. Sie musste wissen, was in mir vorging, konnte es mit Sicherheit nachfühlen - die Scheu, die Angst, das Misstrauen, am eigenen Leibe spüren.

Im nächsten Moment schlossen sich zwei Hände um meine Oberarme, und zwei Küsse landeten auf jeder Seite meiner Wangen.

"So ein junges, hübsches Ding bist du", krakeelte eine ältere, runde Frau vor mir. Sie musste Roberts Mutter sein, denn sein Vater stand Nahe des Eingangs, und seine Großeltern direkt daneben. Nur er selbst war nicht zu sehen. "Robert Senior hat nicht gelogen, als er meinte, du seist eine Schönheit gewesen. Diesen Ausdruck, für eine andere Frau zu verwenden, habe ich ihm just in diesem Moment verziehen. Du bist wirklich reizend, Cecily."

"Vielen Dank, Lady -"

"Nenn mich doch Susan, Liebes."

Ich nickte, und setzte ein Lächeln auf, ehe sie mich mit sich ins Haus ziehen konnte. Sie erklärte, dass Robert leider erst Morgen wieder zurückkehren würde, und wir das Abendessen ohne ihn verbringen würden. Mir fiel ein Stein vom Herzen, schließlich war ich froh darüber gewesen, ihm erst Morgen gegenübertreten zu müssen. Das Abendessen ließ ich ausfallen, unter dem Vorwand, ich hätte Kopfschmerzen. Diese Mauern waren mir so fremd, ich fühlte mich unwohl, und ein Essen mit meiner vielleicht baldigen Familie, konnte ich für heute nicht ertragen.

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