Kapitel 55

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Der erste Sprengsatz explodiert, dort wo deine meine Haut berührt.

POV Lukas
Berlin, jetzt
Ich hatte mich noch nie so elendig gefühlt. Ich fühlte mich schuldig und gleichzeitig wahnsinnig verletzt, konnte nicht glauben, was passiert war und gleichzeitig tat mir Tim leid. Wie würdest du dich fühlen, wenn er sich plötzlich in jemand anderen verliebt hätte? Nicht gut, oder? Eben. Also hör auf, an Matthias zu denken und konzentrier dich auf deine Beziehung, konzentrier dich darauf, deine Beziehung zu Tim zu richten – nicht nur er, sondern auch Basti und Sudden werden dir dankbar sein, sobald das Gleichgewicht wieder in der Band gerichtet wurde. Ich ballte die Fäuste unter meinem Gesicht und spürte, wie ein Wall an Tränen eine klebrige Masse auf meiner Haut kreierte.

„Lukas, willst du irgendjemanden Speziellen hier haben?", fragte Sudden vorsichtig. Ja, Matthias.
„Nein", murmelte ich in mein Kissen.
„Bist du dir sicher?", fragte er nach ein paar Sekunden Stille. Sollte ich? Soll ich ihn nach ihm fragen? Wäre das nicht zu offensichtlich? Zu gefährlich?
„Ähm...also...eigentlich...doch", gab ich schließlich zu.
„Wen denn?" Ich sah ihn mit großen Augen an, bis er realisierte, wen ich meinte.
„Das...das...kann ich nicht."
„Warum nicht?"
„Weil...weil ich nicht will, dass da was zwischen euch laufen wird."
„Aber..." Er nahm Zeigefinger und Daumen und legte sich beide an die Nasenwurzel. Er sah nicht gerade begeistert aus. Ich sah ihn weiterhin erwartungsvoll an, wartete darauf, dass er etwas sagen würde. Und was, wenn Matthias dann hier wäre? Was würde dann passieren? Sudden seufzte laut auf.
„Ok." Wirklich?
„Was?"
„Ok, ich hol ihn her. Aber du musst mir versprechen, dass da nichts laufen wird! Auch wenn das, was Tim getan hatte, dir so wehgetan hat, will ich nicht, dass das alles am Ende eskaliert, verstehst du mich, Lukas?" Ich nickte und zog die Decke noch mehr über mich. Sudden seufzte wieder, tätschelte mir den Arm und stand dann auf.

„Kannst du mir seine Handynummer geben?" Ich reichte ihm mein Handy, nachdem ich es entsperrt hatte; Sudden stand dann auf, warf mir einen kurzen Blick zu und verließ anschließend mein Schlafzimmer. Mich überkam eine Art Nervosität, als ich daran dachte, dass Matthias hier sein würde. Dieses Gefühl konnte sich jedoch nicht allzu schnell ausbreiten, da ein anderes Gefühl Platz brauchte. Eins, welches mich in den letzten Tagen kaum verlassen hatte: Trauer. Ich war traurig, dass das zwischen Tim und mir passiert und ich fühlte mich schuldig zugleich. Aber es war doch nichts mit Matthias passiert! Trotzdem.

Eine halbe Stunde später
Ich war vor Erschöpfung eingeschlafen und schreckte hoch, als es an der Tür klingelte. Starr blieb ich liegen, lauschte Suddens Schritte, wie er die Tür öffnete, etwas kühl Matthias begrüßte, mit ihm ein paar Worte wechselte und sich dann eine Tür schloss. Ich zog die Decke soweit es ging über mich und blieb liegen, mit dem Rücken zur Schlafzimmertür, die sich wenig später öffnete.
„Lukas?", hörte ich Matthias' Stimme.
„Ja?", antwortete ich, ohne mich umzudrehen.
„Hi. Wie geht's dir?" Er setzte sich vorsichtig vor mich und sah mich geduldig an. Sein Bart war etwas länger geworden und stand ihm außerordentlich gut. Außerdem trug ein schönes rot-schwarz kariertes Hemd, welches gut zu seinen grünen Augen passte.
„Nicht gut", schniefte ich ehrlich.
„Kann ich mich zu dir legen?" Ich nickte und beobachtete, wie er sich neben mich legte, auf die Bettdecke drauf, die dann ein wenig über mir spannte. Der Abstand zwischen uns war ziemlich groß, akzeptabel, meiner Meinung nach.

„Willst du etwas ansehen? Einen Film?", fragte er nach einer Weile. Ich zuckte nur die Schultern, was im Nachhinein gesehen ihm gegenüber ziemlich unhöflich war. Er stand wieder auf, sah sich etwas im Zimmer um und entdeckte dann meinen Laptop, welchen er sich schnappte (sowie eine Schuhbox) und damit wieder aufs Bett krabbelte. Matthias öffnete Netflix und suchte sich eine Doku aus, bevor er den Laptop auf die Box vor uns stellte. Ich lag immer noch auf der Seite, meinen Kopf fast unter Matthias' Arm, welchen er über meinen Kopf hinweg streckte und leicht meine Schulter streichelte. Wir verharrten einige Zeit lang in dieser Position, ehe ich mich etwas bewegte und mich noch näher an ihn kuschelte. Ich spürte, wie er mir abwechselnd über den Arm und durch die Haare strich und genoss einfach nur seine Gegenwart und seine Streicheleinheiten. Von dem Film bekam ich gar nicht so viel mit.

Seine Hand wanderte irgendwann von meiner Schulter auf meine Hüfte, jedoch nicht unter mein Hemd, welche er dann auch sanft streichelte, sie fast gar nicht berührend.
„Macht es dir was aus, wenn ein bisschen schlafe?", fragte ich nach ungefähr zehn Minuten.
„Nein, überhaupt nicht. Soll ich gehen?"
„Nein, bleib hier." Mit den Worten drehte ich meinen Rücken zu ihm, und spürte, wie er seinen rechten Arm unter meinen Kopf platzierte, und seinen Linken über meine Taille auf meinen Bauch legte. Seine Knie passten perfekt in meine Kniekehlen, und mein Hintern...passte perfekt in seinen Schritt. Ich verhakte meine rechte Hand mit seiner Linken und spürte, wie er mich immer weiter streichelte. Ich konnte sein Herz klopfen spüren, einen Tick schneller als normal und ich war mir sicher, dass das hier genau das war, was er wollte und gleichzeitig genau das war, was ich brauchte. Seltsamerweise verspürte ich nicht den Drang, mich zu ihm zu drehen, ihn zu küssen. Nein, ich wollte einfach in dieser Position liegen bleiben, einfach nur gestreichelt werden, mich beruhigen, runterkommen.

POV Tim
Bielefeld, jetzt
„Ich weiß, dass es dir schwerfällt, aber du musst ihn anrufen. Wie sonst soll eure Beziehung denn wieder gerichtet werden?", fragte Marcel ein paar Stunden später, als ich mich vom Bett aufgerafft hatte, um etwas zu essen. Ich versuchte gerade, einen Apfel herunterzubekommen, und obwohl ich wahnsinnig Hunger hatte, fiel mir jeder Bissen schwerer denn je. Ich nahm einen winzigen Bissen und starrte dann den Apfel in meiner Hand an.
„Ich weiß nicht, ob man das noch richten kann..."
„Doch, das kann man! Du willst doch nicht die letzten drei Jahre einfach so aufgeben, oder?" Marcel sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, erwartungsvoll und aufgeregt. Der Gedanke daran, dass Lukas und ich, dass das, was wir hatten, nicht mehr sein würde, trieb mir Tränen in die Augen. Schnell sah ich auf den Boden, doch Marcel, mein treuer Freund, musste meine Tränen mitbekommen haben, denn er nahm mich plötzlich wortlos in den Arm, drückte mich fest an ihn und blieb so.

„Marcel...ich...ich habe so Angst", schniefte ich in seine Schulter.
„Wovor denn?"
„Dass er mich verlässt."
„Das wird er nicht."
„Woher weißt du das?"
„Weil er dich liebt, Tim. Das sieht jeder und das weiß jeder."
„Aber...das, was ich getan hatte..." Er seufzte und fuhr sich ratlos durch die Haare.
„Ich...ähh...das...kann passieren. Das...du warst doch unter Drogen und..."
„DAS ENTSCHULDIGT DOCH NICHTS!", schrie ich ihn an. Marcel ging einen Schritt zurück und sah mich ruhig an. Er sagte nichts, keiner sagte irgendetwas. Meine Haustiere hatten sich schnellstmöglich verkrochen. Hätte ich auch an ihrer Stelle getan – wer will denn schon in meiner Gegenwart sein?


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