6| Afterstory

832 71 12
                                    

„Ich bin am nächsten Morgen in der Blutlache aufgewacht, das hatte ich ja bereits erzählt. Ich hab' geheult. Ich.."

Angestrengt versuchte ich, meine Worte zu sammeln und zurechtzulegen. Schwer schluckte ich dabei alle Bruchstücke herunter, die meinen Worten im Weg standen.

„Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Wo ich anfangen soll. Irgendwie ist alles so schnell geschehen, dass ich mich teils selber nicht richtig daran erinnern kann, verstehen Sie? Vielleicht liegt es auch an der Verdrängung, welche Sie bei mir festgestellt haben."

Ja, es stimmte. Mrs. Minegold hatte bei mir das verstärkte Verdrängen feststellen können, welches bei mir ebenso auch Wissenslücken verursacht hatte. Es war auf eine gewisse Weise echt absurd, dass das überhaupt möglich war. Man mochte meinen, dass das Verdrängen nur ein Verstecken von Gedanken und Erinnerungen ist, aber dabei ist es das Ausgrenzen an Lebenserfahrungen.

„Ich erinnere mich an das Grundlegende. Es war noch nicht so hell, vielleicht sieben Uhr, ich weiß es nicht, hatte keine Uhr. Ich hab nicht verstanden, was passiert ist.

Der Schrei ist noch heute in mir zu hören. Es war mein eigener, der mir entflohen ist, als ich Laura hab' neben mir sehen können. Ihre Augen waren weit aufgerissen, sie haben mich angestarrt und ich konnte den Schmerz in ihnen so deutlich sehen wie ich auch jetzt euch sehen kann. Ich habe geheult, geschrien, obwohl ich ganz genau wusste; wenn mich jemand findet, dann werde ich gefangengenommen werden. Weil ich sie getötet hatte." – „Du hast sie nicht getötet, Claire." – „Nein. Nicht direkt, aber ich habe sie auch nicht retten können."

Der Druck auf meine Hand von Nathan ließ ich aufseufzen vor Verzweiflung.

„Auf jeden Fall ist keiner gekommen anfangs. Die Gegend war zu der Zeit auch sehr ausgestorben. Es war die Zeit, in welcher die Renovierung dieses Distrikts erst in Planung stand. Darum war es dementsprechend leer. Ich wollte wegrennen, aber mein Körper tat mir weh. Ich konnte mich nicht bewegen, meine Augen nicht einmal von Laura entfernen, also ließ ich sie zusammengekniffen.

Ein großer Teil von mir wollte in dem Moment einfach sterben, ich wusste nicht anders mit der Situation umzugehen.

Die Tränen hörten nicht auf. Sie strömten meine Wangen hinab als wären sie mit dem Tropfen von meinem Kinn im Paradies. Die verzweifelten Rufe nach Hilfe gaben der Gasse die perfekte Atmosphäre, angemessen der Situation erst mit dem Schluchzen aus meiner Kehle.

Ich wollte nach Hause. Ich wollte Aidan bei mir, seine Arme um mich spüren und das Gefühl von Sicherheit wiederhaben.

Augenblicklich fing ich an zu schreien, als sich eine Hand auf meinen Kopf legte. Panik, er sei zurückgekehrt, breitete sich aus und damit die Angst, dass ich die Nächste sein würde. „Psht, es ist alles gut. Du bist in Sicherheit", murmelte er, doch an seinem Ton konnte ich erkennen, dass nichts gut war, weder für ihn noch für mich.

Zu meinem Glück war es nicht seine Stimme. So konnte ich mich zumindest etwas entspannen, aber die Tränen hörten nicht auf, meine Schluchzer wurden nicht minder. Im Gegenteil, ich hatte das Gefühl, die Staudämme, welche ohnehin schon Brüche vorweisen konnten, seien nun endgültig zerstört worden vom Druck meiner Tränen.

Es war die Angst, die Panik und die Erleichterung, welche mit den Tränen rausgelassen wurden. Ich merkte, wie in meinem Kopf sich eine Art Schalter betätigte, welche in mir das kleine Mädchen weckte, welche auf einen Helden angewiesen war. Auf eine Person, die für mich da war und mich vor dem Ernst dieser Welt beschützen sollte.

„Ich... nach Hause", entkam zwischen Schluchzer aus meiner Kehle. Mehr brauchte ich nicht zu sagen, denn ich wurde verstanden. Ich spürte, wie sich Arme unter meine Beine schoben als auch unter meinem Rücken und kurz darauf verlor ich den Boden unter meinen Füßen.

Please, once againWo Geschichten leben. Entdecke jetzt