24| Endlose Sehnsucht

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Eisige Kälte umschmeichelte unsere Körper. Wir sprachen nicht, wir schauten uns nicht gegenseitig an, wir liefen lediglich stumm in Richtung Stadtgrenze in angenehmer Stille. Ich genoss es, den Kopf freizukriegen. Und Nathan wusste das.

Dennoch beschloss ich, die Stille zu brechen, indem ich mir ein Lächeln auflegte, ein paar Schritte vor ihn lief und mich dann umdrehte, um ihm in sein Gesicht zu blicken. „Wohin entführst du mich?", fragte ich ihn.

Erwartet hatte ich, dass er mich wegen meiner Neugierde neckte, nicht antwortete oder die Schultern zuckte, doch seine Hände an meinen Schultern zu spüren, dies definitiv nicht. Er griff nach mir und zog mich so nah an sich – sich selbst unterbeugend – dass kein Baum mit einem Durchmesser von dreißig Zentimetern zwischen unsere Gesichter gepasst hätte. Mit anderen Worten, er war mir sehr nah.

„Uhm, Nath-" – „Hör auf damit, Prinzessin."

Verwirrt blickte ich ihn an, doch er löste daraufhin nur seine Hände von meiner Schulter, strich zuerst meine Stirn glatt und daraufhin zog er meine Mundwinkel herunter. „Hör auf, dir ein Lächeln aufzuzwingen, ja? Es ist okay, verwirrt zu sein, oder traurig oder frustriert. Versuch niemals, jemand anderes in meiner Gegenwart zu sein, okay?"

Ich wusste nicht, was passiert war, doch ich wusste, dass Nathan und ich eine Stunde später in einem Wagon eines Riesenrades saßen, oben in der Luft, ohne uns selbst zu bewegen. Wenn man mich fragen würde, wie wir hergekommen waren, ich könnte nicht antworten.

Nach seiner direkten Aussprache war ich in Gedanken versunken und hatte mich lediglich von Nathan mitziehen lassen, welcher meine Hand ergriffen hatte, nachdem keine Reaktion kam.

Mit jeder Geste von ihm, jedem Satz verliebte ich mich mehr in ihn. Konnte er nicht einfach aufhören, mein Herz zum Schmelzen zu bringen? Einfach gemein sein, mich von sich stoßen und aufhören, das Verlangen in mir zu wecken, ihn zu küssen?

Tief einatmend lehnte ich meinen Kopf an das Fenster und blickte nach draußen. Der ganze Platz war bereits heruntergekommen, wirkte einsam und dennoch heimisch. Es hatte einen harmonischen Eindruck auf mich. Nahezu so, als sei es verlassen hier, doch die Erinnerungen, die Freuden und die Glückseligkeit würden auf ewig an diesem Ort haften bleiben.

Die Dunkelheit verflüchtigte sich nicht im geringsten; kein Wunder, es war schließlich erst kurz nach vier an einem Wintertag. Dennoch schien die Nacht weniger geheimnisvoll durch das Brechen der Schwärze von unscheinbaren Lichtern, welche die Straße erstrahlten und die Häuser sichtbar machten.

Ich konnte es nicht leugnen, ich verstand nicht, warum wir hier waren. Ich verstand um Gottes Willen ebenso wenig den Typen, welcher unten an dem Schalter stand, extra hierfür aufgestanden, und auf ein Zeichen Nathans wartete, uns wieder hinunterzulassen.

Ein Seufzen entfloh mir. Es war schön, wirklich, doch ich fühlte mich in Gefahr. Wir waren an einem hohen Punkt eines heruntergekommenen Rummels, keiner in Hörweite. Wenn uns jemand angreifen würde, dann könnte uns keiner hören. Keiner helfen. Genau wie damals.

Es ruckelte leicht, als Nathan sich erhob und sich neben mich setzte. Es pochte stark, als Nathan meine Hand ergriff und unsere Finger verschränkte. Und alles zerbrach ausnahmslos, als er meine Hand zu seinen Lippen führte und einen Kuss draufhauchte.

Ich versuchte gar nicht erst zu verstecken, wie verletzt ich war. Dass er mit mir spielte. Er wusste, dass ich ihn mochte, es konnte nicht anders sein. Er war nicht blind, jeder konnte es sehen, weil ich schwach war, ich konnte nicht einmal meine Gefühle verstecken, die doch letzten Endes allein meine sind.

„Nathan..." Verkrampft krallten sich meine Finger in seine Hand. Er zuckte nicht einmal zusammen. Ich konnte erkennen, dass er wusste, was ich dachte. Dass ich verletzt war und dass er der Grund war. Und es wurmte mich, dass es ihn traf. Dabei sollte ich nicht Mitleid haben. Ich sollte an mich denken, ich sollte daran denken, dass ich kaputt ging, doch ich wollte nicht. Ich wollte, dass er glücklich war. Und er war es mit Ivy, er hatte es selbst gesagt.

„Heilige Scheiße, weißt du wie schön du bist?", hauchte er leise, so leise, dass ich es nahezu nur als Lufthauch wahrnahm. Ich schluckte den Kloß und die Nervosität herunter, konnte nicht anders als ihm in die Augen zu blicken. In das wunderschöne Farbspiel seiner klarer Augen, welche mich in einen Bann zogen. Nathans Augen waren so ausdrucksstark, so strahlendschön und faszinierend. Ich liebe sie.

Ich war so versunken, dass ich selbst nicht merkte, wie er mich betrachtete, nachdenkend und in Gedanken versunken auf seiner Lippe kaute.

Und dann küsste er mich. Er legte seine Lippen auf meine, vereinte unsere Sehnsucht und stillte mein Verlangen. Legte sachte seine Hand auf meine Wange und zog mich näher zu ihm und es war das schönste Gefühl, was ich jemals gespürt hatte. Und so gab ich nach, erwiderte seinen Kuss, weil alles in mir danach schrie.

Weil die Gedanken an Ivy alle beiseite geschoben wurden, denn sie war egal. Weil das Gefühl in mir so angenehm war, dass ich mehr davon wollte. Ich wollte das Prickeln, das Durcheinandergeraten meiner Schmetterlinge nie wieder missen wollen. Weil ich mich ihm noch nie so nahe gewesen war, noch nie so etwas Schönes gefühlt hatte. Weil ich Nathan liebte.

Ich schloss meine Arme um seinen Nacken, ließ mich von Nathan gegen den Wagon drücken und die Nähe genießen, ignorierte dabei die einzelne Träne, welche all die Verzweiflung und den Frust in sich trug.

Unsere Lippen neckten sich, spielten miteinander und verbreiteten das Gefühl von Harmonie und Einigkeit. So fühlte es sich an, geliebt zu werden.

Mir war klar, dass ich ihn von mir schubsen sollte. Ich hatte nicht das Recht dazu, diese von Ivy – von seiner Verlobten – geküssten Lippen zu küssen, doch ich war egoistisch und selbstsüchtig. Nathan selbst hatte mir gesagt, ich sollte mich zu verhalten, wie ich mich fühlte. Und das tat ich.

Allein die Atemnot brachte uns dazu, unser Lippengefecht abzubrechen. Er löste seine rechte Hand, stützte sich mit ihr an dem Fenster hinter mir ab und entfernte sein Gesicht wenige Zentimeter von mir. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen, biss mir auf die Unterlippe, um es zu verstecken.

Später würden mich die Schuldgefühle noch plagen, doch jetzt, hier und jetzt wollte ich es genießen.

Seine Augen huschten zu meinen Lippen, starrten wie gebannt darauf, wie ich an ihr knabberte. Doch ich brach es sofort ab, da ich die Sorge hatte, wie ein Pferd auszusehen, welches an einem Apfel kaute.

„Gott möge mir verzeihen", murmelte er, ehe er mir in die Augen blickte und zaghaft über meine Wange strich. „Ich würde gerne sagen, dass das ein Fehler war, dass es falsch war und ich nicht durfte, aber Prinzessin, in meinem ganzen Leben habe ich noch nichts gemacht, was sich richtiger angefühlt hat."

Er näherte sich mir erneut, doch nur um seinen Kopf in meinen Nacken zu legen und mich in eine Umarmung zu ziehen.

Ich wusste nicht, was mich dazu brachte. Vielleicht war es die Situation, die Atmosphäre und seine Nähe. Vielleicht war es das Prickeln auf meinen Lippen, das Kribbeln in meinem Körper und die Tatsache, dass ich die Bestätigung bekommen hatte, auch von ihm gemocht zu werden, mehr als gemocht zu werden. Was immer es war, es ließ mich die Worte aussprechen, die ich stets für mich behalten hatte.

„Ich liebe dich, Nathan."

AHHH, ICH SCHREIE! WER SCHREIT MIT?

Was glaubt ihr, wie wird es weiteregehen?

Übrigens war dies hier ein Specialkapitel, wir haben tatsächlich die 100k Reads geknackt in "Please, not again", ist das zu glauben? Ich danke euch allen so sehr für die Unterstützung!♥ xT

PS: WIDMUNG AN @moonmyth, weil sie mir so viel bedeutet und mit mein aller erster Fan meiner Geschichten war. Das erste Kapitel, welches vor #Clathan trieft, war schon immer ihr versprochen. Danke für alles♥

Please, once againWo Geschichten leben. Entdecke jetzt