Prickeln in der Luft

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Paul

Sie lies mich die ganze Strecke rennen.

Im Ernst.

Die ganze Strecke.

Ich bin natürlich gerannt wie ein Verrückter. Und doch war sie bereits kurz nach mir da. Ich sitze auf der Veranda und tue so, als würde ich schon ewig auf sie warten. Dabei rast mein Herz wie verrückt und ich bin zwei mal umgekippt, als ich mir Hose und T-Shirt angezogen habe. Ich höre ja nicht oft auf Jacob, doch er hat mir geraten, bei Enola stets lange Kleidung zu tragen und bisher bin ich über diesen Rat sehr froh. Wir sind noch nicht in dem Stadium angekommen, in dem ich ihr meinen nackten Oberkörper präsentieren muss, obwohl das für mich selbstverständlich im Rudel kein Problem ist.

„Schon lange da?" Fragt Enola ironisch, als sie zu mir auf die Veranda geschlendert kommt und ihren Helm in einer geschmeidigen Bewegung vom Kopf zieht. „Klar, warte schon seit Stunden." Erwidere ich außer Atem, was ihr ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Ich liebe dieses Lächeln. „Lügner, ich habe dich gesehen wie du vom Wald hergelaufen bist." Ich hebe die Schultern gespielt ahnungslos, während sie ihre Harley mit beiden Händen anschiebt. „Durchschaut."

Wir gehen beide zur Garage und ich stemme das Tor mit einer Hand auf, was mir wieder einen schiefen Blick von Enola einbringt. „Du bist ziemlich stark, das ist dir klar, oder? Also, ich meine, fast schon unmenschlich stark." Bemerkt sie, während sie das Motorrad in der Garage vorsichtig abstellt. Sie greift zu einem Lappen und will den Sitz abwischen, doch ich greife um sie herum und setze sie mit einem Arm auf die Motorhaube ihres alten Jeeps. „Findest du, ja?" Frage ich provozierend, so dass sie schon wieder breit lächelt und schließlich nickt.

Wir sehen uns einen Moment nachdenklich an, während ich überlege, was hinter ihrer hübschen Stirn wohl vor sich geht. „Es freut mich übrigens, dass du morgen mit kommst." Spreche ich meine Gedanken aus, was sie den Kopf schieflegen lässt. Ihre Stirn zieht sich zu einer kleinen Steilfalte zusammen und sogar das sieht in meinen Augen niedlich aus.

„Hmm nun ja. Ich weiß nicht so recht, ob ich das wirklich machen soll." Ich stelle mich zwischen ihre Beine, um sie besser halten zu können und lege meine Hände auf ihre eiskalten Oberschenkel. „Du hast zu Emily ja gesagt. Und das ist dann quasi ein Gesetz, du hast keine Wahl mehr." Sie lehnt ihren Kopf an meine Schulter und ich versuche mich an ihre plötzliche Vertrautheit zu gewöhnen. „Ich weiß nicht recht." Ich spüre ihre Hände an meinen nackten Seiten. Die Frage, was Jacob wohl mit ihr in der Garage gemacht hat, dass sie jetzt so offen für mich ist, geht mir nicht aus dem Kopf. Ich war mit Sam in einen Kampf verwickelt und habe ihn hart in die Seite getroffen, als er Enola angeknurrt hat. Ich war Jacob sehr dankbar, dass er sie aus dem Weg geräumt hat, obwohl ich noch nicht wusste, was er damit wohl bewirkt hatte. Die Enola, die jetzt ihre Stirn an mich lehnt, hat nichts mehr mit dem starrköpfigen Mädchen von letzter Woche zu tun.

„Ich will nicht mit." Quengelt sie, während sie ihr Gesicht vor mir versteckt. „Warum? Du könntest die Jungs besser kennen lernen...." Schlage ich vor und schiebe meinen Finger unter ihr Kinn, um ihr in die Augen sehen zu können.. „... und mich. Bitte versuche es." Ihr Blick trotzt immer noch voller Zweifel, als sie abzuwägen scheint.

„Ich glaube ich vertrage nicht noch mehr Wölfe Ehrlich. Das war heute einfach zu viel. Obwohl ich weiß, dass ihr mir nichts tut, ist das in meinem Kopf noch lange keine Realität, weißt du?" Ich seufze tief. „Genau deswegen. Du sollst sie, als Jungen kennen lernen. Als dumme, verspielte, lustige Jungs. Hauptsächlich sind wir ein Haufen normaler Vollidioten, wie es wohl alle Jungs in unserem Alter sind." Ich hebe sie hoch, um sie nah bei mir zu haben und mache Anstalten sie aus der Werkstatt zu tragen. Ihre kühlen Finger umfassen meine Schultern, um sich festzuklammern und sie schüttelt den Kopf. „Du allein kannst ja noch nicht mal normal sein." Ihre Aussage trifft mich mehr, als sie wohl sollte, denn ich gebe mir für Enola wirklich alle erdenkliche Mühe normal zu sein. Doch das vrsuche ich auch erst seit zwei Tagen, denn davor hatte ich keinen Anreiz dazu. „Wie meinst du das?" Frage ich irritiert und sehe in ihr, nun etwas erhöhtes, Gesicht.

„Du verwandelst dich so oft, weil du wütend bist. Du explodierst und wirst zu einem riesigen Wolf und Jacob hat erzählt, dass das bei dir eben besonders oft vorkommt. Du trägst mich ständig, das schaffen normale Jungs in deinem Alter gar nicht. Du läufst in kurzen Hosen und T-Shirts herum, obwohl es draußen kalt ist. Und du tust so, als würde ich dir gehören. Ohne dass wir zusammen sind, uns geküsst haben oder verwandt sind." Sie sieht mir direkt in die Augen. Küssen.

Bei dem Wort wandert mein Blick fast automatisch direkt zu ihren wunderschönen Lippen. Die Kuhle ihrer Oberlippe ist perfekt geformt, wie ein kleines Herz und ich frage mich, ob sie sich so weich anfühlen, wie sie aussehen. Doch als Enola mich zweifelnd ansieht, blinzle ich schnell wieder hoch, zu ihren schönen Augen.

„Du drückst das ganz schön negativ aus, wie ich finde." Ich werde nervös und will ihre Aussage nicht so stehen lassen. „Also ich gebe mir wirklich Mühe mit den Ausrastern, gerade seid ich dich habe. Ich schaffe das, ehrlich. Ich trage dich, weil du dann so nah bist und ich das genieße." Enolas Kinn legt sich auf meine Schulter und ich atme ihren ganz individuellen, süßlichen Geruch ein. Er mischt sich mit der dezenten Note von Motoröl und nichts hat je so gut gerochen. „Und wegen der Kleidung: ich bin heiß, was soll ich da machen?" Sie lächelt leicht, was ich an meiner Haut spüre, während ich sie näher an mich ziehe. Dann spüre etwas an meinem Hals, wie einen elektrischen Schlag. Aber positiv. Es prickelt wie ein heißer Stoß und noch bevor ich es einordnen kann, passiert es wieder. Enolas Lippen streichen vorsichtig über die Haut über meinem T-Shirt und ich wollte es mir noch nie so dringend vom Leib reißen, wie jetzt. Sie tut es noch ein Mal und dabei spüre ich ihre feuchten Lippen an meinem Hals. Ich will sie enger an mich pressen, doch weiß auch, dass ich gleich eine Grenze überschreite und mich nicht mehr im Griff haben würde.

„Enola." Sie zuckt zurück, während ich sie auf den Boden lasse. „Was?" Mein Puls schlägt schnell und rauscht bis in meinen Kopf, während sie mich so fragend ansieht. "Was?" Fragt sie noch mal, während ich zur Türe deute. „Wir sollten rein gehen, ich mache das Tor zu." Ich drehe mich um, während ich die Stelle anfasse, an der ihre Lippen mich berührt haben. Ich wurde schon von anderen Frauen geküsst und ich schwöre, es hat sich nie so real angefühlt. Nie so intensiv und ich wollte nie so unbedingt mehr.

Nachdem ich das Tor geschlossen hatte, folge ich Enola nach drinnen. Ich finde sie im Wohnzimmer, wo sie ihre Jacke auf einen Stuhl wirft und ihren Haargummi löst. Ihre rostbraunen Haare fallen ihr in breiten Strähnen über die Schultern, sie reichen ihr so feucht vom Fahrtwind fast bis unter die Schulterblätter. „Erzählts du mir jetzt bitte, was das gerade war? Habe ich etwas falsch gemacht?" Sie sieht mich anklagend an, wohl weil sie das Gefühl hat, ich bin nicht ehrlich zu ihr.

„Nein, überhaupt nicht. Ich.... Es war gut." Bringe ich schließlich heraus, denn auch wenn Enola von mir ständig Antworten verlangt, kann ich ihr nicht auf alles etwas geben. Ich fand bisher die Prägungen von den anderen beiden so störend und uninteressant, dass ich lieber mit Jacob zusammen weggehört habe, wenn Sam an Emily dachte. Es war, als würden wir seine Gefühle fühlen und doch nicht ganz verstehen. Es ist zu intim und das ist es jetzt für mich, mit meinem Mädchen. Wenn ich daran denke, dass die Jungs morgen diesen intimen Augenblick, den ich mit Enola hatte, alle erleben werden, wird mir ganz schlecht.

Enola lässt sich auf Sofa fallen, während sie an ihren Fingernägeln zupft und mich dann selbstsicher ansieht. „Ich will eine Abmachung mit dir treffen Paul." Ich sehe sie aufmerksam an und nicke langsam. „Ich treffe dein Rudel. Morgen. Alle deine Jungs! Aber nur, wenn du trainierst, um meine Freunde kennen zu lernen." Ich schlucke und atme tief durch, ehe ich mich neben sie fallen lasse.

„Bitte, sag dass du nicht Emmet und Alice meinst. Dann übergebe ich mich." Sie mustert mich fragend, zuckt dann aber die Schultern. „Nein. Ich weiß zwar nicht, was du gegen die beiden hast, ich denke Emmet und du habt sogar gewisse Gemeinsamkeiten, doch ich habe auch noch andere Freunde. Ich habe eine beste Freundin und einen besten Freund. Die sind hier aus Forks und sind mir wichtig." Ich atme tief ein und geräuschvoll wieder aus. „Ich soll sie also nur kennen lernen. Bei einem Essen oder so?" Frage ich skeptisch. Sie nickt und ich strecke die Hand aus, bis sie einschlägt. „Gut, einverstanden."

Wenn du nicht mehr von der Schwerkraft angezogen wirst - Twilight FFWhere stories live. Discover now