Kapitel 78

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POV Tim
Berlin, Juni 2012
Es war noch ziemlich am Anfang unserer Beziehung und ich hatte es geschafft, endlich meine neugefundene Schüchternheit Lukas gegenüber abzustreifen. Ich traute mich immer mehr und langsam fühlte sich alles normal und gewöhnlich an. Lukas und ich lagen nebeneinander im Bett, beide nur in Boxershorts und uns gegenseitig streichelnd, und mir brannte eine Frage auf der Zunge. Eine Frage, die sich jeder, der ein aktives Dating-Leben lebte, einmal gestellt hatte. Eine Frage, die nicht zu früh gestellt werden sollte, aber auch nicht zu spät. Eine Frage, die alles ruinieren konnte. Sind wir jetzt eigentlich zusammen?
„Also", fing ich schließlich an und Lukas sah mich interessiert an.
„Ja?"
„Was...ähm...daten wir uns jetzt eigentlich offiziell?" Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, bevor er zu lachen anfing und erst aufhörte, als er meinen verwirrten Gesichtsausdruck bemerkte.
„Ich bin so froh, dass ausgerechnet du das gefragt hast!"
„Ja?"
„Ja! Ich wollte das nämlich auch wissen, habe mich aber nicht getraut, dich zu fragen, weil du ja meintest, dass du eigentlich keine Beziehung willst, und..."
„Ja, aber auf Dauer alleine sein ist ja auch nicht schön." Lukas sah mich erstaunt an, ehe er anfing scheu lächelnd mit dem Zeigefinger irgendwelche Zeichen auf meiner Brust zu malen.
„Ich...wäre gerne in einer Beziehung mit dir", meinte er irgendwann. Ich spürte, wie mein Herz einen Hüpfer machte, versuchte jedoch, meine Freude zu verstecken, also räusperte ich mich und küsste ihn auf den Kopf.
„Ja?"
„Ja."
„Also...sind wir jetzt zusammen?", fragte ich ihn nochmal, etwas direkter und ungeduldiger. Irgendwie kam es mir seltsam vor, dass ich als derjenige, der älter war, ihn fragte, was denn jetzt eigentlich Sache war. Ich sollte doch eigentlich ein wenig unerreichbar für ihn wirken, oder?
„Ja, schon." Und dann waren wir endlich offiziell ein Pärchen.

Berlin, jetzt
„Lukas, wieso fällt es dir so schwer zu mir zu stehen?"
„Ich...ich..."
„Was denn? Meine Güte, wir sind seit drei Jahren zusammen! Verdammte Scheisse, Lukas, so schwer kann das doch nicht sein!"
„JA ICH WEIß!", schrie er mich plötzlich an. Dann haute er auf den Tisch, stand auf, fuhr sich frustriert durch die Haare und lief im Kreis herum. Manchmal erinnerte er mich wirklich an einen Slapstick-Schauspieler, vor allem wenn er versuchte, ernst zu bleiben.
„Lukas, bitte setz dich wieder her", murmelte ich. Er warf mir einen giftigen Blick zu, setzte sich jedoch dann hin, sich immer wieder durch die Haare fahrend.
„Ich will ja, dass Leute von uns wissen. Es gibt nichts, was ich mehr will. Dass wir Hand in Hand durch die Öffentlichkeit gehen und dass keiner uns anstarrt. Dass wir auf Veranstaltungen gehen können, wo ich dich küssen kann, ohne Probleme, ohne, dass die Presse das Ganze sofort zerreißt, ohne dass spekuliert wird, ob das nun wirklich Rap ist, ob das erlaubt ist, ob..."
„Aber das machen wir doch schon. Also, so geheim ist das mit uns beiden doch auch wieder nicht. Deshalb versteh ich nicht, warum du nicht einfach ehrlich bist, in Interviews und so weiter. Es kümmert doch eh keinen." Lukas sah mich traurig an und sah dann wieder auf seine Hände.
„Das weiß ich doch auch nicht", antwortete er irgendwann. Ich seufzte bedrückt auf und fragte ihn dann:
„Lukas, sag mal...willst du denn überhaupt noch mit mir zusammen sein?" Er sah mich erschrocken an und nahm dann schnell meine Hand.
„Natürlich will ich das! Ich will nichts und niemanden anderen außer dir! Verdammt, Tim, habe ich dir das Gefühl gegeben, dass es anders sei?"
„Nein, also...ja, irgendwie...ach, fuck, dass du mit jemand anderen schlafen wolltest und mich dann halt betrogen hast – irgendwie waren das alles Zeichen dafür, dass du mich nicht mehr als deinen Partner haben willst. Weil...naja, schon allein weil du nicht zu mir stehst. Das macht mich wahnsinnig, weißt du? Ich will doch nur mit dir zusammen sein, ich will deins sein, ich will nur dich lieben können, niemand anderen, keinen anderen Typen ficken. Ist das denn so schwer zu verstehen? Oder willst du eigentlich etwas Anderes?" Er starrte auf seine Hände und ich beobachtete, wie sein Adamsapfel auf und ab hüpfte, jedes Mal, wenn er schluckte.

„Es tut mir leid." Er sah mich zutiefst traurig an und ich wurde sofort wieder weich. Ich wollte doch nicht, dass Lukas, mein Lukas, traurig war. Aber andererseits hatte er mich auch so verletzt, so hintergangen, und ich wollte das auch nicht einfach so hinnehmen. Mein Blick wanderte von seinen schönen Augen die lange Nase entlang, über seine Lippen, die ich schon so oft küssen durfte, und dann schweifte ich ab. Schade eigentlich, dass es so weit gekommen war. Vor einem Jahr hätte ich noch nicht gedacht, dass wir überhaupt irgendwelche Probleme haben würden, außer der sich wiederholenden Diskussion des Zusammenziehens. Vor einem Jahr hatten wir Lukas' Geburtstag zusammen gefeiert. Ich hatte mir solche Mühe gegeben, um ihm an dem Abend dann die CD, das Fotoalbum und das Notizbuch zu übergeben. Vor allem am Fotoalbum hatte ich lange gesessen. Nächtelang sogar. Ich konnte mich gut an die Nacht, ein paar Nächte vor Lukas' Geburtstag, erinnern, an welcher Marcel und ich gekokst hatten und ich Lukas' Geschenk unbedingt fertigmachen wollte und durch meine Wohnung gehetzt war, nur um ein paar Minuten später wieder an etwas Anderem zu sitzen. Mein Blick schweifte zu der Kommode, auf welcher Fotos von uns beiden standen, und neben auch dieses Fotoalbum. Ich glaube, ich hatte letztens das Notizbuch in Lukas' Nachtkästchen gesehen. Vielleicht las er darin, wenn ich nicht bei ihm war.
„Timi?"
„Ja?"
„Wo warst du denn gerade?"
„Hmm?"
„Du bist gerade so weggetreten. Alles ok?"
„Ja, ich...Lukas, es tut mir doch auch leid. Ich...ich liebe dich doch und...vielleicht hätte ich nicht so beleidigt reagieren sollen. Wer kennt sich denn besser mit Rap aus, als ich? Ich kenne die Szene doch so gut und...und ich weiß ja, wie das sein kann. Ich glaube, dass weil ich ja nicht gerade bekannt bin, oder zumindest nicht so bekannt bin wie du, dass ich das alles nicht so verstehe. Oder dass mir es halt echt am Arsch vorbeigeht, was die in den Medien sagen. Auch, wenn ich weiß, dass es dir wichtig ist, wie du präsentiert wirst. Und das ist ja auch gut so! Du sollst dir ja auch Gedanken machen, und du bist ja auch immer so vorsichtig. Aber manchmal machst du dir einfach zu viele Gedanken, und das schadet dir dann am Ende."

Lukas sah mich nachdenklich an und nahm einen Schluck seines Wassers. Er setzte das Glas auf dem Tisch ab und fuhr den Rand mit dem Zeigefinger nach.
„Ich bin halt so", meinte er irgendwann.
„Das weiß ich doch. Aber manchmal hilft es, wenn man sich ein bisschen verändert, vor allem wenn es einem selber helfen kann." Ich holte mir eine Zigarette aus meiner Jackentasche und stand auf, ehe ich sie mir zwischen die Lippen steckte und auf Lukas' Balkon ging. Mein Blick schweifte über die Stadt, während ich mir die Kippe ansteckte und inhalierte. Kurz darauf hörte ich, wie sich die Balkontür öffnete und Lukas zu mir trat. Er atmete tief ein und dann wieder aus, ehe er anfing zu sprechen.
„Vielleicht kann ich mich ein bisschen verändern. Etwas besser aufpassen und weniger daran denken, was andere von mir halten." Ich drehte mich zu ihm und musterte ihn.
„Das wäre schön." Daraufhin schnippte ich meine Zigarette weg und ging einen Schritt auf Lukas zu. Ich nahm sein Gesicht in meine Hände, zog ihn zu mir und küsste ihn. Und er erwiderte den Kuss. Wir standen nur so da, fröstelnd auf dem Balkon, die Körper aneinandergepresst und küssend. Ich ließ meine Finger unter Lukas' T-Shirt gleiten und fuhr an seinem Bauch und die Seiten entlang. Seine warme Haut veränderte sich in Gänsehaut, sobald meine Finger ihn berührten und ich wurde sofort davon angesteckt und bekam selber eine Gänsehaut. Ich konnte die ganzen kleinen Erhebungen auf seiner Haut spüren und fuhr vorsichtig darüber. Und die ganze Zeit dachte ich an Nick, wie sexy er war, wie unkompliziert er womöglich war, wie bodenständig er schien, dass er nicht annähernd so arrogant war, wie Lukas manchmal sein konnte und wie sehr ich gerne mit ihm schlafen würde.

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