Komplettes Gefühl

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Paul

Ich laufe und laufe.

Spüre jeden Meter, den ich weiter von ihr wegkomme. Jeder Meter ist mir zuwider, doch ich ertrage ihn mit der Aussicht, dass ich sie gleich wieder sehe.

Ihr Gesicht, als ich als Wolf vor ihr stand, war so unglaublich schön. Jeden Millimeter ihrer Haut konnte ich so detailliert bewundern. Die kleinen Sommersprossen auf ihrer Wange und die Spuren von Motoröl an ihrem rechten Daumen. Ihren Geruch konnte ich inhalieren und als Gedanken abspeichern, der jetzt meine Motivation ist.

Schneller als ich dachte, komme ich bei Sam und Emily in der Garage an. „Hey, ich leihe mir das Auto." Rufe ich hinein, während Emily mir entgegenkommt. Sie trägt eine Tüte voller Essen, woraufhin mein Magen knurrt. „Bringst du Enola mit?" Fragt sie und ein neugieriger Unterton schwingt mit.

„Ja. Ich hoffe die Jungs sind nett, sie ist noch etwas befangen." Offenbare ich Emily meine Gedanken, doch als Jacob um die Ecke kommt, wünschte ich, ich hätte sie für mich behalten.

„Paul, sind wir jemals nicht nett?" Ich seufze, denn Jacob Black zu sehen, treibt meine Laune nicht gerade auf ihren Höhepunkt. „Sie hat einen ziemlichen Schock von gestern." Bringe ich zähneknirschend hervor und hoffe, er hört nun damit auf, sich lächerlich zu machen.

„Ja und da bist du auch selbst schuld, oder? Du solltest langsam lernen, dich zusammenzureimen." Ich knurre aus Instinkt, doch rufe mir ins Gedächtnis, dass ich das eigentlich nicht will. „Halt die Klappe Jacob!" Schieße ich stattdessen zurück und schnappe mir die Autoschlüssel.

„Oh, wirst du jetzt zum Heiligen, nur weil du auch ein Mädchen hast? Das ist wirklich erbärmlich. Nicht mal mehr mit dir kann man Spaß haben." Stichelt Jacob weiter und hat mich damit schon wieder so weit, dass meine beiden Hände zittern. Doch anstatt ihn gewinnen zu lassen, steige ich ins Auto und lasse den Motor an. Ich bin schon an der Ausfahrt von Emilys und Sams Haus, da höre ich sie: „Was Sam gestern gesagt hat, reicht ihm doch schon, oder?"

Ich grinse, denn von Emily will sich niemand eine Abreibung abholen.

Als ich zurück nach Forks fahre, denke ich noch ein Mal über Jacobs Worte nach. Ich will mich nicht verändern, nur weil ich Enola nun habe. Doch ich denke auch, dass sie vielleicht nur der Grund ist, den ich brauche, um mich zu verändern. Sam hat schon immer kritisiert, dass ich mich zu wenig unter Kontrolle habe und Jake ist mir gegenüber geradezu ein Muster an Selbstbeherrschung. Enola hilft mir, ein Ziel vor Augen zu haben, das sich lohnt, nicht in die Luft zu gehen.

Deshalb habe ich auch ausgesprochen gute Laune, als ich jetzt vor ihrer Türe stehe und auf die Klingel drücke. Doch nichts tut sich. Ich drücke noch ein Mal, doch werde von Minute zu Minute unruhiger. „Enola ich bin's!" Rufe ich und klopfe nachdrücklich.

Als sich die Türe öffnet und ihre vertrauten rotbraunen Haare erscheinen, atme ich erleichtert auf. „Hey. Warum hast du denn nicht auf gemacht? Hattest du Angst vorm bösen Wolf?" Sie grinst schelmisch und boxt mich scherzhaft in die Schulter. „Nein, vor dem nicht. Aber vor Paul, dem coolen Typen aus deinem Rudel." Wir gehen zum Auto und sie schwingt sich hinein. „Falls du geklingelt hast: Die Klingel ist kaputt, das hätte ich vielleicht erwähnen sollen." Ich lasse den Motor an und denke darüber nach, wie viel in diesem Haus kaputt ist.

Mein Blick mustert Enola während der Autofahrt. Er hat sich verändert, seit ich ihren verklärten Ausdruck im Wald gesehen habe. Und auch ihr Kuss gestern hat mich vollkommen aus der Bahn geworfen. Ich hätte fast die Kontrolle verloren, denn nur diese kleine Berührung ihrer feuchten Lippen, hat mein Wolfsblut so in Wallung gebracht, dass ich beinahe den echten Zweck der Prägung wahr gemacht hätte. Doch für Fortpflanzung bin ich definitiv noch zu jung.

Doch Enolas Anblick lässt mich immer wieder daran denken. Ihre graue Jeans ist heute enger, als ihre anderen. Auch ihr Top zeigt deutlich mehr Ausschnitt und ihre Haare hat sie zu einem Seitenzopf geflochten, an dem ich sie gerne zu mir heranziehen würde. Als ich so vor mich hin denke, mache ich mir Gedanken darüber, wie genau ich dieses Mädchen beobachte.

„Wohin fahren wir?" Fragt sie, als ich von unserer üblichen Rute abweiche und auf einem Waldweg weiterfahre.

„Wir fahren gleich zum Strand. Die anderen sind schon da und warten auf uns."

Als Antwort nickt sie nur und ich stelle das Radio an, um die Stille zu füllen. Mein Mädchen ist bei mir, wir sind gleich bei meinem Rudel und alles in mir fügt sich plötzlich zusammen. Nichts fühlt sich mehr zerrissen an. Das Schlimme ist, wenn ich bei meinen Jungs bin quält es mich, dass sie weg ist. Und wenn ich bei ihr bin, bin ich nicht Teil des Rudels. Also eigentlich schon, aber ich laufe nicht mit durch den Wald und albere nicht mit ihnen herum. Die stetige Angst, etwas zu verpassen ist dann mein Begleiter.

Als wir an dem erhöhten Parkplatz ankommen, parke ich ein und deute auf das Wasser, das sich vor uns am Horizont ausbreite wie ein Teppich.

"Nach einem kleinen Fußmarsch sind wir da." Ich klettere über die Absperrung, die die Dünen vom Parkplatz abtrennt. Enola klettert mir nach und gibt sich wohl Mühe, möglichst elegant auf der anderen Seite zu landen. Meine Hand, die ich ihr zur Hilfestellung anbiete, ignoriert sie gekonnt.

"Siehst du da unten? Da ist unser Ziel." Ich zeige auf die Stelle, auf der das helle Meer auf den Sandstrand trifft. Davor bildet sich eine kleine Bucht, in der die Jungs herumtollen, wie kleine Punkte. "Ja. Wer als erstes da ist?" Ruft sie und läuft auch schon los, die rutschigen Dünen hinunter.

„Enola!" Höre ich Emily schon von Weitem ausrufen, als wir auf den Strand zu laufen. Sie winkt uns ausschweifend zu und Enola fokussiert ihr Ziel weiter.

Ich würde meinem Mädchen gerne helfen, als sie über Steine und Sandhügel hinunter zu unserem Strand klettert. Doch jedes Mal, wenn sie fast hingefallen ist, lacht sie und sagt: „Es geht schon!" Als würde ich mich vollkommen lächerlich aufführen. Dabei ist sie in meinen Augen diejenige, die zu zerbrechlich für diese Kletterpartie in diesem Tempo ist.

Als wir endlich bei Emily angekommen sind, lässt Enola sich auf einen großen Baumstumpf fallen und atmet hektisch ein und aus.

„Hey ihr zwei." Emily umarmt mein Mädchen, wie eine Schwester und bei mir stellt sich ein beruhigendes Gefühl ein. Es ist, als würden zwei Teile meiner Familie gut zusammen passen. Als Emily mich umarmt, geschieht das um einiges robuster und ich grinse. Es ist, als würde sie unsere Jungs-Gruppe irgendwie immer zusammenhalten, ohne dass sie darum jemals jemand gebeten hätte.

"Weißt du, wie gemein das ist, wenn ich versuche, schneller zu sein als du und danach vollkommen kaputt bin. Du siehst dabei aus, als würdest du spazieren gehen." Enolas Wangen glühen tatsächlich rosa und ich will ihr sagen, dass ich dafür nicht das geringste kann. Doch Emily verwickelt sie schneller in ein Gespräch, über diese Ungerechtigkeit, als dass ich mich rechtfertigen könnte.

Jared, Embry, Jake und Quil spielen Fußball im Sand und tollen dabei so viel im Sand herum, dass ich nicht erkennen kann, wer in welchem Team ist. Ich lasse mich neben Sam in den Sand fallen und lehne mich an den Baumstamm. Mein Blick ruht auf Enola, während sie das hier alles aufzusaugen scheint und wieder zu Atem kommt.

„Ich habe Essen mitgebracht, wir können später ein Picknick im Sand machen." Verkündet Emily und deutet auf die Taschen, die neben ihr stehen. „Essen?" Ruft Jake und dreht sich so schnell um, dass ihm der Ball gleich an den Hinterkopf knallt. Er sieht aus, als hätte er das kaum bemerkt und Enola lockt es ein Kichern hervor. „Erst nachher Jungs." Embry kickt den Ball in meine Richtung. „Paul, komm schon und spiel eine Runde mit. Enola läuft schon nicht weg." Ich sehe zuerst den Ball, dann mein Mädchen an. „Los geh schon, du willst doch nicht gelangweilt hier herumsitzen." Sagt sie und winkt mich in Richtung der Jungs. Ich kicke den Ball zurück und treffe Jacob dabei gleich nochmal. Das fängt ja schon mal sehr gut an.

Wenn du nicht mehr von der Schwerkraft angezogen wirst - Twilight FFWhere stories live. Discover now